Die Ziehung der Corona-Zahlen
Derzeit
wird der gemeine Mediennutzer wie nie zuvor mit Statistiken überschwemmt. Keine Nachrichtensendung kommt ohne die
Fallzahlen neu Infizierter,
inzwischen Genesener sowie Verstorbener aus. Auf zig
Facebookseiten hauen sich amateurmedizinische
Kontrahenten gegenseitig wissenschaftliche Diagramme und Kurvenverläufe um
die Ohren.
Das
Schöne daran ist: Jeder findet eine Statistik, die seine Ansichten zu
bestätigen scheint.
Auf
der hervorragenden Seite „Faktenfuchs“ des Bayerischen Rundfunks fand ich eine hoch
interessante Seite mit dem bezeichnenden Titel:
„Häufig gestellte Fragen zu den Corona-Statistiken“
Kann
man die Zahlen aus verschiedenen Ländern vergleichen?
Da
rät man zu größter Vorsicht:
„Die Zahlen
unterschiedlicher Länder lassen sich nur schwer miteinander vergleichen.
Zwischen den einzelnen Ländern gibt es große Unterschiede in der Demografie,
dem Gesundheitssystem und vor allem in der Art und Weise, wie getestet wird.“
Die
Getesteten in Italien beispielsweise seien im Schnitt deutlich älter als in Deutschland, zudem würden
in südlichen Ländern Senioren mehr ins Sozialleben
integriert – eigentlich sehr positiv, vom Ansteckungsrisiko her dagegen
nicht so toll.
Gibt es genaue
Angaben zur Zahl der genesenen Menschen?
„Nein, das RKI
erfasst diese Zahlen nicht, da es keine Meldepflicht für Genesungen gibt. Die Zahl
der genesenen Menschen ist eine ungefähre
Schätzung und beschreibt die Zahl der erkrankten Menschen, die zum jetzigen
Zeitpunkt wieder gesund sein müssten. Das RKI gibt diese Schätzung in ihrem
täglichen Lagebericht als eine Art ‚Mindestanzahl‘ an.“
Simpel
ausgedrückt: Ist jemand positiv getestet
und sein Name taucht in den nächsten zwei, drei Wochen nicht in der Todesstatistik auf, wird er es wohl überlebt
haben. Die bislang völlig unbekannte „Dunkelziffer“,
was die tatsächlich Infizierten betrifft, gibt es natürlich noch obendrauf.
Da
man ansonsten in Deutschland (und gar EU-weit) jeden Dreck verordnet, wäre
schon zu fragen, ob man in diesem Fall nicht eine Meldepflicht anordnen sollte. Das Gesundheitsamt könnte die
Patienten ja mal anrufen und sich nach dem Wohlergehen erkundigen – wäre doch
nett…
Auch
bei der beliebten Verdopplungszeit
der Neuinfektionen hat man die freie Auswahl:
„Die Verdopplungszeit
ist jedoch kein feststehendes Maß, sondern verändert sich je nachdem, wie viele
Tage man zurückblickt, um die Verdopplung zu berechnen. Wie groß dieser
Berechnungszeitraum ist, hängt vor allem davon ab, ob eher die kurzfristige
oder die langfristige Entwicklung im Vordergrund steht. Da die Zahl der
Neuinfektionen zurzeit eher abnimmt, führt ein längerer Berechnungszeitraum zu
kürzeren Verdopplungszeiten (schlechter). Umgekehrt ergibt ein kürzerer
Berechnungszeitraum eine längere Verdopplungszeit (besser).“
Da
staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich!
Am
lustigsten aber (sorry, unpassendes Wort) wird es bei den Todesraten, wo es wirklich zu einem Todes-Raten ausartet:
Das
beginnt schon damit, dass hierzulande Todesursachen
generell mit ziemlicher Schlampigkeit
ermittelt werden. Jeder, der über ein bestandenes medizinisches Staatsexamen
verfügt, darf (zu lausigem Honorar) eine Leichenschau durchführen. Daher und
auch wegen der nicht gerade appetitlichen Aufgabe geben sich viele Ärzte mit
einem oberflächlichen Blick zufrieden und attestieren öfters eine Verlegenheitsdiagnose wie „Herzversagen“.
Dass dabei schon einmal Strangulationsmarken, Schusswunden oder sogar das
Messer im Rücken übersehen werden, weiß jeder Rechtsmediziner. Erst recht bleiben
Pflegemängel unentdeckt – welcher „Heimarzt“
mag da einen Konflikt mit der Einrichtung riskieren?
Fast
die Hälfte der Diagnosen auf den Totenscheinen halten einer Obduktion nicht stand. Immer mehr
Institute für Rechtsmedizin werden zusammengelegt oder geschlossen. In den
Kliniken sind pathologische Sektionen
(also zur Aufklärung einer tödlichen Krankheit) inzwischen eine Seltenheit. Es gibt keine verlässliche
Statistik, wie viele Verstorbene bei uns überhaupt obduziert werden – geschätzt
werden wenige Prozent.
