Der Dieter hat’s schon wieder getan!
Angeregt
vom „Empörialismus“ im Netz sind die Medien momentan auf Treibjagd gegen den
derzeit wohl erfolgreichsten deutschen Kabarettisten, Dieter Nuhr. Seine Satiresendung „Nuhr im Ersten“ ist ungeheuer populär, und seine Live-Auftritte
füllen große Säle.
Für
sein neues Programm „Kein Scherz!“
reicht der Tourneeplan momentan bis März 2021.
Vor
einigen Tagen spielte es der Künstler vor 3500 Zuschauern in Kiel. Das
Online-Portal „web.de“ vermeldete
daraufhin unter der Überschrift „Comedian
zieht Vergleich zwischen Anhängern Greta Thunbergs und denen von Adolf Hitler
und Josef Stalin“:
„Bei einem Auftritt in Kiel betonte der
deutsche Komiker zwar, dass er nicht die Person Greta habe angreifen wollen,
sondern das System hinter der 16-Jährigen und die Hysterie ihrer Anhänger, doch
zog der 59-Jährige Parallelen zu Hitler und Stalin. Seine Wortwahl lässt nur
wenig Interpretationsspielraum zu.
Comedian zieht
Thunberg-Hitler-Vergleich
So sagte Nuhr etwa,
Gretas Fundamentalismus würde mehr Not und Elend verursachen als der Kampf
gegen den Klimawandel durch Forschung und Innovationen, berichteten die ‚Kieler
Nachrichten‘ am Sonntag (kostenpflichtig). Was der Komiker damit meint?
Thunbergs Forderungen hätten das Zeug, die wirtschaftlichen Grundlagen der
Menschheit zu zerstören. Entfalle beispielsweise der globale Warenverkehr,
stelle sich die Frage, wie viele Menschen regional ernährt werden könnten.
‚Aber was sind schon
Menschenleben, wenn es um die große Sache geht?‘, soll Nuhr weiter gesagt
haben. Das wiederum würde in der Konsequenz sogar an Hitler und Stalin erinnern.“
Massenhaft,
aber offenbar völlig ungeprüft,
zitierte nun die Presse diese Meldung der „Kieler
Nachrichten“:
„Bei einem Auftritt
in Kiel hat Nuhr nun noch mal nachgelegt, wie die ‚Kieler Nachrichten‘
berichten. Dabei soll er Greta sogar indirekt mit den Diktatoren Hitler und
Stalin verglichen haben. (…)
So sagte Nuhr, bevor
er loslegte, dass er nicht den Menschen Greta angreife, sondern die Institution
und die Hysterie ihrer Anhänger. Gretas Fundamentalismus würde mehr Not und
Elend verursachen als der Kampf gegen den Klimawandel durch Forschung und
Innovationen, zitieren die ‚KN‘ Nuhr.“
Ich
habe nun mehrere Stunden versucht, den Original-Artikel
der „Kieler Nachrichten“ zu finden. Pech: Den gibt es aber nur gegen bezahlungspflichtiges Login. Dies fiel
sogar dem „Stern“ auf:
„Bei Twitter trendet
der Hashtag #Nuhr. Ein Indiz dafür, wie viele Menschen sich aktuell zu den
jüngsten Sprüchen des Comedians äußern. Ohne freilich genau zu wissen, was der
genau gesagt hat. Denn unter den zahlreichen Twitter-Nutzern dürften nur die
wenigsten in Kiel zugegen gewesen sein.
(…)
Die meisten beziehen
sich auf einen Beitrag des ‚Redaktionsnetzwerks Deutschland‘, der die
reißerische Überschrift ‚Comedian Dieter Nuhr vergleicht Greta Thunberg mit
Hitler und Stalin‘ trägt. Im Vorspann liest sich der Vorgang dann schon weit
weniger skandalös: Nuhr habe die Schwedin ‚auf gewisse Weise‘ mit den
Diktatoren verglichen, heißt es da.
Tatsächlich beruht
der Artikel auf einem Bericht der ‚Kieler Nachrichten‘, der hinter der Paywall
verborgen ist. Mithin dürften die wenigsten also genau gelesen haben, worüber
sie sich gerade aufregen. (…)
Kurzum: Was genau
Dieter Nuhr Skandalöses in Kiel gesagt haben soll, weiß keiner so wirklich. Der
Entrüstung tut das keinen Abbruch.“
Auf
seiner Facebook-Seite bestreitet der
Kabarettist diese Vorwürfe entschieden:
„Die Aussagen in den
Kieler Nachrichten lassen alle Grundlagen seriösen Journalismus vermissen.
(…)
Die Kieler
Nachrichten schreiben weiterhin, ich würde behaupten:
‚Gretas
Fundamentalismus würde mehr Not und Elend verursachen, als der Kampf gegen den
Klimawandel durch Forschung und Innovationen.‘
Dies ist frei
erfunden. Es ist zudem ein völlig unsinniger Satz. Ich habe dies nicht
behauptet.
