Weltrettung mit der Dampframme
Über
die Facebook-Seite von Michael Paul
bin ich auf einen Text von Heike Stubbi
(oder Stuber?) gestoßen, der offenbar in diesem sozialen Medium überwältigende
Zustimmung gefunden hat: Über 30000 „Gefällt
mir“-Reaktionen, mehr als 22000 Mal
wurde er geteilt.
Soweit
ich erkennen konnte, arbeitet die Autorin als Krankenschwester in Lahnstein (Pfalz). Ich gebe ihren Appell hier in
voller Länge wieder – habe ihn aber
zur besseren Lesbarkeit sprachlich korrigiert und mit Absätzen versehen:
„Liebe
Verschwörungszworbler, Ignoranten, Dumpfbacken, Hobbyagenten, Oberschlauis,
Kleinkaromenschen, Superegoisten.....
Meine Kollegen und
ich stehen an der Coronafront. Wir kämpfen um das
Leben von Menschen. Es ist mir scheißegal, ob Corona erfunden wurde, um uns
alle zu versklaven und in die Minen von Isengard (Anm.:
Festung in Tolkiens ‚Herr der Ringe) zu
schicken, es ist mir scheißegal, ob irgendwelche Statistiken (die Hure der
Mathematik!) sagen, dass nur x Prozent der Deutschen möglicherweise und
eventuell und überhaupt vielleicht erkranken und sterben, es ist mir sowas von
scheißegal, ob Mimimi abgehen wegen persönlicher Einschränkungen und man nun
doch nicht anlässlich irgendeines Grundes zum allseits beliebten
Massenbesäufnis blasen kann, es ist mir total scheißegal, ob Muttis und Papis
heulen, weil sie gezwungen sind, sich nun tatsächlich mal selbst um die eigene
Nachzucht zu kümmern....all das (und noch so einiges mehr ) geht mir meilenweit
am A.... vorbei.
Wenn
Menschen sterben müssen, weil ihr, die Ignoranten und Egoisten, nur euch seht
und eure ‚Nachteile‘, weil ihr, liebe Verschwörungsfanatiker, mal wieder zum x-ten
Mal die Apokalypse schlechthin und die Versklavung der Menschheit im Besonderen
seht, ihr Dummies, die ihr glaubt, gegen alles immun zu sein, weil genug Alk
durch die Adern fließt....dann hört bei mir der Spaß auf.
Ihr
meint ihr seid stark... bis es einen eurer Lieben erwischt und ihr nur noch
hinter der Glasscheibe zugucken könnt. Ich bin es leid, von Menschen mit
offenbar großer Klappe, aber proportional entsprechendem kleinen Hirn zu lesen,
was man sich daheim am Wohnzimmertisch aus den Fingern saugt.
Im
Gegensatz zu euch allen sehe ich die Realität... und die ist äußerst unschön.
Ich kann stellenweise nur noch mit dem Kopf schütteln angesichts mancher
Mitmenschen, die offenbar den Schuss nicht gehört haben. Und ich habe die
schreckliche Ahnung, dass nicht nur Corona Opfer fordert, sondern ein ganz altes
und gut bekanntes Virus... der Egoismus.“
Dass dies dem Essener Tangolehrer Klaus Wendel gefällt („Endlich mal Tacheles“), wundert mich
nicht. Doch auch die sonstigen Kommentare
gehen in diese Richtung: „Du sprichst mir aus dem Herzen“, „DANKE,
Heike, für deinen Dienst an der Front“.
„Front“ halte ich da für
eine treffende Bezeichnung. Ich habe mich ein wenig auf der Facebook-Seite der
Dame umgesehen: Da sind auch weniger
lebensbedrohliche Probleme wie die Parkplatz-Situation vor ihrer Klinik stets
äußerst dringend bis skandalös – und Opponenten werden
gleichfalls mit solch drastischem Filibuster
beschossen. Übrigens ist der Text nicht mal originell: Verschiedene medizinisch Beschäftigte haben sich schon
ähnlich geäußert.
Damit wir uns nicht missverstehen: Inhaltlich stimme ich in großen Teilen mit der Beschwerdeführerin
überein. Das ganze Verschwörungs-Gesumse
halte ich nicht erst seit Corona für abartig, ebenso die zahlreichen Egoismen, mit denen viele gerade für
sich oder ihre Lobby eine Extrawurst gebraten haben wollen. Ich habe dazu oft
genug geschrieben. Und klar: Meine Hochachtung
für das, was nicht erst jetzt auch und vor allem im Medizin- und Rettungsbereich geleistet wird, steht außer Zweifel.
