Du sollst dir kein Bild machen
Über die leidigen Knipsereien und Videodrehs
auf Milongas habe ich schon vor mehr
als drei Jahren geschrieben:
Im Zeichen der ab 25.5. dieses Jahres
geltenden Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
kam es nun erneut zu hektischen Debatten auch im Tangomilieu, so unter dem gern
genommenen Motto „Ist denn jetzt alles
verboten?“
Na ja, nicht ganz! Auf jeden Fall ist man jedoch
schief gewickelt, wenn man Ansichten vertritt wie jüngst einer auf einem Tangoforum:
„Tango
Events sind öffentlich. Da kann es schon mal sein, dass spontan jemand
fotografiert. Wenn der oder die jeden fragen wollte, ob ihm/ihr das passt,
könnte das gar nicht mehr geschehen.“
Etwas näher an der Wahrheit sind bereits die
folgenden Kommentare:
„Fotografiert
werden darf nach wie vor von jedem und alles! Ob es auch veröffentlicht werden
darf, ist eine andere Frage. Und auch da hat sich durch das neue Gesetz fast
nichts geändert!“
„Privat
Fotografierende fallen ohnehin nicht unter die DSGVO und können weiterhin
fotografieren.“
Wobei „privat“
hier für „nicht gewerblich“ steht.
Der Unterschied wird darauf hinauslaufen, ob man für das Bildermachen Geld
kassiert. Wenn man also nur zum privaten
Eigengebrauch fotografiert, dürfte nichts zu befürchten sein –
vorausgesetzt, man achtet den „höchstpersönlichen
Lebensbereich“ des anderen. Aber Milongas sind ja meist öffentlich.
Wer beruflich
Fotos schießt (oder Videos dreht) und diese speichert sowie bearbeitet,
unterliegt den Vorschriften der DSGVO – er muss also eine entsprechende Datenschutzerklärung veröffentlichen
und hat Auskunftspflichten gegenüber
dem Abgebildeten. Man muss ja bedenken, dass heute zusammen mit den Bildern
auch Datum, Uhrzeit, Ort oder GPS-Daten etc. gespeichert werden können!
Allerdings – und hier hat sich durch die neue
Rechtslage wohl kaum etwas geändert: Spätestens ab der Veröffentlichung – egal, ob privat, kommerziell oder wie auch immer
– ist Schluss mit lustig: Ist der Abgebildete eindeutig identifizierbar, greift weiterhin das „Recht am eigenen Bild“, und da geht
ohne Zustimmung des Betreffenden nichts! Die paar Ausnahmen, welche das Gesetz vorsieht, dürften auf
Tanzveranstaltungen nicht anwendbar sein.
Zu einfach macht man es sich wohl mit der
folgenden Prognose:
„Kann
auch sein, dass in Zukunft jemand, der nicht fotografiert werden möchte, gar
nicht mehr als Gast für solche Veranstaltungen zugelassen werden wird, weil der
Veranstalter Fotos haben will und die Zustimmung zur Erstellung zur Bedingung
für eine Teilnahme macht.“
Das dürfte problematisch werden: Der
Organisator oder Fotograf ist im Zweifel beweispflichtig
dafür, dass der Abgebildete zugestimmt hat. Es wird also nicht reichen,
beispielsweise ein Schild mit dem
Hinweis anzubringen, dass man mit dem Besuch der Veranstaltung der Knipserei
oder dem Videodreh zustimmt. Zudem müsste auch angegeben werden, wo eine Veröffentlichung stattfinden wird. Wer nachher keine Diskussionen wünscht, wird wohl
um eine schriftliche
Einverständniserklärung nicht herumkommen.
Das Allerschlimmste: Diese Zustimmung ist jederzeit widerrufbar! Wenn jemand also
nach Jahren entdeckt, dass ihn beispielsweise ein inniges Tanzfoto noch mit der
Verflossenen zeigt, hat gute Chancen, eine Löschung
zu erreichen.