Es wird weiterhin
behauptet, ich würde Greta mit den Folgen der Ideologie Hitlers oder Stalins in
Verbindung bringen.
Dies ist unwahr. Ich
habe Greta nicht mit der Ideologie Hitlers oder Stalins in Verbindung gebracht.
Dies wäre völlig irrsinnig.
Andere Zeitungen
schreiben die gezielten Falschinformationen der Kieler Nachrichten, die
erkennbar dem Ziel größtmöglicher Aufmerksamkeit und damit erhöhter Klickzahlen
dienen, kritiklos ab. Auch Ihnen ist offensichtlich die Reichweite im Netz
wichtiger als verantwortungsvoller Journalismus. Es ist kein Wunder, dass
solche Medien in der Bevölkerung dramatisch an Vertrauen verlieren.“
Übrigens
beteuern dazu mehrere Kommentatoren,
welche in der betreffenden Vorstellung waren, solche Sätze nicht vernommen zu haben. Aber vielleicht haben sie ja nicht genau
zugehört…
In
der Presse rudert man nun zurück. So vermeldet gerade das „Hamburger Abendblatt“:
„Anmerkung der Redaktion:
In einer früheren Version des Textes haben wir unter
Berufung auf die ‚Kieler Nachrichten‘ berichtet, dass Dieter Nuhr offenbar
Greta Thunbergs System zur Vermeidung der Klimakrise mit Meinungs-Fundamentalismus
von Hitler‘ verglichen habe. Die Überschrift lautete: ‚Dieter Nuhr: Gretas
Methoden erinnern an Hitlers Prinzip‘. Sollte er in dem Artikel der ‚Kieler
Nachrichten‘ falsch zitiert worden sein, entschuldigen uns für die Übernahme
und den falschen Eindruck, den wir dadurch haben entstehen lassen.“
Dunkel
wird ja auch immer wieder angedeutet, Dieter Nuhrs Zeiten im Fernsehen seien bald vorbei. Immerhin
hat sich nun aber sein „Haussender“ RBB
voll hinter ihn gestellt:
„Satire ist aus
unserer Sicht nicht zuletzt dann relevant, wenn sie aneckt, Widerspruch auslöst
und polarisiert. Dieter Nuhr buhlt nicht um Zustimmung und hält deshalb, ebenso
wie sein Sender, Widerspruch aus. (…) Öffentlichen Reflexen nachzugeben, die
eine Absetzung von Sendungen oder Künstlern fordern, weil die geäußerte Meinung
nicht gefällt, widerspräche unserer Auffassung von künstlerischer Freiheit und
demokratischem Austausch. Wir stehen grundsätzlich für Meinungsvielfalt ein.“
Wie
dem auch sei: Die Vorwürfe sind in
der Welt, da kann man hinterher dementieren, wie man will. Irgendwas wird schon
dran sein… Ich kenne das nur zu gut von meinem Blog.
Ich
glaube, Dieter Nuhr verdankt den
Erfolg seiner grundvernünftigen, naiven Einstellung des Durchschnittsmenschen,
der gewisse Entwicklungen unserer Zeit schlicht für bescheuert hält – und es
wagt, dies auch auszusprechen, gerne auch gegen den Trend. So einfach ist das.
Immerhin
erleben wir – nach Jahrzehnten – wieder einmal das Phänomen, dass man in Kabarett-Vorstellungen mitschreibt.
Nicht so direkt zur Berichterstattung – eher, um Zitate gegen den Künstler zu
sammeln und diese dann, leicht verfremdet, zu Hetzkampagnen auszuschlachten.
Der
legendäre Werner Finck fragte als
Conférencier das Kabaretts „Katakombe“ solche mitschreibenden Herren einmal:
„Spreche
ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder...muss ich mitkommen?"
Im
Rapport der Zitatesammler las sich
das dann so:
„Fink
[!] ist der typische frühere Kultur-Bolschewist, der offenbar die neue
Zeit nicht verstanden hat oder jedenfalls nicht verstehen will und der in der
Art der früheren jüdischen Literaten versucht, die Ideen des
Nationalsozialismus und alles das, was einem Nationalsozialisten heilig ist, in
den Schmutz zu ziehen".
Damit
wir uns nicht missverstehen: Diese
Zeiten sind vorbei – auch, wenn das noch nicht alle begriffen haben.
Aha: Das Blatt, welches das Ganze ins Rollen gebracht hat, rudert nun zurück:
AntwortenLöschen„Auch die ‚Kieler Nachrichten‘ reagierten – und entschuldigten sich am Dienstag bei Nuhr. Es habe ‚missverständliche Formulierungen‘ gegeben, der betreffende Artikel sei gelöscht worden.“
Vielleicht sollte man in Kiel künftig zu seinen Auftritten Reporter schicken, die Satire kapieren…
https://www.watson.de/unterhaltung/tv/503078728-greta-dieter-nuhr-empoert-erneut-mit-kritik-ard-schaltet-sich-ein