Bloggers go internäschonäl
Der neueste Artikel auf dem
Tangoblog „Berlin Tango Vibes” mutet
– wie schon der Titel der ganzen Seite – wahrhaft international an:
Nun ist es ja generell eine Unsitte, dem deutschen
Tangotänzer zuzumuten, sich durch fremdsprachliche
Texte zu arbeiten. Nun gut, bei dem in der Bundeshauptstadt bekannt hohen
Bildungsniveau mögen solcherlei Wagnisse ja angehen – für meine Leser in der
bayerischen Provinz (lies: hinter den sieben Bergen) will ich allerdings nicht
anstehen, eine kleine Übersetzungshilfe
zu leisten.
Worum geht es also?
Stefanía Colina und Juan Martín Carrara seien „professionelle Tangotänzer und -lehrer aus
Uruguay” und hätten zwei Preise bei
Meisterschaften gewonnen – so schon mal die anfängliche Beeindrucke, gefolgt
von dem nicht weniger schönen Satz zum Gespräch mit Stefanía Colina: „Berlintangovibes (BTV) was honored to
meet her at Transnochando Festival 2018 at Tegeler Seeterassen in Berlin.“
Wow – internäschonäl, indeed. Es fehlt allerdings die
Ergänzung: „…and to do some free advertising for them.”
Welche Neuigkeiten erwarten uns also in diesem „inspiring interview“?
Auf die wirklich an Kreativität
nicht zu übertreffende Eingangsfrage,
wann und warum Stefanía mit dem Tango angefangen habe: Ab dem Alter von vier Jahren
betrieb sie Ballett und Contemporary Dance. Als die Chose dann später auf Tango
umschwenkte, wollte sie ihr alter Herr erst nicht lassen, da er noch von seinen
Eltern wusste, dass es sich hierbei um eine etwas zwielichtige Beschäftigung
handle. Als Töchterlein dann aber lang genug herumnölte, überzeugte er sich
persönlich von der inzwischen eingetretenen Reinheit dieses Tanzes und ließ das
Tangotraining schließlich zu.
Die nächste Frage steigert die
Originalität der Fragestellung noch:
„Was
ist das Geheimnis Nummer eins deines Erfolgs?“
Das weiß Stefanía nicht so genau
(logisch, sonst wär’s ja kein Geheimnis): Nicht nur Tanzen, sondern vor allem Unterrichten mache ihnen viel Spaß –
und dazu hätten sie auch eine eigene Methode entwickelt (welche sie aber ebenso
wenig erklärt). Man erreiche die Menschen damit mehr, und dies habe ihrer
Karriere den entscheidenden Schwung verliehen (klar, und weil man damit auch
mehr verdient; darf man aber in Interviews nicht sagen…).
Welchen Einfluss haben ihre Lehrer auf die eigene tänzerische
Entwicklung genommen?
Vor allem der Respekt vor dem
Tango und dessen Musik sei ihnen vermittelt worden. Einer habe sie immer wieder
gefragt: „Welches
Orchester ist das?“ – und sie
hatte natürlich keine Ahnung. Nun, damit ist ihr eine wichtige
Annäherung an ihr europäisches Publikum gelungen! Ach ja – und Showtanz haben
sie ebenfalls gelernt.
Ihre größte Inspiration jedoch sei ihre Großmutter, eine in Uruguay bekannte
Pianistin, gewesen. Deren Ruhe habe sie am meisten beeindruckt. Selber spiele
sie zwar auch ein wenig Klavier, habe dafür jedoch in diesem Leben wohl nicht
genügend Zeit.
Ein wenig „home story“ darf es dann auch noch sein: Eine kleine Tochter habe
man, das verlange natürlich Opfer. Sie werde bei Europatourneen in London
zwischengeparkt. Der Schlaf komme oft zu kurz. In der knappen Freizeit gehe Stefanía
gern spazieren oder lese ein Buch.
Und ihr lustigster
Tangomoment, welchen die Interviewerin ebenfalls noch wissen will:
Als
die beiden einmal im hochheiligen „La Viruta“ in Buenos Aires tanzten, brachte
es eine Nebentänzerin doch glatt fertig, Stefanía mittels eines gekonnten Boleos
den recht locker sitzenden Rock bis auf die Knie herunterzuziehen. Da
kann man wieder mal sehen, welche Sitten im Tangomekka herrschen! Aber Gott sei
Dank hat’s keiner gemerkt (glaubt sie wenigstens).
