Zu Gast im Tangozoo Berlin
Dieser Gastbeitrag
kam heute wie gerufen: Nachdem es gestern eher um die Missstände im Berliner
Tango ging, erhielt ich heute von „Quotenfrau“,
meiner „Berliner Korrespondentin“, einen aktuellen Erlebnisbericht. Er beweist:
Wenn man eine „Berlinera“ kennt, wird manches leichter – und erst recht, wenn
diese auch führen kann.
Die Autorin
beschreibt einen Streifzug durchs Berliner Tangoleben, den sie mit einer
Freundin aus Köln unternahm, die zum wiederholten Mal bei ihr zu Gast war.
Erneut beeindruckt mich die Selbstständigkeit und Initiative, welche aus diesen
Zeilen spricht – gewürzt mit einer schnoddrigen Portion Realismus. Aber lesen
Sie selbst:
Zu Gast im Tangozoo
Berlin
Es
begab sich Anno Domini Silvester 2015, da besuchte mich meine allerbeste Bonner
Freundin in Berlin kurz vor Weihnachten, als ich bereits ein Dreivierteljahr
herumtanzte. Da ich ihr natürlich ein buntes Programm in Berlin und mein neuestes
Hobby präsentieren wollte, aber damals selber noch nicht führen konnte, wurde
ein guter Freund verpflichtet und hat sie auf einen dreistündigen
Tangocrashkurs für Anfänger begleitet, während ich mich nebenan in einem
Mittelstufenkurs tummelte. Hinterher war sie fix und foxi, aber glücklich und
schwer angetan. Zurück in Köln hat sie flugs die nächste Tanzschule geentert
und einen sehr ambitionierten Tanzpartner gefunden, der ihr auch heute noch die
Treue hält.
Da
die rheinische Tangolandschaft mit der Berliner natürlich nicht ansatzweise
mithalten kann, war nach der Initiation 2015 und einem sehr erfolgreichen
Folgebesuch nun wieder eine Reise fällig im Sinne eines Bildungsurlaubes, der
von einem Samstag bis Mittwoch dauern sollte. Selbstredend habe ich wieder die
vielversprechendsten Veranstaltungen auf die Agenda gesetzt.
Der
Billigflieger entließ sie in aller Herrgottsfrühe in Tegel, woraufhin wir erst
einmal zur Stärkung ein reichliches Frühstück einnahmen. Spontan einen Platz im
Frühstückscafé zu finden ist am Samstag gegen neun durchaus machbar.
Nach
Ausbreiten sämtlicher Kleidungsstücke in meiner Heimstatt und postwendender
Dekoration selbiger mit Haaren meines samtpfotigen Mitbewohners war bereits um
vier Uhr ein Nachmittagstanz angesetzt, der jeden Samstag stattfindet. Da ich
mich zur Neofraktion zähle, suche ich natürlich immer Milongas solcher Art aus,
bei denen auch moderne Klänge zu Gehör gebracht werden und der Einlass auch
ohne Glitzerschühchen gewährt wird. Diese Veranstaltung ist eher pärchenlastig,
aber Fortuna war uns hold: Es tummelten sich dort gleich drei mir gut bekannte
Einzelherren. Diese habe ich natürlich der Reihe nach an meine Freundin
weitergereicht. Schon der zweite Herr wollte sie gar nicht wieder gehen lassen,
und so raunte ich dem dritten Kandidaten zu, falls sie heute eventuell wieder
frei werden sollte, müsse er schnell zugreifen. Der dritte bekam dann aber auch
noch seine Chance.
Nach
diesem schönen Auftakt war jedoch keine Zeit für eine Verschnaufpause, vielmehr
rafften wir unsere Siebensachen und eilten flugs zur nächsten Veranstaltung in
Schöneberg. Ich führe ja seit neun Monaten, und wir haben bisher noch nicht
zusammen getanzt, das sollte im adäquaten Umfeld seinen Einstand finden. Auf
dem Plan stand eine Weibermilonga, die ich hier bereits ausführlich gewürdigt
habe. Trotz Fußball war die Veranstaltung gut besucht, und wir absolvierten unsere
ersten Runden – es hat ganz wunderbar harmoniert. Auf ihre Tangotreter hat sie
dort verzichtet, da die emsigen Herren vorher bereits reichlich Wegstrecke mit
ihr zurückgelegt hatten. Auf Feinstrümpfen dreht es sich auch sehr hübsch.
