Ist das Kunst oder kann das weg?
Kürzlich
richtete der niederländische DJ Richard
Frisart in einem Facebook-Tangoforum folgende Zusammenstellung an seine
Kollegen. Hier meine Übersetzung:
Ihr Lieben,
ich habe auf FB so viele
Diskussionen über Tangoorchester erlebt, und ob sie nun passend für Milongas
seien oder nicht, dass ich mir dachte, ich stelle eine simple Checklist auf.
Das meiste ist für einen erfahrenen Tango-DJ Grundwissen, aber es mag vor allem
für Anfänger doch nützlich sein. Lest es sorgfältig und folgt den Anweisungen!
(…) So, hier also
das, was kein Tango DJ spielen darf:
·
Alles aus der Guardia
vieja, und Guardia nueva vor 1935
·
Alle „vergessenen
Orchester": Es hat seinen Grund, warum sie vergessen sind.
·
Alle Tangos nach
1958. Merke: Mit Ausnahme des einen zeitgenössischen Orchesters, das zufällig
in dieser Saison angesagt ist. Nur um zu zeigen, innovativ du als DJ bist. Für
2018 bist du auf der sicheren Seite mit dem Orquesta Romantica Milonguera.
·
Natürlich alles Neo-
und Nuevo-Zeug
·
Alle Candombes. Okay,
der Rhythmus ist nett, aber die Texte…
·
Alle Foxtrotts. Warum
eine Milonga-Tanda für eine Foxtrott verschwenden?
Was die Orchester
betrifft, spielen wir keine Tangos von
·
Basso. Wer? Eben!
·
Biagi (außer mit Ortiz, wenn du musst). Allgemein:
Wenn du Tangos von Biagi spielen willst, spiele stattdessen D’Arienzo mit
Biagi. Milongas und Walzer sind okay.
·
Francisco Canaro
(außer vielleicht mit Maida). Zu simpel. Canaro nach 1939 ist
noch schlimmer. Die Milongas jedoch sind prima. Walzer nur, wenn du in Wien
auflegst.
·
Rafael Canaro: Wenn du
als DJ wirklich dein Leben riskieren willst, versuche es mit einem seiner
französischen Tangos!
·
D’Agostino ohne
Vargas
·
Vargas ohne D’Agostino
·
D’Arienzo nach 1944.
Ich weiß, sie tun es in Buenos Aires, aber seien wir ehrlich: Es ist Kitsch. (…)
·
De Angelis: Die Sänger! Die Geigen! Die Karussellmusik!
Lediglich die Walzer sind erlaubt.
·
De Caro. Nicht zum Tanzen geeignet. Falls
du De Caro spielen must, lege Pugliese auf, der De Caro spielt.
·
Di Sarli mit Serpa. Und
Di Sarli mit Durán. Tu’s nicht! Bleibe bei den Instrumentals, bei Podestá und
Rufino, oder nimm vielleicht Pomar hinzu, wenn du eine deutliche 50-er Jahre-Tanda
auflegen willst.
·
Domingo Federico. Einfach nicht gut genug. Zudem hat Vidal eine nervige
Stimme.
·
José Garcia. Dieselbe Kategorie wie Federico. Zudem hat Rojas eine
nervige Stimme.
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Firpo: LANGWEILIG! Kein Energie. Schlafwagen. Firpo Quarteto: noch
schlimmer.
·
Francini-Pontier. Oder Francini ohne
Pontier oder umgekehrt. Nur passend zu Caló.
·
Fresedo mit Serpa. Oder irgendein
Fresedo aus den 50-ern. Achtung: Fresedo mit Ray ist nur in Europa erlaubt.
·
Lomuto: Die Milongas
sind okay, wenn du „No hay tierra como la mía“ nicht von Canaro spielen willst.
·
Maderna und Símbolo
Maderna – erst recht nicht in Kombination. Und kein „Merceditas”, bitte! Allgemein toll für dein Wohnzimmer, aber nicht für die
Milonga.
·
Malerba. Das wäre beinahe ins
Auge gegangen! Tat es aber nicht. Außerdem ist Medinas Stimme nervig.
·
Piazzolla: Nicht zum Tanzen – und, wie schon gesagt – kein Nuevo!
·
Donato Racciatti: Ich
gebe zu, eine Schwäche für Racciatti mit Nina Miranda zu haben. Aber, zu meiner
Verteidigung: Ich arbeite daran.
·
Rodríguez: Viele DJs
spielen Tangos von Rodríguez, aber sie irren sich. Wenn du dich genötigt
fühlst, Rodríguez aufzulegen, spiele stattdessen D’Arienzo oder Tanturi. Die Walzer gehen so.
Und keine Foxtrotts, gell?
·
Rotundo: Du willst
doch kein Angeber sein, oder? Und speziell kein Rotundo mit Ruiz.
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Salamanca: Oh Gott, die Geiiiigen!
·
Sassone: tolle Musik
für den Fahrstuhl
·
Varela: Echt, im Ernst?
Ich hoffe, diese
Checklist ist hilfreich. Lasst uns alle die Musikqualität auf den Milongas
verbessern. Viel Spaß!
Was
ich schon einmal toll finde: Wer das Bedürfnis hat, sich einmal näher mit Tangomusik zu beschäftigen, hat hier
per Google ungeahnte Möglichkeiten! Zwei Tipps: Der erste Name bezeichnet meist
den Orchesterleiter, der zweite den Sänger. Und: Meines Wissens sind alle
Künstler auf der Verbotsliste bereits verstorben.
Um zeitgenössische Tangomusik geht
es also gar nicht!
