Nur ganz kurz…
„Um
eine gute Stegreifrede zu halten, brauche ich drei Tage Vorbereitungszeit.“
(Mark Twain)
(Mark Twain)
Gleich
ein Geständnis: Ich bin ein Rhetorik-Junkie.
Von einer guten Rede kann ich
wochenlang leben – bei einer schlechten
möchte ich weinend unter den Teppich kriechen.
Bei
der Mehrzahl der Ansprachen, denen ich schon ausgesetzt war, suchte ich
verzweifelt nach der Auslegeware, um dem sprachlichen
Sondermüll zu entgehen: Sie vereinten meist einen grauenvollen Einstieg mit einem schwachen Schluss – und das dazwischen war viel zu lang und nicht selten unverständlich.
Wie
bei vielen satirischen Themen hat uns eigentlich Kurt Tucholsky schon fast alles gesagt. Seine „Ratschläge für einen schlechten Redner“ erschienen
1930. Sie sind heute so aktuell wie
damals:
Ich kenne einen Milonga-Organisator,
der seine allabendliche Rede vor den Gästen stets mit den Worten beginnt, die
ich als Titel gewählt habe. Die
kannte schon Tucho:
„Meine Damen und
meine Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich
Ihnen kurz ...“
Prima
– immer schon „drei Meilen vor dem Anfang anfangen“ sowie die Leute fälschlicherweise damit trösten, es werde nicht lang: Zuerst müssen ja die Ehrengäste begrüßt werden – und auch
die eigene Vorstellung nebst kurzem
Werdegang ist ebenso nötig wie die Darlegung, wie es überhaupt zu Ihrem Auftritt
kam und wem Sie dafür alles danken
müssen. Auch das Thema Ihres Vortrags
sollten Sie kurz umreißen, da man es an Ihrem Text vielleicht nicht
erkennen kann.
Ich
weiß meistens schon nach den ersten dreißig
Sekunden, dass eine Rede nicht
funktionieren wird. Das ist nämlich die Zeit, in der die Zuhörer
entscheiden, ob es für sie interessant wird oder nicht. Wenn Sie die mit
irgendwelchen Nebensächlichkeiten füllen,
haben Sie Ihre große Chance vertan!
Daher:
Worüber Sie reden, erkennt man
hoffentlich auch, wenn Sie es nicht extra benennen. Und wenn Sie schon jemandem
danken oder einen Sponsor erwähnen müssen,
geht das gegen Schluss auch noch. An den Beginn Ihrer Ansprache gehört eine Aussage, welche die Zuhörer aufhorchen lässt: Vielleicht eine provokante These, ein treffendes Zitat, ein schönes Wortspiel, eine Anekdote
– was auch immer. Auf jeden Fall aber kein umständliches
Geschwafel, wieso und wozu Sie überhaupt eine Rede halten wollen (oder
müssen). Und dann kommen Sie ohne Umschweife zum Thema!
Zumindest
Ihnen selber sollte schon klar sein, worüber
Sie eigentlich sprechen wollen – und erst dann überlegen Sie sich maximal fünf Gesichtspunkte, welche Sie
unbedingt behandeln möchten. Nicht mehr! Es ist ein häufiger Fehler, ein Thema
in lexikalischer Vollständigkeit durchzukauen. Dann kommen Sätze wie „nebenbei
darf ich anmerken“ oder „ergänzend
wäre noch zu sagen“ – und der Nebel um Ihre Kernaussagen steigt und steigt…
„Die Leute sind doch
nicht in deinen Vortrag gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das,
was sie auch in den Büchern nachschlagen können ... sehr richtig!“
Bei
Ihrem Publikum handelt es sich um Zuhörer
und nicht eine Versammlung von Stenografen, die alles mitschreiben! Wenn Sie Glück haben, bleiben vielleicht zehn Prozent von dem hängen, was Sie
erzählen. Lassen Sie Ihre Rede zusätzlich in Details ersaufen, wird es noch schlimmer! Mit Tucholsky bin ich der (ironischen) Meinung, dass „viel Statistik eine
Rede immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn
verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.“
Daher bin ich auch bei elektronischen Referathilfen wie Power Point eher skeptisch: Oft enden die damit, dass der Vortragende mit dem Rücken zum Publikum seine flimmernden Texte vorliest.