Hier ein Auszug der amtlichen Verlautbarung:
„Die Datenschutz-Grundverordnung
führt zu keinen wesentlichen Veränderungen der bisherigen Rechtslage im Umgang
mit Fotografien. Die Anfertigung und Veröffentlichung einer personenbezogenen
Fotografie unterliegt den allgemeinen Regelungen des Datenschutzrechts. Wie
bisher auch dürfen Fotos nur verarbeitet werden, wenn die betroffene Person
eingewilligt hat oder eine Rechtsgrundlage dies erlaubt.
Erfolgt die Anfertigung auf der
Grundlage einer Einwilligung der betroffenen Person(en), ist diese bereits nach
geltendem Recht jederzeit widerrufbar.“
Bei
Verstößen gegen diese Vorschriften sind nicht nur Bußgelder fällig – noch schneller und einfacher kann man zivilrechtlichen Ärger bekommen: Der
unerlaubt Abgebildete darf sich mit einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung wehren, ein profitables Geschäftsmodell für
bestimmte Anwaltskanzleien. Man hat dann zu unterschreiben, dass man sich im
Falle weiterer Verstöße zu einer satten Konventionalstrafe
verpflichtet. In der Regel ist der eingeschaltete Rechtsanwalt berechtigt, die Erstattung der Abmahnkosten zu
verlangen.
Klar
ist an den genauen Regelungen mancher Zweifel erlaubt, und die
Justiz wird in den nächsten Jahren sicherlich mit diversen Grundsatzentscheidungen für mehr Klarheit sorgen.
Dennoch
bleibt für mich die Feststellung: Die Riesenmenge der in sozialen Netzwerken
und Videoportalen veröffentlichten Milongaaufnahmen
mit den Porträts zehntausender Besucher dürften fast ausnahmslos illegal sein. Sollte es da mal zu einer
Abmahnwelle kommen, würden wohl bei
so manchem Veranstalter oder Tangolehrer die Lichter ausgehen. Ob man sich
bewusst ist, auf welch dünnem Eis
man da herumturnt?
Selber
würde ich beim Tango sicher nicht den Prozesshansel spielen. Und immerhin ergab
eine Umfrage unter 45 Lesern in
einer geschlossenen Facebook-Gruppe, dass nur etwa 16 Prozent dagegen sind,
beim Tango fotografiert oder gefilmt zu werden – der Rest findet das gut (69
Prozent), oder es ist ihm egal (16 Prozent).
Persönlich nervt mich das
Geknipse aber schon – vor allem lenkt es mich vom Tanzen ab. Und ich habe schon
Milongas erlebt, wo mich bereits an der Tür der Lichtkegel eines Videofilmers
erfasste, der einem auch beim weiteren Verlauf der Milonga nicht von der Hacke
wich. Ein lockeres, unbefangenes Verhalten wird da schwierig.
Vor
allem aber möchte ich mir schon selber heraussuchen, wer mich fotografieren darf. Nur die wenigsten Kamera-Halter können
Bewegungen gut als Standbild darstellen, im Zweifel sieht man hernach einfach
spastisch aus. Dazu kommt, dass ich mich nicht für fotogen halte: Es gibt nur ganz wenige Menschen, die es dank ihrer
Begabung hinbekommen, dass ich mit einem Schnappschuss meiner Person zufrieden bin.
Was ich ansonsten hinterher von mir im Internet bewundern darf, macht mich
regelmäßig depressiv.
Bei
den jetzigen Debatten wurde mir erst klar, dass manche die Eventfotografie in der Szene für ein aussichtsreiches Geschäftsmodell halten. Muss man wirklich aus allem im Tango ein Geschäft machen? Nun verstehe ich
natürlich, dass Veranstalter Werbeaufnahmen
brauchen, und es spricht ja nichts dagegen, für eine sehr begrenzte Zeit
Fotos von Gästen zu machen, die damit einverstanden sind. Das sollte als
Reklame doch für mindestens ein Jahr reichen! Und wer ein Andenken braucht,
lässt sich halt in einer stilleren Ecke mit seinem Lieblingspartner ablichten.
Oder
wie wäre es damit, sich zu Werbezwecken etliche Schauspielschüler zu mieten, welche, hübsch gewandet und
geschminkt, der Milonga einen jugendlichen
Anstrich geben und nicht das übliche altersmäßige Desaster zeigen? Tanzen
müssen sie nicht können – es soll ja ein Rest von Realismus bleiben!