Das Geniale an dem Text ist jedoch: Richard
Frisart hat das Ganze als Scherz
verfasst. In der nachfolgenden, sehr langen Diskussion schreibt er:
„Natürlich ist es
das, aber tatsächlich – mit Ausnahme von Rodríguez, den ich selbst hinzugefügt
habe – sind dies alles (paraphrasierte) Aussagen von anderen Tango-DJs, die auf
dieser und anderen FB-Seiten und in Gesprächen gemacht wurden ...“
Und,
noch lustiger: Bei manchen seiner Kollegen fällt der Groschen nur in Zeitlupe:
„Toller Tipp für
einen Anfänger DJ – vielen Dank!“
„Der Autor scherzte.“
„Danke, das habe ich
in den anderen Kommentaren gelesen.“
„Ich habe so viele
dieser Aussagen gesehen, dass ich nicht sicher war, ob dein Beitrag ironisch
war ...“
Erstaunlicherweise
haben aber sehr viele Diskussionsteilnehmer doch den Mut, noch einen
draufzugeben:
„Wenn ich was vorschlagen
darf, sollte man es in 10 Regeln aufteilen und auf 2 Tontafeln gravieren ...“
„Spielen Sie auch nie
Pugliese. Er passt nicht zu ‚Milonguero-Stil' -Tänzern.“
„Wenn Sie Pugliese
spielen, spielen Sie es nur als letzte Tanda des Abends.“
„Darüber möchte ich heulen,
weil ich das ein paar Mal gehört habe.“
„Du hast Troilo vergessen:
Zu komplex, und wird wahrscheinlich nicht zu allen Tänzerschritten passen!“
„Und Hugo Diaz. Wer
will diese quäkende Mundharmonika!“
„Und sei vorsichtig
mit den Texten. Kein Sexismus, keine Grausamkeit gegenüber Frauen, kein
Alkohol, kein politisch inkorrektes oder deprimierendes Zeug.“
„Keine Tierquälerei,
keine Propaganda für Tabak, Drogen und Prostitution.“
„Wie viele Leute in
einer durchschnittlichen Milonga verstehen (…) die Texte?!?!“
„Man weiß nie, es
könnte einen geben.“
Allerdings
gibt es auch Gegenmeinungen:
„Ich weiß, das soll
sehr lustig sein. Und vielleicht ruiniere ich die Party hier. Aber nach meiner
Erfahrung auf Milongas in Europa würden diese Ratschläge (…) die Qualität der Mehrheit
dramatisch verbessern. (...)
Und aufgrund dieser
historischen Dimension werden bestimmte Orchester nie aus den Milongas
verschwinden, da sie zusammen mit dem Tango-Tanz fast alle Tango-Tänzerinnen
und -Tänzer heute verwenden. Natürlich kann man das ignorieren und seinen
persönlichen Geschmack über alle Fakten stellen, aber das ist wirklich
lächerlich und das Ergebnis ist immer schlecht.“
Am
spannendsten fand ich die folgenden
Äußerungen:
„Lass uns nachdenken –
wer hat diese ‚Regeln‘ erstellt? Wir – die DJs. Einzeln sieht jede dieser
Regeln unschuldig aus. Zusammengenommen klingen sie jedoch absurd.“
„Ja, ich habe viele ‚Ratschläge‘
bekommen. Die Entscheidung, diese zu ignorieren, hat bewirkt, dass die Tänzer meine
Musik mögen.“
Und
als Schluss-Joke:
„Wer ist D'Arienzo?“
„Irgend so ein Typ,
den der Papst mag.“
Aktuell haben auf dem Forum wieder die Betonköpfe das Kommando übernommen und kloppen sich nun über die „richtige" traditionelle Tangomusik. Da bleibt einem nur noch Sarkasmus - wie dem Kommentator, der jüngst schrieb:
„Ich spiele nichts als die perfekte Tanda: Bahia Blanca 3.5 mal gefolgt von den ersten 17 Sekunden von Queens ‚We will rock you‘ als Cortina. Ich habe noch keine einzige Beschwerde gehört.“
Aktuell haben auf dem Forum wieder die Betonköpfe das Kommando übernommen und kloppen sich nun über die „richtige" traditionelle Tangomusik. Da bleibt einem nur noch Sarkasmus - wie dem Kommentator, der jüngst schrieb:
„Ich spiele nichts als die perfekte Tanda: Bahia Blanca 3.5 mal gefolgt von den ersten 17 Sekunden von Queens ‚We will rock you‘ als Cortina. Ich habe noch keine einzige Beschwerde gehört.“
Fazit
Eine
wunderbare satirische Idee, welche durch die zahlreichen Kommentare noch viel
lustiger wurde! Vielleicht als Erweiterung noch ein Vorschlag: Man sollte eigene Milongas nur für DJs
veranstalten, in denen sie sich gegenseitig mit „Regelkunde“ traktieren. Getanzt würde dort jedoch wohl wenig, da
dies nicht zur Kernkompetenz dieses Menschenschlags gehört…
Ob
etwas Kunst ist oder weg kann, entscheidet halt – nicht nur bei der berühmten „Fettecke“
von Joseph Beuys – der Konsument (oder die Putzfrau):
Erinnert ein bissel an Ursus Wehrli, den Kunstaufräumer ;) LG Manuela
AntwortenLöschenVielen Dank!
LöschenHier noch ein Link dazu:
https://www.kunstaufraeumen.ch/de
Eingreifen, mitmachen, weiterentwickeln. Genau 👍🏻
AntwortenLöschenTango lebt, es lebe der Tangooooh - sic
Liebe Grüße Alessandra
Ganz genau! Bei vielen DJs hab ich das Gefühl, dass sie eher Museumsverwalter sind.
LöschenLiebe Grüße
Gerhard