Daher bin ich auch bei elektronischen Referathilfen wie Power Point eher skeptisch: Oft enden die damit, dass der Vortragende mit dem Rücken zum Publikum seine flimmernden Texte vorliest.
Ihre
Hauptpunkte dagegen müssen Sie
herausmeißeln wie griechische Statuen – je griffiger
Ihre Thesen, desto eher bleiben sie haften. Dazu dienen gleichlautende Satzanfänge (Anaphern) oder Satzenden (Epiphern). Und die wickeln Sie Ihrem Publikum gegen Ende in einer Zusammenfassung nochmal um die Ohren!
„Tatsachen, oder
Appell an das Gefühl. Schleuder oder Harfe.“
Ich
meine, eine gute Rede muss stets beides
enthalten – je nachdem halt in unterschiedlichem
Mischungsverhältnis. Ein sachliches
Thema kann man durch kleine Pointen
ungemein auflockern – und auch der witzigste
Anlass gewinnt sehr, wenn es zwischendurch mal ernst wird. Und ja – man sollte fühlen, dass es dem Redner wirklich
nahe geht, was er da erzählt.
Zum
Schluss dürfen Sie gerne im Sinne einer „Captatio
benevolentiae“ dem Publikum ein wenig schmeicheln,
sich bedanken und mit einer witzigen oder eleganten Formulierung enden. Daran sollten Sie mindestens so
lange feilen wie am Einstieg.
Sollte
man eine Ansprache vorher schriftlich
ausformulieren oder anhand von Stichpunkten
frei sprechen?
Tucholskys Ansicht ist da
eindeutig:
„Sprich nicht frei –
das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: Du liest deine Rede
ab. Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende Redner
nach jedem viertel Satz misstrauisch hochblickt, ob auch noch alle da sind.“
Positiv
gesagt: „Klare Disposition im Kopf –
möglichst wenig auf dem Papier.“
Ich
meine, dass es schon auch auf Thema und Länge einer Ansprache ankommt. Auf
jeden Fall aber müssen Sie Ihre schriftliche
Ausarbeitung probeweise vortragen und dann von einem Schreibstil in einen Sprechstil
umformen. Dabei sollte auch ein weiterer Rat unseres großen Satirikers klar
werden:
„Hauptsätze,
Hauptsätze. Hauptsätze.“
In
einer Rede ist überhaupt kein Platz für umständliche
Satzkonstruktionen, die sich bestenfalls beim Lesen erschließen – oder, wie Tucho
es ironisch ausdrückt:
„Sprich, wie du
schreibst. Und ich weiß, wie du schreibst.“
Wenn
Sie Ihre Rede dann ein paar Mal probeweise gehalten haben, schauen Sie auf die Uhr: Richtig – sie ist zu lang! Die Hauptursachen sind Nebensächlichkeiten, umständliche Formulierungen und Redundanz. Ihre Ansprache wird nicht besser,
wenn Sie alles dreimal sagen – Sie gewöhnen das Publikum nur daran, die ersten
zwei Male gar nicht hinzuhören –
kommt ja eh nochmal…
Und
bedenken Sie: Die Zeitvorgaben,
welche Ihnen ein Veranstalter macht, sind Maximalwerte!
Wenn Sie es in der halben Zeit
schaffen, etwas Zündendes zu bieten, wird Ihnen niemand böse sein – im Gegenteil.
