Das Karma ist aufgebraucht
„Der
Mensch is' gut, aber die Leut' san a G'sindel!“
Johann
Nepomuk Nestroy (1801 - 1862)
Ich
bin stolz darauf, es sehr früh vorhergesagt zu haben: Der Paradiesvogel Levent Göksu wird die Münchner
Tangoszene gewaltig aufmischen! Schon zweimal habe ich zu diesem Thema
geschrieben:
Seit
drei Jahren veranstaltet er in den wärmeren Monaten Milongas auf dem Münchner
Königsplatz – und zwar jeden Tag, soweit es das Wetter zulässt. Der
Eingangsbereich zur Staatlichen Antikensammlung samt den hinauf führenden
Steinstufen und unter klassizistischen Säulen ist ein magischer Ort in der
„guten Stube“ der Landeshauptstadt:
Was
als „Spontilonga“ begann, hat der
umtriebige Tausendsassa inzwischen
kräftig ausgebaut: Tangounterricht, Gast-DJs, Livemusik, und das ohne
Festlegung auf bestimmte Musik- und Tanzstile – eher so in der Art von „Anarchie ist machbar, Herr Nachbar“.
Selber kam Göksu weitgehend als Autodidakt
zum Tango, und er hat etwas, das vielen Tangolehrern und Veranstaltern fehlt:
eine Riesenportion Empathie. Zweifler küsst er nieder. „Das Leben ist erstmal schön“, so einer
seiner Wahlsprüche. Daher räumte er auch von den Besucherzahlen her in München
ganz schön ab. Auf anderen Milongas flackerten bei schönem Wetter die Lichter –
oder gingen ganz aus.
Mehr
Provokation geht in dieser Szene
nicht!
Bislang,
so gibt er selber zu, waren Tango und Göksu
auf dem Königsplatz nur geduldet.
Keine Chance, sich gegen irgendwelche Störenfriede zu wehren, ja selber
vertrieben zu werden. Dies hat sich nun geändert: Nach seinen Angaben besitzt er jetzt
einen Mietvertrag für diese Location. Der Pferdefuß seien diverse bürokratische
Auflagen – unter anderem müsse das Ganze irgendwie als „geschlossene
Veranstaltung“ laufen. Derzeit bittet er Besucher, sich eine „Jahresmitgliedschaft“ zu kaufen,
welche dann zu ermäßigten Gebühren für Eintritt und Unterricht führe. Für
„Einmal-Gäste“ schlägt er einen Richtpreis von 10 € für die Milonga vor. Um den
Überblick zu behalten, werden farbige Bändchen ausgegeben.
Damit
scheint nun die Krise perfekt zu
sein.
Bislang
hatte Göksu nur einen „Karmaausgleich /
Spende in Hut“ erwartet – so um die 5 €. Dies hatte wohl das Münchner
Publikum in seinem mir bestens vertrauten Strickmuster für eine „Gratis-Milonga“
gehalten – sprich: Eine Menge von Besuchern zahlte gar nix. Das ist ganz
schlecht für’s Karma… Daher ging Levent Göksu gestern mit seinen
Kritikern in zwei Facebook-Posts
scharf ins Gericht. Unter anderem schreibt er:
„Ein Wörtchen an
alle, die nichts bis Kleingeld gegeben haben. Es stand euch noch nie offen
etwas zu geben oder nicht, es war nur die Höhe variabel. Muss ich leider
mitteilen. Dass die fetten Jahre vorbei sind. (…)
Denn ich habe kein
Karma mehr. Und die, die bisher für euch mehr zahlten, will ich auch nicht überstrapazieren.
Und ohne einen Euro in den Hut zu tun braucht mir keiner kommen. Denn da fehlt
die Wertschätzung anscheinend komplett.
Manche haben kein Geld, schenken mir ihre letzten Wertgegenstände oder schämen sich, weil sie nichts in den Hut tun können, und andere lachen mich für meine Dummheit aus.“
Manche haben kein Geld, schenken mir ihre letzten Wertgegenstände oder schämen sich, weil sie nichts in den Hut tun können, und andere lachen mich für meine Dummheit aus.“
In
einem längeren Text wird aufgezählt,
was alles dazugehört, solch ein Unternehmen täglich zu stemmen:
Zur Ehrenrettung
seiner Besucher darf man feststellen: Levent erhält derzeit sehr viel
Zustimmung und Wertschätzung für seine Mühen. Ein Beispiel von vielen:
„Den
Einsatz, den wir genießen können, ohne uns irgendeinen Kopf zu machen, nicht
subventioniert, sondern eine Idee klar umgesetzt. Wer da über diesen geringen
materiellen Einsatz motzt, den frag ich, ob er überhaupt Wertschätzung für so
ein Projekt, das so gewachsen ist, hat, und was treibt einen, der darüber motzt,
an? Ich kann dieses Stänkern nicht nachvollziehen. Sind die, die solche Events
nutzen, ohne eine finanzielle Wertschätzung zu hinterlassen, nicht einfach nur
armselig und, ich drücke es mal noch so nett ich kann aus, unsozial?“
Dennoch wäre man nicht in München, wenn sich gewisse
ZeitgenossInnen davon abhalten ließen, rechtliche
sowie steuerliche Gutachten zu dem
Konstrukt zu liefern:
„Handelt
es sich um einen Verein? Dann fehlt die Eintragung im Vereinsregister. Und die
Satzung. Dann kann man aber auch nicht von einem ‚Mitgliedsbeitrag‘ sprechen,
wenn man eine ‚Jahresgebühr‘ erhebt.
