Karin Law Robinson-Riedl: Meine Tanzografie
Die im Internet
derzeit laufenden Diskussionen kann man so zusammenfassen: Männlicherseits
überwiegt der Standpunkt, es sei ja im heutigen (vorwiegend traditionellen) Tango
alles in Ordnung. Die Mehrzahl der Damen sieht es kritischer: Die Herren würden
schon dominieren, die Frauen müssten sich eher anpassen.
Als ich gestern
darüber mit der liebsten Ehefrau von allen sprach, meinte ich: „Deshalb ist es so
wichtig, O-Töne von Tänzerinnen wie ‚Quotenfrau‘ zu bekommen. Wenn ich Kritik
übe, heißt es nur wieder: ‚Typisch!‘“
Als meine Gattin dann
einige nicht sehr schöne Erlebnisse im Tango Revue passieren ließ, schlug ich
ihr vor: „Warum schreibst du das nicht auf? Ich finde es ganz wichtig, dass
sich Frauen zu diesen Problemen artikulieren!“
Glücklicherweise ging
sie darauf ein. Meinen werten Kritikern sei gesagt: Das ist nicht selbstverständlich
– meine Ehefrau entscheidet sehr souverän, ob, worüber und was sie schreibt.
Daher freue ich mich sehr, ihren Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen:
Karin Law
Robinson-Riedl: Meine Tanzografie
Das
Tanzen fasziniert und begleitet mich seit frühester Kindheit. Die Tanzstunden
mit 16 Jahren sehnte ich herbei. Die ersten Schritte in den „klassischen“
Tänzen hatte ich mir davor schon längst von älteren Mädchen abgeschaut.
Natürlich
lernte man in der Tanzschule damals auch gesellschaftlich korrekten Benimm – passendes,
selbstverständlich verbales Auffordern (schließlich hat man einen Mund zum
Reden) und an den Platz Zurückbringen übten die Herren, freundliches Reagieren
die Damen, (weibliche und besonders männliche) Körbe waren verpönt, Damenwahl
gab es einmal am Abend.
Zunächst
wurden Tanzfiguren und -schritte meist getrennt einstudiert.
Unvergesslich
(komisch im Rückblick), als zum ersten Mal die Männer beim „Kommando“ auf die
in einer bunten Reihe wartenden Damen nur mühsam beherrscht losstürmten, um
sich das Objekt der Begierde so schnell wie möglich zu sichern. Nicht immer
erfüllten sich dabei die weiblichen Wünsche und Sehnsüchte. Aber man hatte ja
gelernt, höflich zu bleiben, und so tanzte man eben mit dem, der auf einen
zukam. Und siehe da, manchmal wurde der Zufallstreffer sogar erfreulicher als
gedacht!
Natürlich
gab es besonders begehrte Tänzerinnen und Tänzer, die das auch wussten und
ausspielten – oft sehr zum Ärger der „Beta-Fraktion“.
Es
zählten Aussehen und tänzerische Qualitäten. Wer in beiden Kategorien punkten
konnte, war ein Star. Jugendlichkeit (heute bei Milongas durchaus ein
männliches Auswahlkriterium) war kein Thema, denn es war ja eh keiner älter als
20!
Nach
der Tanzstundenzeit folgte – viele Jahre später, nach einer Phase in einem
Tanzkreis – der Tanzsport, dem ich mit dem besten aller Ehemänner frönte.
Nun
ging es richtig anstrengend zu: Irgendwelche Aufforderungsrituale spielten hier
keine Rolle, denn man tanzte ohnehin immer mit dem Partner, mit dem man sich
schließlich im (Breitensport-)Turnier möglichst gut platzieren wollte.
Mit
anderen Tänzern drehte man höchstens bei geselligen Veranstaltungen des Vereins
eine Runde. Das war manchmal nicht einfach, denn jeder war auf seine
choreografischen Spezialitäten eingefuchst, die man – auf diesem doch
einigermaßen elaborierten Niveau – einfach kennen musste, um sie hinzukriegen.
Meist blieb es daher bei einfachen tänzerischen Grundmustern, wenn man mit
einem fremden Partner tanzte, denn dieser war es außerdem gewöhnt, dass seine
Partnerin Figuren und Abfolgen kannte, so dass er sie auch nicht mehr so klar
führen musste!
Nach
einigen Jahren erheblichen Kraftaufwands beim Training und bei Turnieren waren
wir es irgendwie leid, unseren Bewegungsdrang in Schrittfolgen für die kurze
und lange Seite des Raumes, nach exakten Vorgaben, die in den Turnieren Punkte
bringen konnten, einzwängen zu müssen. Auch vermissten wir die Harmonisierung
von Musik und Bewegung. Die Musik diente hauptsächlich der Vermittlung von
Takt, Rhythmus und Charakter des jeweiligen Tanzes. Wie aber wäre es, wenn man
Stücke mit wechselndem Tempo, „unberechenbarer“ Dynamik vertanzen könnte? Auch
Stücke, die man nicht kennt?
