Encuentrow in Pankow



In Pankow jab’s keen Essen,
In Pankow jab’s keen Bier,
War allet uffjefressen
Von fremden Leuten hier.
Nich’ ma’ ’ne Butterstulle
Hat man ihm reserviert!
Aber dennoch hat sich Bolle
Janz köstlich amüsiert.
(Volksweise)

Der Berliner Journalist, Tänzer und unermüdlicher Sachaufklärer in Sachen Tango, Thomas Kröter, hat es kürzlich unternommen, erstmals in seinem Leben ein Encuentro zu besuchen. Chapeau!

„En tus brazos“ („In deinen Armen“ – na ja, wo sonst?) nannte sich das wohl erste Berliner Encuentro auf dem piekfeinen Parkett des „Ballhaus Pankow“. Kröters Resümee: Er bereue zwar nichts, habe aber nun zweimal an „dergleichen“ teilgenommen: „das erste und das letzte Mal“.

Der Hauptgrund war wohl der Effekt, welchen er „Druckbetankung mit Musik aus den Goldenen Zeiten“ nennt. Sein Verhältnis zu dieser Sparte sei klar: Er möge sie, aber in Maßen – in seinen Maßen. „Zehn Stunden Musik einer Sorte an einem Tag – da würde ich auch vor Piazzolla (den ich erheblich mehr schätze als D’Arienzo) e tutti quanti davonlaufen. Ich bin so oberflächlich, Abwechslung zu schätzen.“

Reminiszenzen besonderer Art löste beim Autor auch die nach Geschlechtern getrennte Sitzordnung aus: Ob wir beim Tanzschulen-Tanztee am Niederrhein Ende der 60-er Jahre so gesessen haben? Ich weiß es nicht. Aber in der katholischen Kindermesse ein paar Jahre zuvor war es sicher so.“ Auf Nachfrage wird er noch ein Stück deutlicher:Das getrennte Platzieren von Männlein & Weiblein im 2. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts halte ich schlicht für atavistischen Blödsinn.“

Der pflichtgemäßen Ausübung von Mirada und Cabeceo hingegen konnte er durchaus unterhaltsame Züge abgewinnen: Man(n) kann sich in seinen Tanzpausen bei bester Beleuchtung köstlich daran delektieren. (…) Wenn Frau huldvoll in die geahnte Richtung nickt und dann so geduldig wie stilgerecht auf ihrem Platz wartet, bis der erwartete Tänzer vor ihr steht, kann sie sich nicht blamieren. Dann muss sie nur noch die Züge im Zaum halten, falls der blöde Trottel doch die dumme Ziege nebenan ansteuert.“

Eine Qual spezieller Art blieben für den Autor allerdings die rituellen Zwischenmusiken: „Damit nach klassischer Sitte der Dancfloor zwischen den Tandas ratzekahl gelehrt wird, um ein freies Blickelei-Feld zu schaffen, dauern die Cortinas ziemlich lange. Wenn sie dann obendrein so schön und häufig swingend sind (…), bedeutet das für Häretiker wie mich eine besondere Strafe. Wie gern würde ich jetzt einen entspannenden Quickstep oder Boogie tanzen!“

Sein Fazit: Was ich auf keinen Fall suche, ist die kuschelige Nähe musikalischer, choreografischer oder sonstiger Gesinnungsgemeinschaften. Dergleichen hab ich in den 70-er Jahren mit dem Austritt aus meiner K-Gruppe hinter mir gelassen. Nicht, dass ich was gegen eine ordentliche Ronda einzuwenden hätte, aber mir ist ab und an eine Fußspur an einem meiner Hosenbeine (nicht zu fest) bei geiler Musik aufgetragen, lieber als disziplinfördernde (für meinen Geschmack) Langweilergeräusche.“

Doch anscheinend ist man in der einschlägigen Veranstalter-Szene wild entschlossen, per Risus sardonicus (wie bei einer Tetanus-Infektion) Kritik einfach wegzulächeln. So schrieb auf Facebook Hsiao Wang Wendy: Danke Dir lieber Thomas für Deinen positiven Bericht über unseren 1. Encuentro Event“.

Doch irgendwie konnte man auf Dauer den Sinngehalt von Thomas Kröters Worten nicht völlig ignorieren, sodass die freundlichen Belehrungen nun doch einen Ton bestimmter wurden. Einen schönen Abriss der „Encuentro-Ideologie“ lieferte dabei Till Tangotänzer. Obwohl er sich „keiner Sektiererei“ hinzugeben gedenke, kam er doch zur Einschätzung:

