Wenn eine Tanguera beim Standard spioniert
Bekanntlich verfügt
mein Blog ja inzwischen über eine „Berliner Hauptstadtkorrespondentin“ (wem das
neu sein sollte – einfach mal „Quotenfrau“ in die Suchfunktion eingeben).
Jüngst erhielt ich
von ihr einen Beitrag, der mich an vergangene Zeiten erinnert: Ich habe ja
von meinem 17. bis 55. Lebensjahr teilweise sehr intensiv die Standard- und
Lateinamerikanischen Tänze betrieben, während die Autorin in dieser Disziplin
lediglich den üblichen Jugendlichen-Anfängerkurs vorweisen kann.
Wie wirkt diese Szene
auf eine „Fast-nur-Tanguera“? Es spricht für ihre Aufgeschlossenheit, dass sie
sich einen Nachmittag lang in diese fremde Welt begeben hat:
Wenn eine Tanguera
beim Standard spioniert
Es
gibt in Berlin eine kleine Freilufttanzfläche, wunderschön gelegen am Wasser am
Rande eines Parks, mit täglich wechselnden Tanzstilen. Ich war dort wenige Male
zum Tango, denn der Sperrholzboden ist für Tangueras keine Freude, und
musikalisch gibt es leider nur das alte Geschrammel. Drumherum findet sich
Gestühl für Heerscharen an Touristen, die bei Pizza und Pommes das bunte
Treiben auf der Tanzfläche verfolgen und ihre Kurzweil am kostenlosen
Rahmenprogramm haben – so das Geschäftskonzept der Gastronomie dort.
Am
Dienstag Nachmittag trifft sich an diesem Ort die Standardgemeinde, und da
wollte ich mir einmal angucken, was die so treibt. Zuvor gibt es eine Stunde
Anfängerunterricht, gefolgt von den Fortgeschrittenen – auch da wollte ich mir
ein Bild machen. Den Anfängern wurde der Grundschritt des Cha Cha Cha nahegebracht.
Es sah ähnlich ungelenk aus wie die ersten Versuche im Tangogenre, aller Anfang
ist halt schwer. Das Ganze fand unter sengender Sonne bei 30° statt, aber
trotzdem hatten sich sieben Paare eingefunden. Ich selbst hatte im Touriblock
ein Schattenplätzchen ergattert und nuckelte entspannt an einem überteuerten
Mineralwasser. Anderen beim Rackern zuzusehen ist ja auch mal ganz nett.
Danach
gab es Jive für Fortgeschrittene mit noch mehr leidenswilligen Paaren. Dort
wurde eine anspruchsvolle Sequenz gelehrt, was die Paare heftigst ins Hüpfen
brachte. Der eine oder andere hatte sein Vorwissen wohl etwas überschätzt, aber
das kennen wir von unseren F-Kursen auch. Auch diese Darbietung war vom
Schattenplatz aus wohl zu genießen.
Mit
Abschluss des Unterrichts begann das Standardtanzen für jedermann, viele
lauerten schon am Rande. Wenige Tänzer tauschten untereinander, das ist beim
Standard eher nicht üblich. Erstaunlicherweise fanden sich sofort vier
Männerpaare auf der Tanzfläche, später wurden es noch mehr, und auch ein paar
Frauenpaare. So präsent ist die gleichgeschlechtliche Szene beim Tango nicht,
nur vereinzelt sieht man solche Paare. Zum Tango trifft man sich wohl eher auf
separaten Queer-Milongas. Beim Standard wird offenbar ohne
Sonderveranstaltungen mitgemischt.
Als
Walzer gespielt wurde, hatte ich größte Sorge wegen des Platzes, da dieser Tanz
sehr raumgreifend ist, und auf der kleinen Tanzfläche dann bestimmt zwölf Paare
herumwirbelten. Übung macht aber auch offenbar hier den Meister, es gab keine
Kollisionen.
