Karin Law Robinson-Riedl: Mein Tango
Mein letzter Artikel
zum Contango hat eine Trendumkehr
bewirkt: Während ich mir bislang ausschließlich den Zorn der „traditionellen“
Tangoszene zuzog, erhebt sich nun Widerspruch auf der „progressiven“ Seite. Zu
meinem Text entspann sich eine längere Diskussion mit meinem Leser Johannes Hustert.
Allmählich werden ja Gastbeiträge von Frauen zu einem
Markenzeichen meines Blogs – im Gegensatz zu vielen anderen Tangoforen, in
denen eher Männer das Wort führen. Daher war ich sehr froh, als meine Frau sich
entschloss, ihre Gedanken zum Thema als Beitrag niederzuschreiben und mir eine
Veröffentlichung zu erlauben.
Karin Law
Robinson-Riedl: Mein Tango
Im
Zusammenhang mit der „Contango“-Diskussion fiel mir mein „Bekenntnis“ vom April
dieses Jahres wieder ein:
„Der
Tango bedeutet für mich keine ‚weihevolle‘ Angelegenheit.
Aber
er ist ein berührender Tanz, der Musik und Bewegung bei den Tanzenden äußerst
emotional in Einklang bringen kann.“
Allerdings
trifft das auf (fast) alle Tänze zu, die ich kenne und/oder selbst schon
getanzt habe.
Tanzen
hat viele Funktionen, vom Ritual bis zur Therapieform (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tanz ).
Für
mich persönlich ist es vor allem eine Kunstform, bei der Musik, Rhythmus und
Bewegung im Idealfall eine Einheit bilden.
Inwieweit
der Einzelne (also auch ich) diesem Ideal nahekommt, hängt (wie beim
Musizieren) von Talent und Fleiß – und der Übereinstimmung mit dem Partner ab.
Oft
ist es sogar nur ein kurzer Moment, in dem man spürt: „Das war’s jetzt!“ Die
Zeit stand still. Aber für solche Augenblicke hat sich so mancher Aufwand
gelohnt!
Die
Bemühungen, unterschiedliche Tänze voneinander abzugrenzen, sie zu
„definieren“, finden sich bei den anderen Künsten genauso:
Beschreibungen
von „Epochen“ in Malerei, Musik oder Literatur sind dazu gedacht, in der Fülle
des „Materials“ Ordnung und Orientierung zu schaffen.
Dabei
brechen leider „ideologische“ Gräben auf, die ich z.B. aus literaturgeschichtlichen
Diskussionen nur zu gut kenne!
Auch
im Tango haben sich in meinen fast 20 Jahren Praxis verschiedene Entwicklungen,
ja Moden, gezeigt, sind aber auch wieder vergangen oder wurden integriert. Ich
erinnere mich an eine Phase, wo flächendeckend offenbar Colgadas gelehrt
wurden, die oft zu ebenso flächendeckenden Kollisionen und Stolperern auf den Tanzflächen
führten. Die Colgadas gibt es noch, der Hype ist aber abgeflaut, warum auch
immer …
Wo
man diese Bewegung gut ausgeführt sieht, ist sie schön, so sie zur Musik passt,
und bringt besonders den Paarbezug zur Geltung.
Wie
ist es nun mit dem Contango? Ist das auch eine Entwicklungsform des Tango?
Ich
sehe es ebenso wie du, Johannes (siehe
Kommentare zum oben verlinkten Artikel):
„Der
Ansatz scheint (…) nicht so sehr vom Tango her zu kommen, sondern umgekehrt vom
modernen Tanz“, schreibst du in deinem ersten Beitrag vom 1. Juli.
Für
mich hat sich da genau etwas verdreht: Unter dem Begriffsschirm „Tango“ gibt es
nun Veranstaltungen – tänzerisch interessant und kreativ übrigens, wie ich
finde – die aber unter eine Überschrift passen würden wie z.B.
„Improvisationstanz“.
Solch
ein Begriff wäre für mich passend zu der Mischung an Musik und Tanzstilen, die
man dort trifft (wobei ich – zugegeben – nur eine sehr geringe Anzahl von
Contango-Veranstaltungen kennengelernt habe).
Contango
aber als „Fortentwicklung“ des Tango zu bezeichnen, halte ich für nicht
passend.
Das
Gleiche gilt für mich für die Musik bei Tangoveranstaltungen:
Natürlich
„darf“ es im Laufe einer Milonga Stücke geben, die keine Tangos sind, aus dem
Bereich des Jazz, meinetwegen auch der Popmusik. Das kann auflockern,
erheitern, darf auch mal ärgern …
Wenn
diese nicht tangotypische Musik aber überwiegt, warum spricht man aber dann von
einer „Tango“-Veranstaltung?
Die
Tangomusik selbst hat sich entwickelt und entwickelt sich weiter in Rhythmik,
Instrumentierung (ohne hier das Thema der „richtigen“ oder „gültigen“
Tangomusik vertiefen zu wollen!), lebt zusätzlich von den Gesangstexten und der
„Symbiose“ mit dem Tanz.
Und
dennoch wird sie, trotz aller Einflüsse aus Rock, Jazz, Pop usw. immer
unverwechselbare Grundzüge haben, die sie eben als Tangomusik erkennen lassen!
Kleiner
Exkurs in die klassische Musik: Max Reger bediente sich in seinen Werken
klassischer, barocker, romantischer Elemente – und doch bleiben es unverkennbar
Kompositionen von Max Reger!
Fazit:
Der
„Contango“ ist für mich ein eigenständiger, offener postmoderner Tanz, in dem
sich verschiedenste Musik- und Bewegungsformen treffen.
Er
stellt somit keine Fortentwicklung des Tango dar, sondern sollte sich
vielleicht auch über seine Namensgebung klarer profilieren.
Eine
gemeinsame Contango- und Tango-Veranstaltung?
Warum
nicht? Bei ausgewogener Musik, entsprechenden räumlichen Verhältnissen und
gegenseitiger Rücksichtnahme der Tänzer.
Neu
sind diese Kombinationsversuche ohnehin nicht. Aber auf früheren
Tangoveranstaltungen, bei denen es immer wieder mal Salsa-Einlagen gab, wäre
auch kein Mensch darauf gekommen, Salsa als eine Fortentwicklung des Tango zu
bezeichnen.
Herzlichen Dank für
diesen Beitrag!
Persönlich halte ich
nichts von Debatten über Begriffe und Schubladen. Ich würde nie von mir sagen,
„traditionellen“ oder „modernen“ Tango, Neotango, Tango nuevo, Tango Fusion
oder sonstwas zu tanzen. Im Einzelfall hängt dies von der Partnerin, der Musik,
meiner aktuellen Stimmung, dem Platzangebot und vielem mehr ab.
Nein, ich tanze
Tango. Das muss reichen.
Aber wo Tango
draufsteht, sollte auch Tango drin sein.
Und beweispflichtig hierfür ist der, welcher es behauptet!
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