Sabbel-Tango
Die
Damen des von mir sehr geschätzten Blogs „Berlin
Tango Vibes“ (die fast ebenso häufig veröffentlichen wie ich) sind
Meisterinnen des Themas „Eigentlich
wollte ich ja nicht, hab dann aber doch…“ Damit kann man gerade als Autorin
Dialektik mit Augenaufschlag wunderbar verkaufen.
Unter
dem Titel „Master of Small-Talk“
verkündet eine derzeit wohl im Tango-Mekka weilende Mitbloggerin, sie sei
eigentlich keine Freundin dieser Art von belanglosem Kurzgespräch.
Logischerweise fiel sie dann auf einen „Big
Talk“ herein:
So
gelang es einem unbekannten Tanzpartner, der sie (seffaständlich) via Cabeceo aufgefordert
hatte (sprechen geht ja erst hinterher), ihr via Interviews zwischen den einzelnen Musikstücken folgende Informationen herauszuleiern:
·
Name,
Herkunft
·
Gefällt
es ihr in Buenos Aires?
·
Wo
hat sie Spanisch gelernt?
·
Anlass
ihres Aufenthalts
·
Angaben
zum derzeitigen Job
·
War
ihr Tangolehrer Argentinier?
·
Besuch
welcher Festivals?
·
Gefällt
ihr Tango?
·
Philosophie,
Verständnis des Tangos
·
Milongas
in Buenos Aires
·
Lieblingsorchester,
Lieblingstanda?
·
Stimmungen,
Gefühle im Paar
Zu
Recht stellt die Schreiberin fest: „Ich
bin mir auf einmal nicht mehr sicher, ob das Gespräch nun Beiwerk des Tanzes
ist oder der Tanz Beiwerk des Gesprächs.“
Ob
und inwieweit sich ihr Tanzpartner offenbart hat, erfahren wir nicht. Es war
doch wohl mehr eine einseitige
Ausfragerei.
Man
muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Das sind die Frauen, welche im
Internet zu harmlosen Themen wie Tango nicht auf ihre Anonymität verzichten wollen. Da bleibt lediglich festzustellen: „Datenkraken“
haben oft nur zwei Arme…
Nebenbei:
Glücklicherweise gab es auf dieser Milonga (in Buenos Aires!!) keine Cortinas – es blieb also Zeit
genug.
Solcherlei
Gesabbel zu Beginn der Musik breitet sich ja auch bei uns aus – in der
Hauptstadt der Tangositten jedoch ist man darin wohl unschlagbar.
Das
bringt mich auf ein Thema, über das ich mich schon lange ärgere: Bekanntlich
ist man im konservativen Tango schnell mit großen
und ausschließlichen Worten bei der Hand: Nichts geht beispielsweise über
die Musik – sie allein bestimmt das
Tanzen. Ah so? Und was ist dann der Grund, sie erstmal eine Minute
durchplempern zu lassen, bevor man sich allmählich an den ersten Schritt macht?
Als „Instinkttänzer“ geht es mir
ganz anders: Wenn ich auf dem Parkett stehe und die ersten Takte erklingen,
muss ich mich bewegen – und zwar die Beine
und nicht die Kehlkopfmuskulatur.
Hat man in „traditionellen“ Kreisen diesen Antrieb weniger, und wenn ja: Liegt
es an der Musik oder an der unzureichenden Genetik, dazu Körperaktionen liefern
zu wollen und zu können? Oder an beidem?
Und
wie steht es um die so viel beschworene Rücksichtnahme
auf andere Tanzpaare, denen man erstmal gemütlich in Weg steht und sie
ebenfalls zum Pausieren zwingt? Oder gilt die „Ronda-Disziplin“ erst später?
Am
historischen Zwang, der Angebeteten auf dem Parkett schnell – unbeobachtet von
Muttern oder älteren Brüdern – ein paar Infos
oder eine Date-Abmachung abzuringen,
kann es inzwischen wohl nicht mehr liegen. Dazu kann man sich ja nach dem
Tanz neben die Dame setzen und sie besinnungslos quatschen – was etliche
Tangueros bekanntlich gerne unternehmen.