Rechtsmediziner
(inzwischen wohl im Fernsehen häufiger als am echten Sektionstisch) fordern seit langer Zeit, Totenscheine sollten nur von speziell ausgebildeten Ärzten erstellt werden dürfen, plädieren
für höhere Sektionsraten. Doch all
diese Bemühungen verliefen bislang im Sande:
Tote haben keine
Lobby.
„Momentan wird nicht
unterschieden, ob Patienten ‚mit Covid-19‘ oder ‚an Covid-19‘ sterben. Sprich:
Ob ein Mensch an der durch das Coronavirus verursachten Krankheit stirbt oder
an einer etwaigen Vorerkrankung, ist oftmals unklar.“
https://www.br.de/nachrichten/wissen/haeufig-gestellte-fragen-zu-den-corona-statistiken,Rvmnej4Logisch, dass man in der amtlichen Gesundheitsverwaltung kein großes Interesse zeigt, woran die „nach einer Corona-Infektion“ Verstorbenen wirklich dahinschieden. Das Robert Koch-Institut verlautbarte hierzu:
„Eine innere
Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierenden Maßnahmen sollten
vermieden werden. Sind diese notwendig, sollten diese auf ein Minimum
beschränkt bleiben.“
Da
sind renommierte Rechtsmediziner wie der Hamburger Institutsleiter Professor Klaus Püschel anderer Ansicht. Einzig
in der Hansestadt werden verstorbene Corona-Infizierte reihenweise obduziert. Seine
„Kunden“ jedenfalls seien alle schwer
vorgeschädigt gewesen, Corona habe lediglich den „letzten Tropfen“ gebildet,
der dann das Lebenslicht auslöschte.
Nun
muss ja diese Einzelerfahrung nicht
unbedingt auf die Fläche übertragbar sein – nur frage ich mich, wieso man
solche Untersuchungen nicht längst ausgedehnt hat. Auch für das tatsächliche Wirkungsgeschehen einer
Corona-Erkrankung wäre dies doch nicht gerade uninteressant!
Der
Präsident des Bundesverbands Deutscher Pathologen, Karl-Friedrich Bürrig, und der Vorsitzende der Deutschen
Gesellschaft für Pathologie, Gustavo
Baretton, äußerten jedenfalls in einem gemeinsamen Schreiben an das RKI:
„Gerade aktuell
sollten Obduktionen bei diesen Verstorbenen nicht vermieden, sondern im
Gegenteil so oft wie möglich durchgeführt werden, auch um den Zusammenhang mit
anderen Grunderkrankungen der Verstorbenen zu erhellen. Daran besteht ein hohes
öffentliches Interesse."
Inzwischen
hat man am RKI halbherzig eingelenkt
– na ja, wer unbedingt wolle, dürfe schon…
Mit
den Sterblichkeitszahlen bei Corona,
so offenbar die offizielle Linie, gedenkt man ebenso herumzuschlampen wie seit
vielen Jahren bei der Influenza. Hier
findet und fand nur in relativ wenigen Fällen überhaupt ein Erregernachweis statt – oder gar eine Obduktion zur Klärung der konkreten
Todesursache. Nein, die Zahlen beruhen auf der so genannten „Übersterblichkeit“ in den
Wintermonaten. Sprich: Die Zahl derer, welche in dieser Zeit mehr den Löffel
abgaben als sonst, hatten wohl die Grippe!
Ich
muss gestehen, dass ich es kaum glauben konnte, als ich mich vor einiger Zeit
mit diesen Fakten beschäftigte. Das ist schon satirewürdig: Sollte es am RKI
ein Labor geben, hält man dort wohl
vor allem Katzen und Kristallkugeln…
Nicht
weniger amüsant ist die Tatsache, dass die Meldung der Fallzahlen von den
Gesundheitsämtern an das RKI bis zu zwei Tage braucht – öfters angeblich noch
per Fax. Aber Jens Spahn will die Ämter nun per Fördergeld technisch aufrüsten.
Werden die sich freuen, wenn sie den ersten Computer bekommen…
Vielleicht
werden solche Pannen dann weniger:
Ich
möchte gewiss nicht in das populistische Gejammer über die „unfähigen Behörden“ einstimmen. Was im Gesundheitssektor derzeit
geleistet wird, ist bewundernswert – aber eben oft trotz miserabler personeller
und technischer Ausstattung.
Nur
sollte man eines ganz klar sehen: Was momentan zum Thema Corona an Zahlen
herumgeistert, sind häufig vage Schätzungen
auf der Basis von Vermutungen. Es gehört
viel Hintergrundwissen dazu, die Aussagekraft von Statistiken zu beurteilen – vor allem bei diesem Thema.
Das
gilt auch für das landläufig Winston
Churchill zugeschriebene Bonmot:
„Im Übrigen glaube ich nur an die Statistik, die ich
selbst gefälscht habe."
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