Vier Wochen nach Corona



Vor genau einem Monat habe ich zum letzten Mal Tango getanzt – in Pörnbach auf unserer Wohnzimmer-Milonga am 7. März. Und am darauf folgenden Tag noch einmal moderiert und gezaubert. Da fand unser Schlager-Konzert statt.

Insbesondere an diesem Tag war ich schon ein wenig nervös: Während wir bei unserem privaten Tango gerade mal 8 Personen waren, hatten sich zur Schlager-Veranstaltung etwa 100 Gäste angemeldet. War es unverantwortlich, den Event durchzuführen – noch dazu mit Besuchern vorwiegend im Rentenalter?

Nicht nur, dass monatelange Vorbereitungsarbeiten vergeblich gewesen wären – nach den damals bekannten Infektionsraten hätten wir schon riesiges Pech gehabt, wenn eine Ansteckung passiert wäre. Selbst viel größere Veranstaltungen durften zu der Zeit noch stattfinden. Aber es war auf den letzten Drücker – spätestens eine Woche später hätten wir alles stornieren müssen.

Nun, glücklicherweise scheint nichts passiert zu sein – weder uns noch den Gästen. Sonst hätten wir sicherlich längst einen Anruf vom Gesundheitsamt erhalten…

Weitere Musik- und Zaubertermine sind natürlich nun abgesagt respektive auf den Herbst verschoben. Also auf längere Zeit weder Musik noch Magie oder Tanz! Ich könnte nun mit Recht jammern, ein Großteil meines Lebens sei weggebrochen.

Tue ich selbstverständlich nicht – schon aus Prinzip! Es wird ja bereits genügend lamentiert. Vor allem aber wäre es inhaltlich Unsinn: Uns plagen im eigenen Haus keine Mietsorgen, wir müssen keine geschäftliche Pleite befürchten, ja nicht einmal eine Ansteckung am Arbeitsplatz. Wir besitzen einen großen Garten, so dass für genügend Sonne und Frischluft gesorgt ist. Wir haben nette und stets hilfsbereite Nachbarn. Und wir sind zu zweit.

Um letztmals erschöpfend die Frage zu beantworten, wo denn eigentlich Pörnbach liege: sehr naturnah. Von unserer Wohnung aus sind wir nach 300 Metern bereits auf freiem Feld oder am Waldrand – genügend Gelegenheit also für ausgedehnte Spaziergänge.

Ich habe in meinem Leben immer davon profitiert, ganz unterschiedlichen Leidenschaften nachzugehen – neben Unterrichten, Musik, Tanz und Zauberei vor allem dem Schreiben. Nun habe ich unter anderem endlich einmal Zeit, meinem ziemlich dahinsiechenden Zauberblog Auftrieb zu geben, indem ich Kunststücke behandle, die ich vor vielen Jahren bereits in über 40 Zauberkursen an Volkshochschulen vermittelt habe. Es macht mir riesigen Spaß, die „alten Sachen“ wieder auszugraben, die Beschreibungen zu überarbeiten und mit Skizzen und Fotos zu illustrieren.

Weiterhin bin ich gerade dabei, meine Sammlung von sicherlich mehr als 1000 Requisiten zu durchzuforsten und mich immer wieder darüber zu freuen, was sich da im Laufe von über 30 Jahren an Kostbarkeiten angesammelt hat (von denen ich oft keine Ahnung mehr hatte) – viele davon aus dem Bereich der „Mikromagie“. Effekte also, die für einen kleinen Zuschauerkreis geeignet sind.

Bei den meisten meiner über 1000 Vorstellungen konnte ich diese leider nicht einsetzen, da die „Close up-Zauberei“ hierzulande nur wenig nachgefragt wird. Meist waren es doch 30 und mehr Zuschauer, weswegen man größere Requisiten verwenden muss.

Nun habe ich endlich Zeit, wieder einmal die ganzen „kleinen“ Effekte auszuprobieren und neu einzustudieren. Meine Frau ist als Zuseherin stets ein williges „Opfer“, und öfters gibt es auch via Bildübertragung eine kleine Vorstellung für weiter entfernte „Fans“:

Close up-Direktübertragung
Meine Frau arbeitet unermüdlich daran, die Kontakte zu ihrem Kirchenchor und den Instrumentalisten nicht abreißen zu lassen. Jeden Abend um 18 Uhr erklingt ein „Konzert“, an dem die Pörnbacher Musiker – natürlich jeder in der eigenen Behausung – ein gemeinsames kirchliches oder weltliches Lied erschallen lassen. Karin mit Geige und manchmal auch Gesang. Als „Zugabe“ dann noch ein Stück aus dem eher unterhaltenden Bereich – manchmal sogar ein Tango. Inzwischen beschallen wir mikrofonverstärkt schon einen größeren Bereich des Dorfes…

Die Resonanz besteht aus analogem Beifall von Fenstern und Balkonen sowie aus vielen elektronischen Nachrichten, teilweise mit Fotos oder Videos von anderen „Aufführungsorten“. Ich glaube, diese „Jour fixe“ ist für viele ganz wichtig ein Moment des Zusammenhalts und der Verständigung in schwierigen Zeiten.

Um das Thema Tango mache ich derzeit einen Bogen. Vielleicht scheue ich die Erinnerung an bessere Zeiten. Aber dass meine Leidenschaften ziemlich unverändert bleiben, jedoch temporär unterschiedlich stark auftreten, weiß ich schon lange. Daher bin ich sicher: Der Tango wird zu mir zurückkehren – früher oder später.