So
kam 1999 der Tango zu uns. Wir lernten ihn als einen Tanz kennen, der ein Arsenal an
Bewegungsmustern anbietet, das man der jeweiligen Musik anpassen kann. Wir
hatten schlichtweg auch keine Lust mehr, uns in den Kategorien „falsch und
richtig“ vor Wertungsrichtern zu bewegen. Hier öffnete sich ein gigantisch
großes Feld an musikalischen und tänzerischen Herausforderungen. Und was erst die
Tanzpartner betraf: Faszination total, denn plötzlich klappten Tänze mit
wildfremden Menschen, nur weil man völlig aufeinander konzentriert, im stummen
Dialog den Tanz gemeinsam entstehen ließ.
Bis
es aber so weit war, durchlebte ich (wie wohl so manche andere) viele Höhen und
Tiefen. Klar, dass man von den Insidern sofort als Anfänger(in) identifiziert
wurde. Hinzu kam, dass wir beide in unserer Tangoanfangszeit auch nicht mehr zu
den Jugendlichen gehörten.
Frauen
aber nehmen ein etwas gesetzteres Alter von Männern leicht hin, umgekehrt ist
es eher nicht so.
So
wird diese Phase besonders für Frauen oft zum absoluten Test für ihr
Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen und den Grad ihrer Begeisterung für das
(Tango-)Tanzen!
Wie
viele Abende schaffe ich es noch, meine Zeit damit zu „verplempern“,
vorbeischwebenden Paaren zuzuschauen, auch meinem eigenen Mann (der oft ohne
Pause von anderen Frauen aufgefordert wird – damals noch ziemlich direkt ohne
Geblinzel)? Die Seelenlage schwankt zwischen Wut und Resignation, wenn weder
ein Gast geschweige denn der Tangolehrer respektive Veranstalter einen auch nur
eines Blickes würdigen. Auch die Partner der Frauen, mit denen mein Mann tanzt,
haben es nicht nötig, einen Tanz mit mir zu „wagen“.
Aber:
In solch einer Situation erlebte ich es vor Jahren, dass ich von einem Mann
aufgefordert wurde – fast zu meinem Schrecken, denn ich hatte ihn als sehr
versierten und temperamentvollen Tänzer beobachtet. Viele Runden „schenkte“ er
mir (damals noch nicht durch Tandas begrenzt – zu meinem Glück) und brachte
mir, völlig nonverbal und unarrogant, ohne jede Lehrerattitüde, beim Tanzen
bestimmte Techniken bei, von denen ich heute noch zehre. Er hat offenbar
inzwischen die Tangoszene verlassen – schade! Und: danke nochmal!
Nach
ein paar tausend Milongas und vielen Jahren habe ich solchen Frust und Zweifel nun
gänzlich überwunden.
Warum?
Ich nehme die Tangoabende, wie sie sind, ohne Erwartungshaltung. Und ich habe unter
anderem gelernt, ein wenig zu führen. Damit unterhalte und amüsiere ich mich (und
inzwischen sogar erklärtermaßen einige Frauen), wenn der berühmte
„Männermangel“ herrscht oder die Tänzer sich um wenige auserwählte Tangueras
scharen und das sonstige „Material“ ignorieren.
Mögliche
missbilligende und misstrauische Blicke von Männern, denen führende Frauen (aus
den verschiedensten Gründen) nicht passen, sind mir – ehrlich gesagt – egal!
Denn ich weiß, dass ich inzwischen nach einer führenden Runde wieder völlig
problemlos in die geführte Rolle umschalten kann. Wer’s nicht glaubt, darf’s gerne
ausprobieren …!
Ich
mag gerne: die Impulse eines/r Führenden „lesen“, mich darauf einlassen, sie
umsetzen, aber sie auch gelegentlich ergänzen oder vielleicht sogar in eine
unerwartete Richtung lenken. So wird es spannender.
Der
Tango bedeutet für mich keine „weihevolle“ Angelegenheit.
Aber
er ist ein berührender Tanz, der Musik und Bewegung bei den Tanzenden äußerst
emotional in Einklang bringen kann. Jedoch sicher nicht im
Schwarz-Rot-Erotik-Highheel-Pferdeschwanz-Bauch- und Schulterfrei-Nase-hoch-Modus
und sonstigen Klischees, sondern sehr individuell.
Rituale und Regeln, die über die allgemeinen und
notwendigen zwischenmenschlichen Kodizes hinausgehen, überfrachten den Tango. Arrogantes
und ausgrenzendes Benehmen schaden ihm.Foto: www.tangofish.de |
Herzlichen Dank für
den Text! Weder Karin und ich haben den Anspruch, „letzte Wahrheiten“ zu
verkünden. Aber vielleicht können diese Erfahrungen Frauen helfen, die mit dem
Tango anfangen und ähnliche Erfahrungen machen.
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