Weiter
ist mir die fröhliche Stimmung aufgefallen. Es gibt keine Tandas, sondern nach
jedem Stück wurde der Tanzstil gewechselt, und das ergibt einen bunten Musikmix
von Schlager, Lateinstücken, U-Musik und beliebigen Liedern im 3/4-Takt. Keiner
hatte einen Gesichtsausdruck wie nach dem Zahnarztbesuch, so wie auf Tradi-Veranstaltungen
üblich.
Das
Tanzniveau war gemischt, von wackeligen Anfängern, die auf ihre Füße guckten, bis
zu geradezu geschmeidig dahinschwebenden Konstellationen. Die Klientel wirkte
sehr unkompliziert und heiter, ohne Allüren und aufwändige Aufmachung. Dies mag
bei Bällen natürlich zumindest optisch anders sein.
Schließlich
kam es, wie es kommen musste: Ein reiferer Herr steuerte auf mich zu und forderte
mich auf. Ich erklärte, dass ich nur zugucken wolle und nur Tango argentino
könne. Es half jedoch alles Winden nichts, ich musste ran – er würde mir schon
zeigen, wie es geht. Der erste Tanz dürfe Foxtrott gewesen sein, aber nagelt
mich bloß nicht darauf fest! Die Schritte hat er eine Runde angesagt, dann
hatte ich die Abfolge heraus. Danach kam ein Cha Cha Cha, leicht zu erkennen.
Mit 16 hatten mich meine Eltern in eine Tanzschule genötigt, weil sie meinten,
das gehöre zur Allgemeinbildung einer bürgerlichen Tochter. Der Haken war nur,
dass ich in diesem Alter bereits 1,82 m vorweisen konnte, die
pubertierenden Jungs aber noch auf ihren Wachstumsschub warteten. Wir wollen
diese traumatischen Erlebnisse nicht vertiefen und alte Wunden aufreißen....
Jedenfalls habe ich die Karriere im Standardbereich frühzeitig beendet,
trotzdem wohl ein paar Rudimente hängengeblieben sind.
Der
Cha Cha Cha fiel mir am leichtesten, hat er doch viel von Gehen, da gelangen
auch so eine Art Salida amerikana und ein seitlicher Krebsgang nebst Drehung,
das machen Neomännchen manchmal mit mir. Zur Krönung gab es dann noch einen
Standardtango, da musste ich mich eine Weile in die Abfolge reinfühlen, dann
lief aber auch dies. Der Herr war sehr geduldig und nett und hat mir eine Riesenfreude
bereitet. Da dieses Erlebnis nicht zu toppen war, habe ich dann die
Gesellschaft sich selber überlassen und das Grinsen lange Zeit nicht aus dem
Gesicht bekommen.
Ich
glaube, als Tangomensch vermag man die Grundschritte der Standardtänze schneller
zu lernen – irgendwie kann man das Knie
bei allen Tänzen ja auch nur in eine Richtung knicken und braucht wohl die
exakte Präzision des Tango nicht. Das Umschalten bei jedem Tanz in einen
anderen Modus erfordert aber bestimmt Übung und von der Führungskraft ein gutes
Musikverständnis, muss er doch aus zehn Tanzstilen postwendend den richtigen
auswählen. Als Neo-Tante hat mich vor allem die Lebensfreude und bunte
Musikauswahl begeistert, ich vertanze beim Tango als Führende ja auch
grundsätzlich alles. Und warum? Weil ich´s kann!
Der
konspirative Ausflug in die Standardwelt war ein voller Erfolg. Manchmal lohnt
es sich, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um den Horizont zu erweitern.
Nur
schade, dass man tagsüber arbeiten muss, das stört einfach beim Ausdehnen meiner
derzeitigen argentinischen Tanzkunst von Folgen und Führen auf noch weitere
Gebiete. Vielleicht doch mal Lotto spielen....
Wieder einmal bedanke
ich mich herzlich bei der Autorin „Quotenfrau" für die trefflich geschilderten Eindrücke!
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