Der steile Weg ins Tango-Paradies
Der
US-amerikanische Blogger „Miles Tangos“
tanzt seit 2006 Tango und scheint sich – nach anfänglicher Skepsis – ziemlich hundertprozentig
in dieses Metier gestürzt zu haben. Inzwischen führt er das Blog „Tango Topics“ mit einer Fülle von
Texten und verkauft darin Schulungsmaterial
für unseren Tanz.
In
einem Artikel verbreitet sich der Autor mit über 4000 Wörtern zum Thema „Encuentro“, welches man den
Nordamerikanern offenbar näher erläutern muss. Denn die wahren Veranstaltungen
dieser Art – so der Schreiber – gebe es nur in Europa (Argentinien wird mit keinem Wort erwähnt):
„Derzeit gibt es zwei Szenen von Encuentros auf der Welt. 1.) Europa. und
2.) überall sonst. Tatsache ist, dass Europa eine viel weiter entwickelte
Encuentro-Szene hat, und das, weil sie sich ursprünglich dort entwickelt hat.“
Und
zwar in seiner Sicht aus den Tango-Marathons
und Festivals, die bei etlichen
Tanzenden zu ziemlich viel Frust führten. Während bei diesen einfach bis in
die Puppen getanzt werde, gebe es auf Encuentros eine bessere Abstimmung von
Tanz- und Ruhezeiten und vor allem klare Reglements. Qualität statt Quantität stehe
im Vordergrund:
„Der Marathon oder das Festival? Schweiß, getrockneter Schweiß,
Körpergeruch und Magenknurren sind Ihre neuen Freunde. (…)
In diesem Bereich gibt es im Allgemeinen keine Regeln. Es ist dem Wilden
Westen sehr ähnlich, da es keine Ordnung gibt. Tanze einfach so viel wie
möglich mit so vielen Menschen wie möglich, verdrehe die Regeln, jeder gegen
jeden. Das Encuentro ist etwas raffinierter, eleganter, weitaus zivilisierter,
wenn auch nicht immer fair und egalitär.“
Zur Entstehung:
„Es begann mit privaten Partys, und von
diesen privaten Partywochenenden aus wuchs die Encuentro-Szene mit einem Auge
für raffinierten Social Dance, besseres DJing, schönere Locations, Essen !!!! (…)
und eine ganz andere Klasse von Tanzenden: den Encuentro-Tänzern!“
In vielen Bereichen seiner Definition eines Encuentros trägt der Autor für uns aufgeklärte
Europäer Eulen nach Athen: Klar – Códigos, Tanzstil, Figuren-Verbote,
Musikauswahl, kein Unterricht, wissen wir ja alles. Dennoch gibt es eine Reihe
von Gedanken, die ein besonderes Licht
auf die Sache werfen.
Eine überragende Rolle spielt für „Miles Tangos“ der DJ einer solchen Veranstaltung, den er
in geradezu heldischem Pathos schildert:
„Die Encuentro Tango DJs sind der
Inbegriff eines Tango-Musik-Nerds auf Steroiden, aber nicht so nerdy, dass sie
nicht menschlich sind. Sie sind das Herz, wenn nicht die Seele der
Encuentro-Erfahrung. Wenn die Organisatoren den falschen Tango DJ einstellen,
kann dies dazu führen, dass ein Event beendet wird. Deshalb ist es absolut
entscheidend, dass sie einen Master Tango DJ mit den Fähigkeiten einstellen,
den Raum zu bewegen, den Raum zu lesen und dann eine Tanda spontan so zu
ändern, dass Sie geschickt und im Alleingang zum Tanzen verleitet werden – selbst,
wenn Ihnen der Schweiß tropft, immer mehr wollen und gleichzeitig abkühlen,
auch in einer Milonga-Tanda! Das, meine Freunde, ist Können pur.“
Was der Autor zum Thema „Registrierung und Warteliste“ verrät, bestätigt einen Verdacht,
den ich schon lange hatte: Es wird nicht nur hinsichtlich Geschlecht bzw. Rolle
ausgesiebt, sondern auch nach tänzerischen Fähigkeiten.
„In der Regel muss man zu diesen Veranstaltungen eingeladen werden, wobei
der Gastgeber die Personen auswählt, die er für seine Veranstaltungen benötigt.
Obwohl sich die Registrierungsliste schnell mit Folgenden füllt, werden sie
manchmal auf eine Warteliste gesetzt, weil der Veranstalter bestimmte Follower
aufgrund der Qualität ihrer Tanzfähigkeiten nicht dabei haben möchte. Manchmal setzt man
aus den gleichen Gründen auch einen Führenden auf die Warteliste.“
Merke: Es gibt Gäste
erster und zweiter Klasse: Die einen möchte man haben – und die anderen
kriegen nur eine Chance, wenn es gar nicht anders geht.
Frauen kommen dennoch nicht immer zum Tanzen:
„Denn die Realität ist, dass es
immer, immer, immer eine Reihe von Frauen gibt, die (traurigerweise) sitzen,
obwohl ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern und Rollen herrscht. Immer.
