Petersburger Mächte


Die Debatte um den Auftritt des „Hyperion Ensemble“ bei den „Dias del Tango 2019“ in St. Petersburg wogt fröhlich weiter. Thomas Kröter und ich haben davon berichtet:

Über 200 Kommentare stehen nun auf der Facebook-Seite der Musiker, und die meisten davon sind als PR für die Tangogruppe (und die russischen Organisatoren) eher ungeeignet. Noch dazu haben ihnen nun zwei DJs (Guillermo Monti und Paola Pia) abgesagt – von der FB-Gemeinde heftig bejubelt.

(Nebenbei: Ist schon erstaunlich, was Musiker und international agierende DJs alles erst in letzter Minute mitkriegen… das Problem ist doch seit einem Jahr bekannt!)

Veranstalter und Band erscheinen deutlich angesäuert: Das „Hyperion Ensemble“ spricht von „Schmutz“, der über sie ausgegossen werde – und nun hat sich auch (wohl im Namen der Veranstalter) Irina Fateeva in zwei längeren Posts dazu geäußert.

Da ich nicht russisch spreche, muss ich mich auf „Google Translate“ verlassen. Kann also durchaus sein, dass ich nicht jedes Wort exakt wiedergebe, wohl aber den Tonfall, in dem die Botschaften verkündet werden:

Man zeigt sich schockiert und verwirrt ob der heftigen Kritik – schließlich wolle man doch lediglich eine Veranstaltung so aufziehen, wie man eben den Tango sehe: Als Tanz, in dem ein Mann führt und eine Frau ihm folgt. So what? Für die Gäste aus aller Welt hätten das schöne „Urlaubstage“ in St. Petersburg werden sollen. Man beanspruche – ebenso wie die Kritiker, ein „Territorium der Freiheit“ für derartige Milongas.

Wer darin nicht „seinen“ Tango sehe, könne doch einfach wegbleiben – so wie traditionelle Paare auch keine Queer-Milongas besuchen würden. Gegen Begriffe wie „Segregation“ oder „Diskriminierung“ verwahrt man sich heftig.

Den Kritikern schenkt es die Schreiberin ganz schön ein: „Giftige Kommentare“, „beleidigende Anschuldigungen“, „rassistische und nationalsozialistische Bilder“. Ebenso werden die Motive der Kommentatoren ziemlich eindeutig bewertet: „Neid“, „persönliche Motive“, „finanzielle Wettbewerbsinteressen“, „feministische Überzeugungen“ oder einfach nur, „um Böses zu tun“. Die Musiker des Ensembles würden „erpresst“.   

Auch die beiden DJs, die nun abgesagt haben, bekommen ihr Fett weg: Sie hätten das „unter dem Druck aggressiver Missetäter“ getan, wegen des „Shitstorms auf Facebook“. Aber getrost, man werde andere finden – „zweifellos aus der höchsten Klasse“.    

Quellen:  

Sicher: Auch aus der Richtung der vielen Kritiker dieses Events mag ich keinen „Empörialismus“. Die Welt geht nicht unter, weil man in St. Petersburg Tangobälle unter recht seltsamen Bedingungen veranstaltet. Und illegal ist das schon gar nicht – selbst unter dem strengen Aspekt deutscher Antidiskriminierungs-Gesetze.

Nur: Wir alle haben eine Verantwortung für das Image des Tango – und das ist für die Außenwelt schon bisher nicht das beste, insbesondere wegen eines Bündels an Reglements, eines fallweise höfischen Zeremoniells, musikalischer Vorschriften und öfters von Arroganz und Machismo geprägter vertikaler Machtstrukturen. Und nun noch der Verdacht auf Diskriminierung abweichender rollenmäßiger oder gar sexueller Orientierungen… Lecker!

Man kann solche Events mögen – aber auch kritisieren. Beides ist in einer offenen Gesellschaft nicht nur möglich, sondern selbstverständlich.

Man sollte sich allerdings davor hüten, dem Andersmeinenden gleich finsterste Motive zu unterstellen. Weder müssen solche Veranstalter zwangsläufig an der russischen Schwulen-Feindlichkeit mitwirken noch sind ihre Kritiker automatisch von Neid, Bösartigkeit und Geschäftsinteressen gesteuert.