Optimal
wäre es, nur Milonga-Aufnahmen zu verwenden, die bis 1955 entstanden sind. Dies würde künstlerisch bestens mit der meist
gebotenen Musik harmonieren!
Meine
Hoffnung wäre, dass man im Tango ähnlich empfindlich auf Fotografen reagiert
wie an den FKK-Stränden – da sind insbesondere Teleobjektive gar nicht gern
gesehen…
Zu diesem Thema:
AntwortenLöschenGesetz – Anstand – Missbrauch.
Diese drei Bereiche liegen ganz eng nebeneinander – und jeder interpretiert sie nach seinen PERSÖNLICHEN Empfindungen.
Dieser Artikel ist der beste Beweis dafür. Etwa wenn geschrieben wird: „Etwas näher an der Wahrheit sind bereits die folgenden Kommentare: …..“ Um welche Wahrheit geht es hier???
Um die „Wahrheit“, was erlaubt oder nicht erlaubt ist? Oder was soll hier „wahr“ oder „falsch“ sein?
Ich finde, dass Datenschutz ein Grundrecht sein sollte – leider wird er (meist unbemerkt!) mit Füßen getreten. Aus meiner Sicht ist es „nicht lustig“, wenn jede Bewegung, jeder Geldfluss, jede Krankheit, jeder Einkauf, u.s.w., u.s.w., u.s.w. aufgezeichnet und analysiert wird. Ob anonym oder personalisiert, ist dabei UNERHEBLICH!!! Aus diesen Daten werden dann die abenteuerlichsten Statistiken gebastelt (auf die ich jetzt nicht näher eingehe).
Nein, es ist nicht lustig, wenn jemand Fotos macht, und diese dann via „Social Medien“ der Öffentlichkeit zeigt.
Nein, es ist nicht lustig, wenn jemand Texte aus privaten Foren veröffentlicht und meint, dass die Urheber ohnedies nicht erkannt werden können. (Es soll wirklich Leute geben, die so etwas machen!)
Nein, es ist nicht lustig, wenn Veranstalter ihre „Events“ ungefragt aufnehmen, um sie dann zu veröffentlichen (das machen nicht nur „private“ Kleinveranstalter!).
Wenn das alles erlaubt sein soll, dann kann ich gleich nackert durch die Straßen laufen. Interessanterweise ist DAS verboten! Wieso eigentlich???
Es wird höchste Zeit, sich über den Datenschutz ernsthafte Gedanken zu machen! Das ist kein Thema, das man „einfach so“ behandeln sollte. Facebook, Google, Twitter, Whatsapp & Co. sind nur die Spitze des Eisbergs – gefüttert werden diese Unternehmen VON UNS – MIT UNSEREN DATEN – UND VON ALL JENEN, DIE MIT DIESEN DATEN UNACHTSAM UMGEHEN!!!
Und bitte bedenken: die Gute Alte Zeit …. gilt hier nicht. Wir leben in einer Zeit, wo das Datensammeln zu einem wichtigen - wenn nicht zum wichtigsten – Wirtschaftszweig geworden ist. Das ist eine Tatsache.
Also: bitte aufwachen!
Mein Thema war ausschließlich das Fotografieren bzw. Filmen auf Milongas. Und richtig: Mit „Wahrheit“ meine ich die gesetzlichen Vorschriften dazu, über die ziemlich wilde Vorstellungen kursieren, und die ich als Ergebnis meiner Recherchen zusammenzufassen und richtigzustellen versuchte.
LöschenWeiterhin wird hoffentlich klar ersichtlich, dass ich der übertriebenen Knipserei und Filmerei ziemlich kritisch gegenüberstehe – weniger aus Datenschutzgründen, sondern weil es mich nervt und ablenkt.
Für das komplizierte Thema Datenschutz insgesamt fühle ich mich bei Weitem nicht bewandert genug. Aber Sie finden im Netz sicherlich genügend andere Foren, welche sich mit diesen Fragen in ihrer Gesamtheit beschäftigen.
Ansonsten pflege ich nach eigenem Gusto zu schlafen oder aufzuwachen.