„Das geht weit über Sitzordnung und Mirada und Cabeceo hinaus, das bedeutet nicht nur Einhaltung einer Tanzspur ohne wildes Hin- und Hergewechsle, es ist vielmehr eine tiefe Verständigung aller am Tanzen Beteiligten über das Verhalten auf der Tanzfläche, wie auch am Rand derselben. Darüber hinaus ist es eine Frage allgemeiner Hochschätzung, sei es der persönliche Empfang, der herzlich empfundene Umgang miteinander, Freundlichkeit, gepflegte Umgangsformen, Achtung etc. pp. Es ist aber auch das Engagement, das eine lokale Community aufbringt, um größtmögliche Gastfreundschaft zu signalisieren und zu realisieren. (…)
Aber ich kann gerade deswegen nicht nachvollziehen, dass Du, lieber Thomas, der Du ja eingestanden hast, selbst keine Erfahrungen (und somit keine Vergleiche!) mit Encuentros zu haben, dann hingehst und sagst, dass Du den Veranstaltern bzw. einer solchen Veranstaltung keine zweite Chance gibst! Ich sage immer "Versuch macht klug" finde es aber dumm, keine Entwicklungschancen zuzugestehen. Aber jeder so wie er will (oder wie man in der Pfalz sagt: "Wer trotzt an der Schüssel, der schad' sich 's am Rüssel!")

Na gut, wir in Pörnbach verwenden da einen etwas abgewandelten Spruch: „Wer frisst aus jeder Schüssel, ist nicht ganz dicht am Rüssel“. Ich möchte jedenfalls nicht so enden:



Was ich bei dem Video besonders possierlich finde: Sicherheitshalber hat man wohl die Musik druntergelegt, und zwar eine ziemlich „artfremde“…

Und vorsorglich gibt es noch eine Korrektur des rastlosen Event-Fotografen Joachim Beck (der bekanntlich jeden verbellt, welcher den Alleinvertretungsanspruch des Tradi-Tangos anzuzweifeln wagt): Die „vorgeschlagene“ Geschlechtertrennung sei „freiwillig“ gewesen, man habe keine Dame hierzu gezwungen. Solche Aussagen klingen gerade in Pankow besonders authentisch: „Niemand hat die Absicht, eine Sitzordnung zu errichten…“

Nun, inzwischen ist die Diskussion wieder dort angelangt, wohin sie gehört! Es gibt bei Debatten mit orthodoxen Dogmatikern stets drei Stufen:
·         freundliche Belehrung
·         deutliche Belehrung
·         Abqualifizierung und Verdammung

Letztere lieferte oben Genannter gerade an Thomas Kröter:
Du hast leider immer noch nicht begriffen, um was es geht. Meinung - auch andere - natürlich gerne, wenn fundiert. Kritik, natürlich gerne, wenn aus berufenem Munde. Du jedoch hast mit deinen Zeilen deutlich gemacht, dass du von dem was du kritisierst, nur einen höchst vagen Schimmer hast. Nicht nur von dem übrigens. (…) Trotzdem schmeichelt es deinem Ego, dein halbverstandenes Halbwissen in eine Ex-cathedra-Verunglimpfung einer Veranstaltung umzumünzen, die du nicht verstehst.“

Nein, Herr Beck, da haben Sie offenbar das Zeitalter der Aufklärung verpasst: Eine Meinung darf jeder haben, auch wenn nicht fundiert oder aus unberufenem Munde. Sonst haben wir wieder das Problem, welches uns historisch schon einige Male zugesetzt hat: Wer denn zu bestimmen habe, was fundiert" und wer berufen" sei...

Und andernorts ist man wieder bei der ersprießlichen Erörterung des Begriffs "Tango-Taliban" angekommen. Na ja, man gönnt sich ja sonst nichts... 


Ich sehe das Ganze mit der mir eigenen Lockerheit: Soll doch jeder Encuentros (so wie Zeltlager und Ritterspiele) besuchen, so oft er will! Wogegen ich mich allerdings weiterhin halsstarrig wehre: Solcherlei Events als den Inbegriff des wahrsten und hehrsten Tango sowie gar als Gipfelpunkt reinsten Gutmenschentums darzustellen. Eher scheint doch zu gelten: Freundschaft nach innen, Abgrenzung, ja Feindschaft nach außen.

Ich meine, bei solchen Treffen ist Tango mehr das Vehikel als der Inhalt. Im Kern sehe ich eher eine Kompensation der sozialen Isolation einer akademischen, oft genug in Beziehungsprobleme verstrickten heutigen Großstadtgeneration. Encuentros bieten Nestwärme, wahllose Freundschafts-Mimikry und Promiskuität auf dem höchst moralischen Niveau strengster Regeln.

Und gerade Männer sind beim Tango oft stark verunsichert, ja von Ängsten gepeinigt – bezüglich ihrer tänzerischen Fähigkeiten, ihrer Resonanz bei den Frauen, der Stellung in der männlichen Hackordnung. Da erscheinen „Códigos“ geradezu als Heilsbotschaft:

·         Du kannst dich beim Auffordern nicht blamieren, alles geht völlig diskret!
·         Du brauchst nicht zu befürchten, dass die Musik deine tänzerischen Fähigkeiten überschreitet!
·         Sie wird sich in einer Tanda nur minimal ändern – keine Sorge, es kommt nicht als dritter Titel plötzlich Piazzolla!
·         Kein Problem bei der Raumaufteilung – jeder bleibt in seiner Spur!
·         Die paar Tanzschritte, die du brauchst, lernt wirklich jeder Depp in einem halben Jahr!
·         Alle tanzen introvertiert, es gibt keine choreografischen Charts!