Was mir aber auffällt, ist ein Unterschied, mit dem ich seit vielen Jahren hadere:

Die russischen Organisatoren betonen, traditionell gestrickte Personen würden ja auch keine Queer-Milongas besuchen. Nur: Wenn sie es täten, würde sicherlich ein Paar, welches in hergebrachter Geschlechts- und Rollenverteilung tanzt, nicht vom Parkett geschickt. Auf einer Milonga, bei der die verbale Aufforderung üblich ist, bekäme keiner Probleme, wenn er einen Cabeceo probiert. Niemand würde auf einer Neo-Veranstaltung gedisst, wenn er kleinräumig und in braver Spur-Orientierung tanzte. Kein DJ bekäme auf einem solchen Tangoabend Probleme, wenn er auch mal einige traditionelle Tandas spielte. Umgekehrt aber passiert das durchaus!

Kein Zweifel: Auf „moderneren“ Milongas geht es liberal zu, auf den Traditionsveranstaltungen eher „scheißliberal“: Der Satz „Soll doch jeder dahin gehen, wo es ihm gefällt“ reicht halt vorne und hinten nicht!

Aber klar: Ich habe noch nie Tangoveranstaltungen besucht, wo man mir irgendwelche speziellen Reglements aufdrücken wollte. Und ich hätte auch um die „Petersburger Nächte“ – ganz ohne Geschlechterdiskriminierung – von vornherein einen Bogen gemacht. Warum? Ich bin da fürchterlich traditionell eingestellt und suche die Magie des Tanzes der diskriminierten Flüchtlinge und Auswanderer von einst.

Solche Einladungen dagegen riechen mir eher nach „Opernball“, wo sich die High Snobiety inklusive gebührenpflichtiger C-Promis delektiert:    

„Der gewünschte Dresscode für die Retro Milonga am 7. Dezember sind stilisierte Outfits aus den Jahren 1930-1940. Lassen Sie uns gemeinsam die Atmosphäre der Zeit schaffen, als Tangeros zum Klang von Schallplatten tanzten! Lass es uns zusammen spielen!
Die gewünschte Kleiderordnung in der Grand Milonga am 11. Dezember ist feierlich! Dress up in all dem Schönsten und Festlichsten. Der Internationale Tangotag verpflichtet uns, bestmöglich auszusehen!“  

Na, das haben die Veranstalter ja nun geschafft…

Ich bin aber optimistisch: Der Tango hat schon ganz anderen Mächten als den Petersburgern getrotzt.
Und den Rest kann ich mir im Fernsehen anschauen:

Kommentare

  1. so etwas wie "stilisierte Outfits aus den Jahren 1930-1940." lese ich öfters mal. ich haben mich schon lange gefragt, was würde eigentlich geschehen, wenn jemand in einer uniform aus dem dritten reich erscheinen würde? historisch würde es passen, politisch erst zu einer späteren epoche des "goldenen zeitalters" des tangos.

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    1. Ich fürchte, das käme nicht gut an - dann wenigstens eine Uniform der Sowjetarmee...
      Aber eigentlich möchte ich zu einer Tanzveranstaltung, nicht zu einem Kostümfest.

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  2. Womit ich generell ein Problem habe, sind zwei Dinge: Normative Alleinvertretungsansprüche und die Suche nach Applaus für einen bestimmten (Tango-) Lifestyle. Damit meine ich Tradi-Talibanismus genauso wie das Paradieren aus der Queer-Ecke. Meine Maxime ist tun und genießen, leiwe un leiwe lasse...in anderem sehe ich versuchte Selbstvergewisserung, die Unsicherheit offenbart und zudem nervt. Auf diesen Fall bezogen würde ich zu einer Übung in Passivitätskompetenz raten - möge jeder nach seiner Fasson glücklich werden.

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    1. Da stimme ich generell zu.
      Nur: Sollen es Tänzerinnen und Tänzer still ertragen, wenn man sie mit anachronistischen Bedingungen einschränkt? Ich meine schon, dass man sich dann zu Wort melden darf.

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    2. Ich verstehe die Jahre anhaltende Aufregung auch nicht. Jede Veranstaltung hat Regeln. Welche das sind, hängt vom Veranstalter ab. Wem die Regeln nicht passen, der geht einfach nicht (mehr) hin. Ist doch ganz easy, oder? Da werden ganze Facebook-Dialoge kopiert und kommentiert, nur um andere dumm dastehen zu lassen. Aber bitte: Wenn's dem eigenen Ego hilft, dann nur weiter so - ist halt langweilig ..... und ändern wird das genau gar nichts.
      Olivia Kasucci

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    3. Ach, ich bin da optimistisch: In der mehr als hundertjährigen Tangogeschichte hat sich schon so manches verändert... zum Glück!

      Aber meine Meinung dazu habe ich ja schon ausreichend dargelegt.

      Besten Dank für den Beitrag!

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