Bei
nächster Gelegenheit lege ich die Fußbekleidung wieder an ihren Platz.
Am
Sonntag sah meine Planung eigentlich um zwölf eine Praktika vor, aber die hat meine
Freundin glatt verschlafen.
Der
nächste Tagesordnungspunkt führte uns um vier in Berlins wohl schönstes
Tanzstudio, bekannt durch sein äußerst opulentes und fantasievolles Interieur,
welches wohl in ganz Europa Seinesgleichen sucht und Tanztouristen von nah und
fern anlockt. Zudem gibt es zu der Zeit dort immer lecker Kuchen. Nachmittags
ist das Publikum noch übersichtlich, so hat man genug Platz, und kann sein
Gegenüber im Tageslicht auch mal erkennen.
Es
hat nicht lange gedauert, da trat einer von Berlins Spitzenkräften an sie
heran, meines Wissens ein Juwelier, immer sehr auffällig gekleidet. Sie war
restlos begeistert von seinem Können, hat einige Tipps erhalten (freundliche
Hinweise sind ja immer in Ordnung), und dann tauchte auch noch der anhängliche
Herr Nummer zwei vom vorherigen Nachmittag auf. Guten Gewissens habe ich mich
für zwei Stunden abgesetzt, weil ich sonntags immer meinen Rollentauschkurs
besuche und sie gut beschäftigt wusste.
Gegen
neun gesellte ich mich wieder dazu, und abends wird es am Sonntag immer sehr
voll. Warum Montagmorgen niemand zur Arbeit muss und sich alle Welt immer sonntags
dort knubbelt, habe ich nie verstanden, sei‘s drum. Spätabends haben wir dann
den Heimweg angetreten, auch dieser Tag ein voller Erfolg!
Montag
stand Schuhshopping auf dem Programm. Im Bereich Tangoutensilien ist Köln ebenfalls
nicht ganz so üppig am Start wie Berlin. Im Schuhladen Nr. 1 war nichts
Passendes dabei, Schuhladen Nr. 2 hatte unvermittelt zu, Schuhladen Nr. 3 war
weit weg in Zehlendorf, punktete aber mit sehr kompetenter Beratung. Leider fand
auch dort kein Treterchen ihre Gnade. Laden Nr. 4 haben wir nicht mehr
geschafft. Abends haben wir zur Abwechslung mal einen Yogakurs besucht, da
waren die Füße nicht so gefordert, allerdings gab es davon dann an anderen
Stellen interessante Verspannungen. Danach war eigentlich noch eine Milonga
geplant, aber diese haben wir spontan ausfallen lassen, da waren wir uns einig.
Am
Dienstag haben wir mit einem Verwandten eine Schiffstour auf der Spree
unternommen und uns ausnahmsweise einmal nicht bewegt. Vorerst. Denn abends
hatten wir einen Kurs zum Thema Verzierungen gebucht und dort schön mit den
Beinen geschlackert. Danach lockte unweit ein Tangoabend in einer Bar, in der
sonst Kleinkunst und Comedy dargeboten werden. Diese Veranstaltung wurde mir
von einer Tanzkollegin als sehr klein, aber ungezwungen und mit jungem Publikum
angepriesen. So verhielt es sich dann auch: Hauptsächlich Studenten oder
solche, die es werden wollen, nebst einigen sehr reifen Herren, die wohl nicht
wegen der Tanzkunst dort waren, sondern... na, wie immer. Solange es noch nicht
so voll war, haben wir das frisch Gelernte geübt, bis einfach zu viele junge
Seelen nachdrängten, dann haben wir den Nachwuchs einfach sich selber
überlassen.
Mittwoch
war Abreisetag, aber wir haben es uns nicht nehmen lassen, mit Rollkoffer im
Schlepptau noch vorher Schuhladen Nr. 4 abzuklappern. Dort geschah dann das
Wunder: Es fand sich ein passendes Paar, und dieses auch noch reduziert zum
Schnäppchenpreis. Manchmal ist das Leben gerecht.
