Tangos Farm
Was
täte ich nur ohne meine treuen Leser,
die mich immer wieder mit Material
versorgen? In diesem Fall ist es ein Angebot auf Facebook: Die saarländischen
konservativen Ultras Melina Sedó und
Detlef Engel bieten nun als „neuen
Service“ ein „Encuentro Bootcamp“
an.
Das
Wort tauchte im Tango schon vor einiger Zeit auf – ich hatte ihm damals einen
Artikel gewidmet. Zur Herkunft des Begriffes:
„Als Bootcamp werden umgangssprachlich
bestimmte Einrichtungen zum Strafvollzug und zur Um-Erziehung von jugendlichen
Straftätern genannt. Der Name wurde von der umgangssprachlichen Bezeichnung für
die militärische Grundausbildung in den Vereinigten Staaten übernommen (Navy,
Army und Marines) bzw. vom Ort, wo diese stattfindet. Boot Camps werden nach
den disziplinarischen Grundregeln von US-Militäreinheiten geleitet. Die
Philosophie dieser Camps ähnelt der der Marines: Willen brechen, um ihn später
wieder aufzubauen.“
In
letzter Zeit wird der Begriff wohl auch in anderen
Branchen (Computer- und Fitnessbereich) nachgeplappert – und nun im Tango
für Schnell- und Intensivbleichen verwendet,
bei denen man (meist am Wochenende) in einer eindrucksvollen Stundenzahl das
den Tanzenden hineindrücken möchte, was bei organischer Entwicklung Monate oder
Jahre dauert.
Was
ist nun ein „Encuentro Bootcamp“?
Ganz einfach: ein Service für
Encuentro-Veranstalter, so jedenfalls Melina Sedó. Was ich bei ihr schätze:
Während andere Tango-Konservative ihre Botschaften eher mit semantischem Zuckerguss überziehen, sagt sie knallhart, wie’s ist:
Es
mangele den Encuentros an geeigneten, also guten
sozialen Tänzern. Es gebe so viele derartige Events, dass sich die
Edeltänzer halt verteilten. Zudem: „Eine
Zeitlang schien die Nachfrage riesig zu sein, aber jetzt müssen selbst gut
etablierte Veranstaltungen kämpfen. Manche machen sogar zu.“ Neugründungen
gar bildeten ein großes Risiko. Daher akzeptiere man kohlehalber auch
Teilnehmer, welche nicht über die nötigen Fertigkeiten verfügten – oder gar „Show-Ambitionen“
hätten.
Klar,
dass da die Qualität den Bach
runtergeht.
Daher
raten die beiden Tangolehrer zu einem intensiveren
Training der Neuen. Ihr Ziel:
„Nette Tanzende mit
einer sanften Umarmung, einem Verständnis für die Musik und die Códigos.
Teamplayer, die sich im Einklang mit ihren Partnern und den anderen Paaren in
der Ronda bewegen ohne angeben zu müssen.“
Das
Angebot: Ein Intensivkurs von sechs
bis neun Stunden an insgesamt zwei Tagen. Als „milonguero-re-fresher” sei das Ganze auch für Erfahrene geeignet
(bringt natürlich noch mehr Kohle) – entweder direkt vor dem Encuentro oder
längere Zeit früher, dann verbunden mit einer Art „Probe-Milonga“.
Ihre
persönliche Empfehlung:
„Wir sind eines der
ganz wenigen professionellen Paare von internationalem Ruf, die tatsächlich zu
Encuentros fahren. Zum Spaß. Als Stammgäste. Um mit anderen zu tanzen.“
(von
mir aus dem Englischen übersetzt)
Ich
will natürlich niemandem die Freude
verderben, an einer solchen Lehrveranstaltung teilzunehmen. Und wer hinterher
meint, Encuentros seien genau das Richtige: nur zu!
Allerdings
weiß ich nicht, ob dort das Mitbringen des eigenen
Urteilsvermögens erwünscht oder gar erlaubt ist. Ich rate dennoch dazu.
Neulinge werden auf solchen Events natürlich ausschließlich Leuten begegnen,
welche diese Form des Tangos für die einzig
wahre halten und mit jeder Menge Euphemismen garnieren.
Daher
wird „Radio Kleinbonum“ weiterhin
melden: Nein, dem ist nicht so. Es gibt andere
Spielarten des Tango, und viele davon setzen auf Individualität sowie persönliche
Gestaltung und nicht auf eine „Tango-Rekrutenausbildung“
nach einem tänzerischen
Exerzierreglement. Kriegen wir demnächst noch eine Kombination von „Bootcamp“ und „Workshop“, also eine Art „Arbeits-Lager“?
Als
Satiriker kommen einem die Tränen ob
solcher Angebote. Wieder einmal wird man von der Realität eingeholt. Bereits 2015 hat die Blogger-Kollegin Manuela Bößel in ihrem Buch-Erstling „Das kann man so nicht sehen“ einen
Text namens „Tangos Farm“ verfasst.
Inzwischen scheint das Wirklichkeit zu werden.
Eine
Schulungsleiterin führt die Autorin durch eine solche Lehranstalt, wo man eine Anfänger-Ausbildung beobachten kann:
Illustration: www.tangofish.de |
In
einem stolpern nicht besonders glücklich wirkende Paare kreuz und quer
durcheinander, behindert durch ausgeklügelte, der Realität nachgestellten
Einrichtungsgegenstände einer argentinischen Bar. Die Tische, Stühle und
Klotüren, so beruhigt sie mich, seien aus Schaumstoff, damit sich die Anfänger
nicht verletzten. Sie schildert mir, wie sie sich mittels Mikrofon und
Lautsprecher in die einzelnen Practica einschalten und diese im Notfall steuern
kann, während sie auch schon zum Mikrofon greift und einen gewissen H.
zurechtweist, er solle sich gefälligst weiter in Tanzrichtung bewegen, er sei
schließlich kein Stauberater.
„Die müssen schon
mindestens ein halbes Jahr hier üben, bevor wir sie guten Gewissens in die
freie Wildbahn entlassen können.“ Sie blickt mich – plötzlich ganz ernst – über
die randlose Brille an: „ Solch einen Störfaktor können wir den adulten
Tangueros auf keinen Fall zumuten! Es würde auch die Sozialisation der frisch
Austrainierten empfindlich stören.“ Aber hier, in einer geschützten, kontrollierten Atmosphäre
könne man mit den Tierchen wenigstens
ordentlich arbeiten.
Der
Schreiberin gelingt es schließlich, einen Tänzer zu befreien. Der hatte zu Bebop
Tango getanzt und wurde als schlechtes Vorbild dort interniert.
Wer
das Buch noch nicht kennt:
Ich mag das Buch. Habs leider schon lang nicht mehr gelesen.
AntwortenLöschenImmerhin hat es mir bewusst gemacht, dass ich auch einen "Tango" hab, der doch einer gewissen Pflege bedarf. Allerdings ist der wohl ein vergleichsweise wilder (hat mich auch schon mal gebissen, als ich ihm Zügel anlegen wollte ...), der auch seinen Auslauf und das Rumstromern irgendwo in der Wildnis braucht (Gott bewahre! wahrscheinlich auch noch ausserhalb "gepflegter" Milongas, oder gar beim Fremdtanzen ...) ;-)
Anlässlich des Artikels hab ich das Buch mal wieder angeschaut.Es ist wirklich toll - lohnt sich, es nochmal zu lesen.
LöschenJa, und gezähmter und dressierter Tango ist auch nicht mein Fall...