Was aber erschwerend hinzukommt: Die Reaktionen einer ganzen Menge von Leuten aus unserer Szene – zumindest in den „sozialen“ Medien – finde ich skandalös: Je heftiger die Krise wurde, desto mehr wurde ein Ton angeschlagen, der andere nicht nur verunsicherte, sondern diejenigen, welche zu Maß und Vernunft aufriefen, in unanständigster Weise heruntermachte.

Mir persönlich wurde ja verschiedentlich vorgerechnet, meine eigene Lebenserwartung sei wegen der statistischen Risiken mehr als begrenzt, was offenbar einige Tango-Hansel als durchaus wünschenswert ansehen. Aber da bin ich in guter Gesellschaft:

Wenn beispielsweise über „Merkel und Konsorten“ abgelästert wird, verschlägt es mir den Atem, wie man mit einer Regierungschefin umgeht, die in aller Welt geachtet, ja sogar bewundert wird, die mit großer Ernsthaftigkeit, aber ohne jede Panikmache regiert. Und ich halte mich für relativ unverdächtig, da ich in meinem ganzen Leben noch nie eine Partei mit dem „C“ vornedran gewählt habe.

Vielleicht wären für solche Zeitgenossen Regierende vom Typus „großmäulige Dumpfbacke", wie wir sie seit Längerem weltweit erleben, die bessere Lösung. Da würde dann zusammenpassen, was zusammengehört. 

Ich bin mir jedoch sicher: Zeitgenossen, die heute jeden niedermachen, weil er nicht in die erwünschten Hysterien einstimmt, werden in spätestens drei Wochen über den „Entzug der Freiheitsrechte“ jammern. Hauptsache Dauerempörung   

Als ich mit diesem Tanz anfing, hätte ich das nicht für möglich gehalten. Nicht erst seit gestern aber wird der Ton öfters von denen angegeben, welche uns schon vorher mit schärftsten Tanz-Reglements beglückten. Dass die nun wieder ganz genau wissen, was zu geschehen habe, ist eigentlich logisch. Und: Alle Welt ist blöd, nur sie nicht... 

Wer mich kennt, weiß: Ab einer gewissen Schwelle bin ich nachtragend und vergesse nichts. Bei passender Gelegenheit werde ich in den nächsten Jahren immer wieder darauf hinweisen, welches Gesocks sich da fallweise unter dem Tarnnamen „sozialer Tango“ tummelt.

Dass es selbst auf Facebook auch anders geht, beweist beispielsweise die hiesige Gruppe „Corona Nachbarschaftshilfe Pfaffenhofen“. Da werden keine neunmalklugen Statistiken veröffentlicht, sondern ganz pragmatisch Informationen und Hilfen angefragt und geboten: Wann hat der eine oder andere Laden auf, wo kann ich Essen vorbestellen und liefern lassen, wer besitzt noch geeignete Stoffe für Masken, wer repariert mein Fahrrad – und vieles mehr. Und das alles in einem freundlichen, zugewandten Tonfall!      

Wie wird es mit dem Tango weitergehen? Ich fürchte, in großem Stil wird das noch lange nichts. Und vor allem werden wir Älteren uns in Abstinenz üben müssen – bis eine wirksame Therapie oder noch besser eine Impfung greifen kann. Aber was dann? Milonga-Eintritt nur mit Impfpass oder Antikörpertest? Tanzen nur noch mit dem Lebenspartner und zwei Metern Sicherheitsabstand zu anderen Paaren? Das Ende der „Bussi-Bussi-Gesellschaft“?

Es wird jedenfalls nicht mehr der Tango sein, wie wir ihn die letzten Jahre kannten. Daran werden auch Online-Kurse und digitale Milongas nichts ändern. Ich halte das nicht generell für schlecht. Muss eigentlich auf dieser Welt auch noch das schönste Hobby kommerzialisiert werden?

Daher ich sage voraus: Viele, die Tango bisher als Geschäft betrieben haben, werden es aufgeben und sich einen anderen Lebensunterhalt suchen müssen. Übrig bleiben werden weitgehend die Aficionados, die Amateure, die schon bisher zu kleinen Milongas mit wenigen Gästen eingeladen haben – ohne Aussicht auf Gewinn, oft sogar auf eigene Kosten. Diejenigen, welche momentan nicht die Spendenglocke läuten, da sie auch bisher keinen müden Euro mit dem einstigen Tanz der Auswanderer eingenommen haben. Die mit dem Herzen tanzten und nicht mit der Registrierkasse. Vielleicht landen wir dann wieder bei der Subkultur, wie ich sie vor 20 Jahren kennen- und lieben gelernt habe.

Die momentane Krise lehrt uns, welche Berufe gesellschaftlich wie nützlich sind: Es ist die Stunde der Pflegekräfte, Verkäuferinnen und Lkw-Fahrer, nicht der Pendelschwinger, Coaches und Ocho-Verkäufer. Es könnte nicht schaden, uns daran auch in Zukunft zu erinnern.

Ich gestehe, bei dieser Aussicht ziemlich optimistisch zu bleiben. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass man zur Einsicht, dass weniger mehr sein kann, ohne das Corona-Virus gelangt wäre!

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