Eine Möglichkeit, dies aus organisatorischer Sicht zu mildern, ist die
Fähigkeitsbalance. (…) Aber im Allgemeinen ist Skill Balancing genau das,
wonach es klingt. Sie werden mit jemandem verglichen, der über dieselben
Fähigkeiten verfügt. Oder Sie haben mit den Veranstaltern getanzt, und die
wissen, was und wie Sie gerne tanzen“.
Je exklusiver,
desto begehrter:
„Je offener die Veranstaltung ist,
desto weniger wird redet man über sie. Je geschlossener die Veranstaltung, je
exklusiver sie ist, desto mehr wird darüber gesprochen. ‚Ich bin reingekommen!!!!‘
ist die zugehörige Beschreibung.“
Daher, so der Autor, sei es ein dorniger Weg, auf Encuentros anzukommen. Das größte Hindernis
bestünde in den mangelnden tänzerischen Fähigkeiten:
„Verstehen Sie das als Ihre
Ausführung der Technik und Ihr kinästhetisches Verständnis davon. Verstehen Sie
das auch als hängend, ziehend, drückend, komprimierend, quetschend, widerstrebend,
angespannt und, mein persönlicher Liebling: Kraft. Verstehen Sie es als
Instabilität, mangelndes Gleichgewicht und mangelnde Kontrolle. Lesen Sie es,
wie Sie Ihre Arme und Hände zur Stabilisierung benutzen. Lesen Sie, wie Sie die
Linien und Tanzspuren kreuzen. Lesen Sie das als mangelnde Fähigkeit, den
Aufbau eines Musikstücks zu analysieren. Und das ist nur die Spitze des
Eisbergs, den Sie ‚Ihren Tanz‘ nennen. Sie haben Probleme. Die müssen
angesprochen werden.“
Entscheidend
seien aber die sozialen Fähigkeiten:
„Tatsache ist, dass die Tangowelt
selbst sehr wertend sein kann, und das ist milde ausgedrückt. Von der Kleidung
und den Schuhen bis zur Ausführung Ihrer Technik (oder dem Mangel daran). Dies
ist eine Realität, und es hilft nicht, dass es Cliquen im Tango gibt, es hilft
nicht, dass es DJ-Groupies gibt, die den DJ umgeben und nur miteinander tanzen,
es hilft nicht, dass lokale Lehrer diese Dinge nicht beenden. Dass die Organisatoren
wöchentlicher Milongas die sozialen Fähigkeiten nicht stärken und alle einladen,
mit allen zu tanzen. (…)
Angenommen, Sie kommen zu einem
Encuentro ... alle sind auf dem gleichen Level und auf dem gleichen Spielfeld.
Keiner ist besser als der andere. Sie sind zum Tanzen da. Es liegt also in
Ihrem Interesse, alle gleich zu behandeln.“
Die
abschließende Warnung:
„Verstehen Sie, dass es Zeit, Geduld und Ausdauer kosten wird, zu diesen
Tänzern, in diese Szene zu gelangen. Es wird nicht über Nacht und es wird nicht
auf einmal passieren. Schlagen Sie sich diesen Gedanken aus dem Kopf. Im
Gegensatz zur Marathon- oder Festivalszene, in der man einfach auftauchen und
tanzen kann, erfordert die Encuentro-Szene etwas mehr Sorgfalt. Verbissene
Entschlossenheit ist jedoch nur ein Teil der Gleichung. Der Rest ist sozial und
technisch! Viel Glück, Sie werden es brauchen.“
Und ein bisschen Werbung
kann nie schaden:
„Dies ist kein Showtanz, sondern raffinierter Gesellschaftstanz
auf höchstem Niveau. Und Sie brauchen wirklich einen Lehrer, der das versteht.
Ich bin einer dieser Lehrer. Es gibt nur eine Handvoll, von denen ich weiß.
Wenn Sie also Zugang zu diesem Wissen haben möchten, müssen Sie entweder bei
einem von uns lernen oder versuchen, dies selbst herauszufinden. Ich würde
vorschlagen, entweder bei einem von uns zu lernen oder mit einem
TangoTopics-Jahresabonnement zu beginnen.“
Ich
finde, der Artikel ist eine schöne Beschreibung dessen, worum es bei Encuentros
wirklich geht: eine Lebenseinstellung
im Sinne einer Gleichheits-Ideologie,
die durch strikte Regeln und bewusste Auswahl der Gäste bewirkt wird.
Und ein wenig Geschäftstüchtigkeit
kann durchaus nicht schaden…
Original-Text:
https://tangotopics.com/definition/definition-encuentro/
Danke für das Video. Ab und zu denke ich, vielleicht sollte ich "Encuentrobesuch" doch mal weiter oben auf meine Löffel-Liste setzen. Und dann sehe ich diese monotone Platzdreherei...hilft wirklich beim Prioritätensetzen.
AntwortenLöschenEin Encuentro-Besuch? Verwegene Idee!
LöschenAber wenn's dann ein Blogartikel wird, hätte ich nichts dagegen...