Sicherlich muss man sich auch bei jedem Kirchenchor oder Karnickelzüchterverein fragen: Zu wieviel Prozent geht es ums „gesellige Beisammensein“ beziehungsweise um die Musik respektive die Karnickel? Da sind die Geschmäcker verschieden – persönlich bin ich halt eher ein Anhänger des individuellen Paartanzes anstatt der Vereinsfeier.

Eines gilt jedoch gleichermaßen für Hasenstall und Tango: Wächst die Szene, so bilden sich früher oder später Fraktionen: Die einen Züchter finden dann, Hoppler mit Hängeohren seinen keine richtigen Kaninchen, worauf die andere Gruppierung sich aus Trotz entschließt, nur noch solche zu züchten. Dazwischen bildet sich schließlich eine meist kleinere Gemeinschaft, welche dem Motto frönt: „Ist doch wurscht, ob sie stehen oder hängen“ – und es daher von beiden Seiten eingeschenkt bekommt.

Daher beglückwünsche ich Thomas Kröter nicht nur zu seinem Renten-Eintritt, sondern auch der von ihm gewählten Sitzordnung: Zwischen den Stühlen ist immer genug Platz – ob in Pankow oder anderswo!

P.S. Das Thema „Individualität versus Gruppenwahn“ behandelt eindrucksvoll der Film „Das Leben des Brian“ von der englischen Komiker-Truppe „Monty Python“. Der naive Brian wird versehentlich für Jesus gehalten (und seine Mutter für Maria), was zu lästiger Massenverehrung führt:

P.P.S.
Warum Encuentro?" Diese Rubrik kann man auf der Website der Veranstalter aufrufen:

http://encuentro-tango-berlin.de/de/2016/05/18/warum-encuentro/  
Die Gastgeber wissen es offenbar auch nicht! Neben einem Link zur Information über Mirada und Cabeceo sieht man auf der Seite ausschließlich das Foto einer sehr attraktiven Dame, welche - auf einen Tisch gestützt - einen sehr hohen Boleo zeigt. Im Hintergrund dann ein Herr, welcher sie nicht beachtet. Aha...

Inzwischen wurde der Link deaktiviert. Zweimal aha...

Kommentare

  1. Thomas Kröter hat auf die heiße Herdplatte gefasst und sich erwartungsgemäß die Finger verbrannt. Was sagt Dein gesundes juristisches Halbwissen dazu, Gerhard? Grobe Fahrlässigkeit? Hoffentlich waren die Getränke die 85€ wert!

    Die schöne Location auf Deinem Encuentro-Video habe ich wiedererkannt: Die Pousada Schloss Estói an der Algarve. Hab mir da mal einen Kaffee gegönnt. Tango im Schloss hab ich hier auch. Montfort Langenargen. Kennst Du ja.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Grobe Fahrlässigkeit wäre es nur, wenn Thomas damit anderen geschadet hätte. (Was seine Partnerin davon hielt, hat er ja weitgehend verschwiegen.)

      Im Gegenteil: Ich finde es mutig, sich einmal einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Wie viele Encuentro-Fans gehen mal auf eine Milonga mit gemischter Musik?

      Schlösser als Tango-Schauplatz finde ich besonders lustig bei Leuten, welche sich der "Tradition" verschrieben haben. Bei den Urvätern des Tangos war's wohl eher der Hinterhof...

      Löschen
  2. Noch was zu dem auf dem Video gezeigten Vals am Ende: Mir hat die Blonde in der ersten Sitzreihe der Ladies Leid getan. Wahrscheinlich gender balance und trotzdem tanzt keiner mit ihr. Da wird sie bei dieser Sitzordnung gnadenlos als übrig Gebliebene zur Schau gestellt. Angeblich soll dieses System Peinlichkeiten minimieren, wie ein Herr Cassiel immer argumentiert. Aber vielleicht ja nur für die Herren?!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ach, letztlich kann doch kein System vertuschen, wer als Tänzer/in begehrter ist!

      Was mich weit mehr nervt: Bei dieser Aufteilung der Tanzrunden habe ich jede Viertelstunde gerade einmal 30 Sekunden Zeit, jemand aufzufordern (oder es zu werden). Dann ist erstmal wieder Pause.

      Ich möchte lieber selber entscheiden, ab wann und wie lange ich tanze!

      Löschen
  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Kommentator,

      bitte beachten Sie, dass ich Beiträge nur veröffentliche, wenn Sie diese mit Ihrem vollen Namen zeichnen!

      Ich kann Ihren Text gerne wieder hochladen, wenn Sie sich an diese Spielregeln halten und mir Ihren Namen (gerne auch per Mail) nennen.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.