Ich meine, es war ebenfalls Meister Tucholsky,
der einmal schrieb, der beste Reden-Beginn
sei der Satz: „Ich komme zum Schluss.“
Der
schlimmste Zwischenruf, der Sie am
Anfang ereilen kann, ist die Aufforderung: „Lauter!“
Nach
meinem Eindruck kümmern sich die wenigsten Redner um gute Hörbarkeit – und damit begraben sie von vornherein Sinn und
Zweck ihres Tuns. Wann immer es geht: Machen Sie vorher einen „Soundcheck“, wobei Sie berücksichtigen
müssen, dass die Akustik sich in
einem vollen Raum verschlechtern wird.
Nach
Möglichkeit versuche ich, ohne
künstliche Verstärkung auszukommen. Erstens sind Mikrofone technische Geräte, die im Ernstfall gerne versagen, und zweitens verzerren sie die Stimme oft sehr – von
Rückkopplungen und Störgeräuschen ganz abgesehen.
Glauben
Sie mir: Mit einer guten Sprechtechnik
ist man erstaunlich weit hörbar! Dazu gehört vor allem, den Mund aufzumachen anstatt
herumzunuscheln. Weiterhin wäre es eine gute Idee, keine Endsilben zu verschlucken und vor allem: langsam zu sprechen. Wenn Sie frei vortragen, geraten Sie auch nicht in Gefahr, mit gesenktem Kopf Ihr Manuskript statt die Zuschauer anzureden. Und modulieren Sie Ihre Stimmlage je nach Aussage:
laut, leise, sanft, dramatisch, witzig oder ernst. Vor allem aber: Übertreiben Sie mimisch und gestisch –
was sich auf die Nähe überzogen anfühlt, wirkt möglicherweise auf 20 Meter
Entfernung noch zu zaghaft.
Weiterhin
eine herzliche Bitte an die Milongaveranstalterinnen:
Lassen Sie das hochfrequente
Babygequäkse, das wir von weiblichen C-Promis kennen! Fahren Sie Ihre
Tonlage um mindestens eine große Terz
herunter: Sonore Stimmen klingen erwachsen und daher überzeugend, schrilles Gezeter dagegen wirkt kindlich und daher eher lästig bis irrelevant.
Was
mich bei vielen Rednern nervt wie die Sau sind die Übersprungshandlungen: Klar,
verhaltensbiologisch pendelt er zwischen Angriff
und Flucht, daher kommen ihm angeborene Aktionen aus anderen
Bereichen in die Quere: Umklammern des Pults (Revierverhalten), Richten der Frisur
oder Brille, Kratzen am Kopf (Körperpflege) oder ständiges Herumnesteln am
Mikrofon (Beutefang?). Es erfordert viel bewusstes
Training, das abzustellen. Und bitte: Lassen Sie stereotype, sich ständig wiederholende Gesten wir das (ein- oder beidhändige) „Dirigieren“!
„Kümmere dich nicht
darum, ob die Wellen, die von dir ins Publikum laufen, auch zurückkommen – das
sind Kinkerlitzchen.“
Auch
wenn nur einer spricht, ist es stets ein Dialog
mit den Zuhörern. Ein guter Redner spürt, ob er „den Saal im Griff hat“, das Publikum so reagiert, wie er sich das
erwartet. Wenn nicht, muss er flexibel bleiben. Wenn man aber Zwischenapplaus
oder einen Lacher möchte, sollte man
den Leuten die Gelegenheit dazu geben, also eine Pause einlegen. Nochmal: Viele Reden sind zu schnell und geben den
Zuhörern zu wenig Möglichkeiten, nachzudenken oder hörbar zu reagieren. Sprechen
Sie nicht an das Publikum, sondern mit ihm!
Liebe
Leser,
es
würde mich freuen, wenn durch meine Tipps die nächste Milonga-Ansage, Geburtstagsrede
oder das Referat in Ihrer Firma
überzeugender gelänge und Tucholsky
somit nicht recht hätte:
„Wenn
einer spricht, müssen die andern zuhören – das ist deine Gelegenheit! Missbrauche
sie.“
Und
hier der Text:
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