Was mir aber schon lange vor der Krise immer wieder
auffiel, ist der keifende Tonfall,
mit dem man gerade in den Pflegeberufen
auch auf die eindrischt, welche sich seit längerer Zeit wenigstens bemühen, dort bessere Arbeits- und
Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, für mehr Arbeitskräfte zu sorgen. Im
Zweifel ist dann speziell der Bundesgesundheitsminister absolut verachtenswert
und wirklich das Letzte – zumindest, wenn es nach FB-Gruppen geht, in denen Krankenschwestern und Pfleger zum Halali blasen.
Ganz ehrlich und angesichts der Tatsache, dass ich noch
nie mein Kreuzchen bei einer C-Partei gemacht habe: Wäre ich Jens Spahn, hätte ich den Kram schon
längst hingeschmissen – Arbeitszeiten jenseits derer von Pflegekräften und sich
dafür täglich beleidigen lassen? Da hätte
ich schon lange gesagt: Sucht euch doch einen Dümmeren…
und unbesorgt – man würde einen finden!
Nun bin ich der Letzte, der eine gepflegte verbale Attacke verachtet – je größer der Missstand, desto
schärfer darf eine Aussage schon sein. Aber man kann die Suppe auch versalzen,
wenn man im Stil vulgärer Vorstadtweiber herumhetzt. Vor allem aber: sich Sympathien verscherzen. Und die
bräuchte man dringend, wenn es nach der Krise darum gehen wird, langfristig die Arbeitsbedingungen in
der Pflege zu verbessern. Derzeit erfreut man sich dort größter Hochachtung. Menschen stehen an Fenstern und auf Balkonen
und applaudieren für ihre „Helden“.
Ich halte es dann aber für verheerend, wenn ich Reaktionen
lese wie „Spart euch euren Beifall!“
Und abgesehen von strategischem Nützlichkeitsdenken:
Für mich gehört zum Pflegeberuf menschliche Empathie, ja vielleicht sogar, ihn nicht als Beruf, sondern als Berufung
zu sehen. Passen dazu Kaskaden von Schimpfwörtern? Ein „Job“ ist die Pflege
jedenfalls nicht. Wer so denkt, hätte sich besser einen anderen Broterwerb
suchen sollen.
Ich habe von diesen persönlichen
Erfahrungen noch nie öffentlich berichtet: Meine Eltern waren in ihrem letzten Lebensjahrzehnt einige Male zur stationären
Behandlung in einem großen Klinikum.
Direkte menschliche Zuwendung habe ich bei diesen Gelegenheiten selten erlebt –
und zwar nicht wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, sondern weil man die
Pflegekräfte öfters vom voll besetzten Kaffeetisch wegscheuchen musste, wenn
man ein dringendes Anliegen hatte.
Meine Mutter starb
dann im Klinikum unter ziemlich mysteriösen
Umständen. Offenbar hatte man eine Pneumonie nicht rechtzeitig erkannt –
man behandelte ja ihren Diabetes. Als sie schließlich im Bad zusammenbrach und
erst nach längerer Zeit gefunden wurde, half auch die Intensivstation nichts
mehr. Was man sicher weiß: An Corona
hat sie nicht gelitten.
Mein Vater kam darüber nie hinweg. Eine Klage gegen das Krankenhaus, die er
lange anstrebte, war aussichtslos: In den Krankenakten fehlten gewisse
Eintragungen – nicht beweisbar.
Es wäre nicht verkehrt, wenn es auch einer Heike Stubbi einleuchten könnte, dass
die meisten Dinge zwei Seiten haben –
manche sogar noch mehr. Daher sollte man sich genau überlegen, was und vor
allem wie man schreibt.
Solche „Wutreden“
haben natürlich primär großen Erfolg,
da spektakulär. Hätte sie dieselben
Missstände in maßvolleren Worten angeprangert, wäre sie wohl bei meinen
Zugriffszahlen gelandet.
Letztlich sind diese Texte gegen was auch immer
Anwendungen der alten Formel, wonach der Zweck
die Mittel heilige. Man muss also
lediglich ein heiliges (oder
geheiligtes, vielleicht sogar scheinheiliges) Ziel vorweisen, um auf jeglichen Respekt vor Andersdenkenden verzichten zu können, und schon jubelt
das Volk bei der Steinigung – Monty Python lässt grüßen…
Die Wichtigkeit des Ziels ist übrigens kein Kriterium: Ob man nun Todkranke behandelt oder die Códigos im Tango verteidigt – sprachlich ist das kaum zu unterscheiden.
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenSo sehr mich das Kompliment auch freut - ich veröffentliche Kommentare nur bei Nennung des vollständigen Namens!
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