Die Birne kann kein' Tango
Wenn ihr's nicht fühlt,
ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht -
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht -
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.
(Goethe: Faust I)
Bekanntlich
war der Tango ursprünglich ein Tanz einfacher (und meist auch ziemlich armer) Menschen:
der Einwanderer, welche ab etwa 1870 an den Rio de la Plata kamen. Der Traum
vom preiswerten Landbesitz war schnell verflogen, und sie landeten in den
Mietskasernen der Vororte von Buenos Aires und Montevideo, bekamen bestenfalls
mies bezahlte Jobs und wurden sozial verachtet. Aus der Melange ihrer
unterschiedlichen Volksmusiken, den Liedern der Gauchos und der Tänze der
schwarzen Bevölkerung entstand der Tango. Die berühmte „Goldene Epoche“ der
Tangomusik begann erst ab 1935, als der Tango im gehobenen Bürgertum angekommen
war.
Heute
sind solche Menschen aus der „Unterschicht“ in der Bussi-Gesellschaft die
absolute Ausnahme. Schon längst wurde der Tango von akademisch geprägten Kreisen gekapert,
es tummeln sich vor allem Sozial- und Medizinberufler, welchen man teure
Tangoreisen, Festivalbesuche und Workshops verhökern kann: pecunia non olet. Die
bejahrte Schülergeneration hat sowohl Zeit wie Geld: Die Kinder sind aus dem
Haus, die Einkommensverhältnisse daher stabil, die Erlebniswelt ist begrenzt. Am ehesten lernt man in der
Szene das Prekariat noch in Gestalt südamerikanischen Lehrpersonals kennen,
welches wegen der desolaten Lage im Heimatland bereit ist, den
Erste-Welt-Gringos gegen Entgelt das beizubringen, was die gerade für Tango
halten (Authentizitäts-Zertifikat garantiert).
In
grauer Tangovorzeit konnte das Publikum oft weder schreiben noch lesen (und
schon gar keine Noten): Zu Gitarre, Querflöte, Fiedel oder gar Kamm hüpfte und
schob man an den Straßenecken und in Hinterhöfen herum – und Tanzpartnerinnen bekam man ganz ohne
Cabeceo, falls man die paar Pesos für eine „Taxi-Tänzerin“ aufbrachte.
Ansonsten übte man halt unter Männern.
Heute
bucht man sich tänzerische Fertigkeiten durch Belegung eines Tangokurses,
welcher auf dem basiert, was Intellektuelle am besten können: Demonstrationen
und Erklärungen verstehen, den Tango mit dem Kopf planen. Von Gefühl ist dabei weniger die Rede: Zu Herz-Schmerz-Klängen
eiert das Großhirn über die Bretter, welche die Welt bedeuten könnten:
„Erst wenn ich die neuen Bewegungsmuster soweit sicher habe, dass
ich sie mit meiner Tanzpartnerin sauber und 'in time' ausführen kann,
will ich sie mit einer anderen Tänzerin möglichst auf einem ähnlichen oder
höheren Niveau tanzen, dann vielleicht mit einer etwas weniger erfahrenen
Tänzerin und später dann versuche ich es vielleicht mit Tänzerinnen, die diese
Muster vielleicht überhaupt nicht kennen. Der Sinn von Unterricht ist für mich
in erster Linie, etwas Neues zu lernen und nicht, mit anderen Spaß zu haben.“
Na
klar: Nur wenn man vom „Spaß“ befreit ist, kann man einen „schmutzigen"
Tanz „sauber“ interpretieren… Anders wären ja bei einem „reinen
Improvisationstanz“ Schrittmuster-Bögen wie der folgende nicht möglich:
Milonga (=
schneller Tango, wenige und verkürzte Figuren)
Ocho vorw: normal
Ocho rückw: LF seit - RF vorkreuz (li neben Dame / Dame kleine Drehung, Fersen zusammen)
LF platz (Dame Drehung zurück) ... RF vor + LF Ocho vorw (vorkreuz re neben Dame) ...
oder Dame schnell begleiten: RF vorkreuz + LF platz - RF seit + LF platz ...
Ansonsten nur Gehschritte, Wiegen und einfache Seit-Schluß-Seit-Schluß-Kombinationen.