Die
Fahrt jwd nach Schönefeld verlief problemlos, der Billigflieger hatte jedoch
vier Stunden Verspätung.... Erfreulicherweise gibt es in solchen Fällen dafür
neuerdings reichlich monetäre Entschädigung, manchmal ist diese EU doch zu
etwas nütze. Buchhalterisch hat sie damit sogar am Ende Gewinn gemacht.
Interessant
ist noch ihr Vergleich mit der Kölner Szene:
In
Köln wird nirgendwo Non- oder Neotango gespielt. Zitat eines Kölners: „Wenn du
Neo willst, musst du schon nach Amsterdam fahren." Auf ihr Nachfragen hieß
es von der Lehrerschaft, dass die Kölner Gäste das grundsätzlich nicht
akzeptierten, sonst schreiend davonliefen und nie wieder kämen. Nun gut, das
habe ich etwas überspitzt, aber sinngemäß stimmt es. Verwunderlich ist es in so
einer bunten und alternativen Stadt allemal, es muss ja nicht gleich Björk sein
(auch das geht, selbst erlebt).
Getanzt
wird dort grundsätzlich und überall eng, das geht ihr zunehmend auf den Wecker.
In Berlin wird gern im Abstand variiert oder gleich ganz offen getanzt, und das
gefällt ihr sehr gut. Das mag aber auch hier an meiner Milongaauswahl liegen,
zumindest werden in Berlin beide Stile gepflegt, in Köln offenbar nicht. Weiter
findet sie die Führung der Berliner viel deutlicher und das Repertoire
einfallsreicher. Dies mag am Konkurrenzdruck der großen Berliner Szene liegen,
dass man(n) hier einfach mehr bieten muss als in der Provinz. Einen Unterschied
zwischen führenden Männern und Frauen konnte sie nicht feststellen, die Damen
sind auch nicht zu weich bzw. schlabberig in der Führung.
Weiter
scheint es ausgerechnet in Köln keine Queertangoszene zu geben, keine
Queeermilongas und auch kein Queerunterricht / Rollentausch, wie meine kurze
Recherche ergeben hat. Sehr merkwürdig.
Jedenfalls
waren wir beide nach dem selbst verordneten 4,5 Tage-Marathon rechtschaffen
hinüber, dies hindert uns aber nicht daran, die ganze Geschichte in zwei Wochen
zu wiederholen, es ist ja Urlaubszeit, und wenn jemand eine Reise tut, so kann
er was erzählen!
Man sieht: Wenn man
die Verhältnisse (und auch einige Tänzer) kennt, kann man durchaus eine schöne
Zeit haben. Wie es der Freundin von „Quotenfrau“ ergangen wäre, wenn sie die
Unternehmung allein und ohne all die Tipps begonnen hätte, wissen wir
glücklicherweise nicht.
Klingt ja wie ein überzeugender Beweis der These "Berlin kann man sich schenken" aus einem vorherigen Beitrag. Aber ich bin mir recht sicher, dass man in einer so großen Stadt auch entspannt und erfüllend tanzen kann. Beim letzten Mal hatte ich abends Besseres zu tun - irgendwann hole ich das nach.
AntwortenLöschenNa, dann viel Erfolg!
AntwortenLöschenDer Text von Arnold Voss richtete sich an Tänzer, die zum ersten Mal in Berlin ihr Glück versuchen und dort niemand kennen. Die Voraussetzungen im anderen Beitrag unterscheiden sich davon wesentlich. Ansonsten gestatte ich natürlich jedem Gastautor seine eigene Sichtweise.
Vielleicht könnte man sich einmal mit der Kernaussage meines Textes befassen: Wenn es denn irgendwo schrecklich ist: Keine Durchhalteaktionen, sondern einfach nicht hingehen!
Das oben skizzierte hektische Billigflieger-Milonga-Hopping mit Option auf einen Spitzenkraft-Juwelier wäre jetzt auch mein Ding nicht. Aber "schrecklich" ist wohl Deine persönliche Sicht, die Damen werden es ja freiwillig wiederholen.
LöschenNö, wieso "schrecklich"? Dank der einheimischen Begleitung hat man wohl die passenden Milongas gefunden.
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