Ganz
ähnlich ist es mit der Rolle der Texte
im Tangogesang: Auch hierbei wird man ja in Kreisen, welche das männliche
Formel Eins-Prinzip der Kreisfahrt (bei stark reduziertem Tempo) auf den Tango
übertragen haben, nicht müde, die alte Tangomusik als unerreichtes „Gesamtkunstwerk“ zu preisen.
Angesprochen auf die Texte gibt man meist unbekümmert zu, davon kaum eine
Ahnung zu haben – frecherweise gerne noch mit dem Zusatz, man sei froh darum:
Schließlich sei das doch meistenteils unerträglicher Kitsch.
Irgendwie
kriege man die Stimmung schon mit –
das reiche doch. Hierzu muss man wissen, dass die EdO-Barden es verstanden, die
gräulichsten Dinge mit munter-süßlichem Optimismus vorzutragen, oft von einer
wirklichen Textinterpretation meilenweit entfernt. Vorsichtshalber ließ man sie
daher wohl oft nur den Refrain singen…
Es
ist das Markenzeichen von Ideologen,
sich die Welt so hinzubiegen, wie es zu den verkündeten Gesetzlein passt. Widersprüche werden schlicht untergepflügt:
Die Musik ist das Allerwichtigste, daher darf man die ersten 40 Takte
verquatschen. Und die Tangotexte sind entbehrlich, daher sortiert man die
Tandas nach Sängern. In den Weg stellen ist okay, im Gegensatz zum In den Weg
tanzen. Man könnte in sozialistischen Politbüros
davon lernen, wenn es nicht schon zu spät wäre!
Für
mich mangelt es am Grundverständnis:
Tango ist keine verbale, sondern eine Bewegungssprache.
Ein paar nette Worte vor oder vor allem nach dem Tanz sind okay – ansonsten jedoch
bin ich um jeden dankbar, der vorwiegend die
Klappe hält. Multitasking-Fähigkeiten sind wünschenswert, aber an solchen
Anforderungen mangelt es schon beim reinen Tanzen nicht.
Daher
meide ich Tangoveranstaltungen, die einen „gesellschaftlichen“
Anstrich haben. Schon das „Ankommen“ auf einer Milonga bedeutet für mich,
in die Musik, die Stimmung einzutauchen, mir mögliche Tanzpartnerinnen
anzusehen. Wenn mir dann gleichzeitig längere Geschichten aufs Ohr gedrückt
werden, bleibe ich irgendwie „außen vor“.
Zudem,
das gestehe ich freimütig, verbinden mich mit den meisten Menschen im Tango
eben Musik und Tanz – und ansonsten wenig. Ich fürchte mich oft geradezu davor, mehr zu erfahren: Wenn es tänzerisch
wenig Übereinstimmung gibt, wozu dann? Und, noch schlimmer: Sollte es auf dem
Parkett ein tolles Erlebnis werden und ich dann hören, die Tänzerin sei
überzeugte Esoterikerin, Impfgegnerin oder wähle CSU… si tacuisses!
Mir
ist es auch völlig rätselhaft, wie man sich aus einem intensiven Gespräch heraus sofort auf die Tanzfläche, also in die
Musik stürzen kann. Daher haben redende Damen bei mir nur geringe Chancen,
aufgefordert zu werden. Und man will ja auch nicht stören…
Daher
hätte ich anstelle der Berliner Autorin meinem wissbegierigen Tanzpartner mit
dem geantwortet, was Frauen besonders gut können – einer Gegenfrage: „Wollen wir reden
oder tanzen?“
Es
gibt allerdings eine Ausnahme, bei der ich ebenfalls zu Gesprächen neige: Wenn auf einer Milonga Musik und tänzerische
Gegebenheiten so furchtbar sind,
dass ich es vorziehe, sitzen zu bleiben. Allerdings gleiten meine Themen dann
leicht ins Satirische ab…
P.S.
Die Autorin berichtet im obigen Artikel: „In
Buenos Aires ist der ‚Zwischen-den-Tangos-Talk‘ aber noch viel bedeutender als
bei uns. Hier wird gern das halbe Lied durchgequatscht.“
Na
ja, nicht ganz!
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