Nun
könnte ich mir physikalisch eher vorstellen, einen Fremd-Rock mittels dieser
Fußaktion zu lüpfen – und selber bin ich längst zur Vermeidung solcher Attacken
dazu übergegangen, Hosen mit Gürtel anstatt mit Gummizug zu verwenden. Aber ich
bin auch kein professioneller Tänzer…
Auf
jeden Fall, so auch das Statement der Interviewerin, lehrt man lieber keine
Boleos – und sollte die partielle Entkleidung mal erwünscht sein, bietet
der Tango ja hierzu ein weites Feld anderer Möglichkeiten!
Und
die Rolle der professionellen Tangotänzerin – so die einzige Frage, in
der ich einen Rest von Sinn sehe: Da fällt der Armen nun gar nix ein, was man
öffentlich verkünden dürfte – und so kriegen wir den hundertsten Exkurs zum
bekannten Thema „Führen und Folgen“, das ja Mann und Frau unterscheidet – so ungefähr
wenigstens und irgendwie schon.
Und
wie beeinflussen persönliche Missstimmungen oder gar körperliche
Leiden eine Tangoshow? Na, da muss man halt durch, auch wenn’s schwer
ist. Als ob wir uns das nicht schon gedacht hätten – Berühmtheit hat bekanntlich ihren
Preis. Auch den, dass man auf Milongas nur noch wenig aufgefordert wird. Vielleicht,
weil die Männer sich nicht trauen. Mein Tipp wäre: Eventuell mal etwas Kontakt
zu den Durchschnittsmenschen im Tango suchen und sich nicht in die „VIP-Ecke“
zurückziehen – könnte gelegentlich helfen…
Aber,
wie schon erwähnt, Großmutter war die Ruhe selbst – und auch die Enkelin wolle
sich nicht über Dinge ärgern, die es nicht wert seien. Mit dieser Einstellung
hat sie wohl auch dieses Interview gegeben.
Hier
der Originaltext des Beitrags:
Fazit
Ich
frage mich halt, wozu man mit einer Hofberichterstattung wie dieser die
Zeilen füllen muss. Den Austausch solcher Worthülsen mit irgendwelchen
Zelebritäten kennen wir zur Genüge aus der Yellow Press und der Tangodanza.
Was
mich bei einem professionell arbeitenden Tangopaar viel mehr interessieren
würde, erfahre ich auch hier eher nicht: Welche Musik bevorzugen sie? Ist bei
ihnen tangomäßig 1955 Schluss oder nicht? Worin besteht denn nun ihre
sagenhafte neue Lehrmethode? Welche positiven und negativen Erfahrungen haben
sie mit der Tangobranche? Wie beurteilen sie die wirtschaftlichen Möglichkeiten
in dieser Szene? Wie sehen sie den womöglichen Widerspruch zwischen den
Anforderungen des Marktes und ihren persönlichen Vorlieben und Zielvorstellungen?
Aber
das alles darf man nicht fragen respektive bekäme dazu nur nebulöse Auskünfte,
da dies einkommensmindernd wäre, schon klar. Insofern ist es vielleicht
besser, dass man das Ganze in einer Fremdsprache veröffentlicht hat und es
daher eh wenig gelesen werden dürfte. Dennoch ist natürlich der Versuch, dem
stattgehabten Dünnsinn vermittelst „Inglisch“ noch einen „internationalen
Anstrich“ zu geben, absolut satirepflichtig.
Um
die beiden zu fördern, hätte ich lieber ein Tanzvideo von ihnen
veröffentlicht – solche gibt es reichlich auf YouTube. Und ich finde, sie
machen ihre Sache richtig gut. Wie sie hier den Walzer „Caserón de tejas“ interpretieren, hat Schwung sowie technische Brillanz und bietet nicht
dieses müde Gestopsel, das ich in solchen Fällen von argentinischen Tanzpaaren
zur Genüge kenne.
P.S.
Hier die Website des Paars: http://juanmartinystefania.blogspot.de/
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