Handelt es sich um eine gewinnorientierte Unternehmung? Dann handelt es sich wohl um eine Ein-Mann-Unternehmung, die nicht eintragungspflichtig ist, die aber dennoch sehr wohl registrierungspflichtig ist. Dann müssen aber auch sämtliche Einnahmen versteuert werden. Das Impressum auf der Webseite gibt aber weder einen Verantwortlichen namentlich an, noch eine korrekte Adresse. (…)
Handelt es sich um eine gewinnorientierte Unternehmung? Dann handelt es sich wohl um eine Ein-Mann-Unternehmung, die nicht eintragungspflichtig ist, die aber dennoch sehr wohl registrierungspflichtig ist. Dann müssen aber auch sämtliche Einnahmen versteuert werden. Das Impressum auf der Webseite gibt aber weder einen Verantwortlichen namentlich an, noch eine korrekte Adresse. (…)
Dass
aber auf einem öffentlichen Gelände jemand eine Abgrenzung mit Eintrittnahme
und Personenkontrolle (mittels Armbändchen) zum Zwecke eines Gewinnstrebens
(Smiley) (= Einkommen oder nennt es auch ‚Entschädigung für seinen
unermüdlichen Einsatz‘) vornehmen darf, das bezweifle ich doch sehr. Das gibt
das öffentliche Recht in der Form, wie der Veranstalter es sich dem Wortlaut
seiner FB-Nachrichten nach vorstellt, einfach nicht her.
Ich stoße mich vielmehr daran, dass sich hier jemand einen legalen Anstrich gibt, wenn alle Indizien dagegen sprechen.“
Ich stoße mich vielmehr daran, dass sich hier jemand einen legalen Anstrich gibt, wenn alle Indizien dagegen sprechen.“
In manchen Gehirnen etabliert sich offenbar sogar die Vorstellung,
der Veranstalter habe seine genauen Geschäftsabläufe
nun öffentlich darzutun:
„Also,
wenn man Levent persönlich fragt, heißt es, dass einen das nicht zu
interessieren braucht. Da er nicht bereit ist, über seine auch sehr
widersprüchlichen Angaben Auskunft zu geben, ruiniert er seinen Ruf schon
selber.“
Und es gibt sehr wohlmeinend klingende Ratschläge an Levent, der
Illegalität zu entgehen:
„Besorge
Dir einen Rechtsanwalt und stelle Deine Veranstaltung auf die richtigen Beine.
So wie derzeit läufst Du nur das Risiko, dass Dir von der Stadt der Tango am
Königsplatz untersagt wird und Du noch obendrein Ärger vom Finanzamt kriegst.
Und korrigiere Deine Webseite um die Angaben des korrekten Impressums.“
Fazit
Ich gestehe freimütig, ein solches
Projekt niemals gewagt zu haben. Man braucht dazu einen grenzenlosen Optimismus und das Vertrauen aufs Gute im Menschen. Und ich bin froh, nicht beurteilen
zu müssen, wie juristisch wasserdicht
die ganze Chose ist.
Was mir aber besonders aufstößt: In den
letzten drei Jahren war die rechtliche
Basis der ganzen Unternehmung sicherlich noch viel wackliger als jetzt. Komischerweise hat da niemand große
Überlegungen zur Legalität veröffentlicht. Jetzt plötzlich, wo Levent
organisatorisch sicheren Boden sucht
und sich zu Recht gegen diejenigen wehrt, die hier einfach abstauben wollen, zeigen sich die
ersten Nachdenkfalten über die Vorschriftsmäßigkeit
des Ganzen.
Darf ich offen bekennen, dies für hochgradig scheinheilig zu halten? Und
der „Ruf“ der Münchner Szene hängt viel mehr von einer elitären Cliquengesellschaft ab als von einem bunten Vogel, der
(nicht nur am Königsplatz) seit Jahren beweist, wie eine Tangoszene auch sein
kann: spontan, kreativ, aufgeschlossen
und ein bisschen anarchisch.
Persönlich war ich noch nie zum Tanzen am
Königsplatz – Steinboden und Dixiklo sind nicht so meins. Und vielleicht für
die Herrschaften mit den finanziellen
Bedenken: Für mich wäre das eine Gesamtfahrstrecke von 150 km plus Parkhaus
und U-Bahn. Da wäre ich schon mal 50 € los, ohne noch einen Schritt getanzt zu
haben. Dennoch würde ich Levent
selbstverständlich den gewünschten Obolus entrichten. Wie er das Ganze veranstaltungstechnisch
und kalkulatorisch auf die Reihe kriegt, ist nämlich allein seine Sache.
Und ich glaube nicht, dass die nunmehrigen finanziellen Bedenkenträger sich aus
Hartz IV-Kreisen rekrutieren. Bei über tausend Zauberauftritten habe ich nämlich die Erfahrung gemacht: Von
denjenigen, die es nicht sehr dick haben, kriegst du zum Schluss auch noch 10 oder
20 € „Trinkgeld“ (oder ein Flascherl Wein) zur vereinbarten Gage, „weil’s so schee war“ – bei solchen, die es sich leisten können,
nicht einen Cent mehr. Und wem es wirklich am Geld mangelt: Wie ich Levent
kenne, dürfte man gratis rein, wenn man ihm beispielsweise beim Auf- oder Abbau
helfen würde. „Mir kehr‘n z’samm“ wäre doch mal ein schönes Motto für die Münchner Szene…
Ich habe hier schon öfter davor gewarnt, den Tango als Erwerbsquelle anzustreben.
Die momentane Affäre bestärkt mich einmal mehr in meiner Skepsis. In den Augen
vieler Besucher sind Milongas noch Teil einer Subkultur. Man erwartet jedoch (gerade in den Metropolen) professionelle Angebote – bis auf den Preis. Nach meiner Erfahrung kann man
eine Milonga in sauberer Weise (also inklusive Raummiete, GEMA und ordentlichen
Gagen für DJs und Musiker) für einen einstelligen Eintrittspreis nicht
realisieren. Dies wird jedoch von der Mehrzahl der Gäste nicht akzeptiert.
Mein Weg ist und bleibt fern des Kommerziellen. Bei unserer privaten „Wohnzimmer-Milonga“
können wir auf den ganzen Käse verzichten – wir machen’s aus Spaß an der Freud‘
und für null Eintrittsgeld. Aber: Sowohl EdO als auch Grattler kommen mir nicht
ins Haus…
Levent
Göksu hat sich anders entschieden – und in seinem
Alter hätte ich vielleicht genauso gehandelt. Für mich strahlen er und seine
Events mehr Tango aus als viele andere Veranstaltungen. Daher hoffe ich für
ihn, er wird die momentane Krise überstehen und den „Königsplatz“ weiter am Leben halten – schon, damit ich heuer doch
einmal dort tanzen kann. Und sollte es ihm derzeit an Karma mangeln:
Ich bring eins mit – versprochen!
Quellen:
Lieber Gerhard, mal wieder vielen Dank für diesen Artikel. Zum einen, weil ich die Statements von Levent beachtlich fand, zum anderen, weil ich es gut finde, mal zu thematisieren, was hinter so einer Veranstaltung steht, besonders, wenn sie solche Dimensionen annimmt. Ich bewundere Levent, ich würde mir das auch nicht antun und auch ich wünsche ihm herzlichst gaaaaanz viel Erfolg!
AntwortenLöschenEs ist egal welcher community man angehört (Tango Golf Photoclub Turnverein Philatelie Fischer Jäger....) wie ein Kommentator richtig sagte, es gibt immer Geber und Nehmer, solche und solche. Ein Glas Bordeaux beim Edelitaliener ist schon schlappe 7-15 Euro wert, aber ein Abend musikalische Bespaßung (so ne Playlist ist ja gleich gemacht.... Hab ich schon gehört) da sind 5-10 Euro ja quasi Abzocke, da verdient sich der DJ ja ne goldene Nase 👃....
Ist halt eine Charakterfrage, denk ich.
Ich MUSS jetzt aber, weil ich weiß, dass viele unserer XPT Tänzer dein Blog lesen, auch sagen, dass wir uns von unseren Stamm-Tänzern sehr wertgeschätzt fühlen und die sich bitte nicht angesprochen fühlen mögen!!!!!
Allen anderen wäre ich auch nicht böse, wenn dein Artikel sie zum Nachdenken bringt.
Mal wieder herzlichst
Alessandra
Liebe Alessandra,
Löschenklar, ich kenne das ähnlich von unserer „Wohnzimmer-Milonga“: Je kleiner eine Veranstaltung ist und je größer der persönliche Bezug zum Gastgeber, desto rücksichtsvoller sind die Gäste. Wenn dann die Masse zunimmt, leidet die Klasse.
Dazu kommt im speziellen Fall: Levent hat sich durch seinen Erfolg bei den Münchner Veranstaltern nicht nur Freunde gemacht. Daher hatte ich es vorhergesehen, dass man ihm bei passender Gelegenheit mal an den Karren fährt.
Liebe Grüße nach Wien
Gerhard