Schrittfolge: Basse (nicht schließen sondern RF seit) - LF schluß - RF rück - LF rück
(1/4 RD) RF seit (Dame gelaufener Ocho) - LF platz - RF schluß
Schrittfolge: Basse - Wiege LF(Q)vor - RF(Q)platz - LF(S)rück |
Wiege RF(Q)rück - LF(Q)platz - RF(S)vor | (oder gelaufener Ocho)
Wiegen: vorkreuz (Dame rück) + platz - seit / rück (Dame vorkreuz) + platz - seit
Seitschritte: RF vorkreuz (1/8 LD diagonal iTr, li neben Dame) + LF schluß (1/8 RD)
RF rück (1/8 LD diagonal iTr / Dame vor oder re vorbei) - LF schluß (1/8 RD) ...
Verdoppelungen (in sehr enger Tanzhaltung)
- Basse mit verhindertem Kreuzen (LF vor) (1/4 LD) RF re + LF schluß - (1/4 RD) RF vor
- Basse mit Kreuzen - LF seit + RF platz + LF schluß - RF vor (li vorbei)
Ocho rückw: LF seit - RF vorkreuz (li neben Dame / Dame kleine Drehung, Fersen zusammen)
LF platz (Dame Drehung zurück) ... RF vor + LF Ocho vorw (vorkreuz re neben Dame) ...
oder Dame schnell begleiten: RF vorkreuz + LF platz - RF seit + LF platz ...
Ansonsten nur Gehschritte, Wiegen und einfache Seit-Schluß-Seit-Schluß-Kombinationen.
Schrittfolge: Basse (nicht schließen sondern RF seit) - LF schluß - RF rück - LF rück
(1/4 RD) RF seit (Dame gelaufener Ocho) - LF platz - RF schluß
Schrittfolge: Basse - Wiege LF(Q)vor - RF(Q)platz - LF(S)rück |
Wiege RF(Q)rück - LF(Q)platz - RF(S)vor | (oder gelaufener Ocho)
Wiegen: vorkreuz (Dame rück) + platz - seit / rück (Dame vorkreuz) + platz - seit
Seitschritte: RF vorkreuz (1/8 LD diagonal iTr, li neben Dame) + LF schluß (1/8 RD)
RF rück (1/8 LD diagonal iTr / Dame vor oder re vorbei) - LF schluß (1/8 RD) ...
Verdoppelungen (in sehr enger Tanzhaltung)
- Basse mit verhindertem Kreuzen (LF vor) (1/4 LD) RF re + LF schluß - (1/4 RD) RF vor
- Basse mit Kreuzen - LF seit + RF platz + LF schluß - RF vor (li vorbei)
Und
viele Tangolehrer unterrichten ja nach wie vor die berühmte „Basse“, damit man
im Voraus weiß, wo man nach acht Taktschlägen landet. Interessant, woher diese
stammt:
„Argentinische
Showtänzer aus der Gruppe um Antonio
Todaro und Raul Bravo
(möglicherweise insbesondere der Tänzer Juan
Copis) lehrten tangobegeisterte Touristen eine einfach zu unterrichtende
Schrittkombination, die 'Paso basico' (oder 'Base') genannt wurde. Sie besteht
aus acht Schritten bzw. Positionen entsprechend den acht Zählzeiten eines
Tango-Liedteiles. Sehr schnell wurde diese Figur von Lehrern adaptiert, die mit
Touristen arbeiteten, um den Erwartungen gerecht zu werden. Heutzutage werden
im Salon und auf der Bühne nur Ausschnitte des Paso Basico angewendet (wenn
überhaupt) und vielfältig kombiniert.“
Bei so viel Bewegung dürfen selbstredend die
entsprechenden medizinischen Experten nicht fehlen:
„Die Arbeit der
Rückenstrecker zeigt sich eindrücklich am Verhältnis der Lasthebel. Zieht der
Schwerpunkt des Vorderkörpers nach unten, so muss der Rückenstrecker eine
enorme Zugkraft aufbringen, da er am kürzeren Hebel angreift. Bei einem
schlanken Menschen mag das Verhältnis noch 1:4 betragen, aber wenn er etwas
korpulenter ist (…) kann sich das Verhältnis rasch auf 1:5 oder mehr steigern.
In diesem Fall muss, wenn der Vorderkörper 20 kg wiegt, der Rückenstrecker eine
Zugkraft von mindestens 100 kg (2 Zentnern!) aufbringen, um zu verhindern, dass
der Mensch vorne zusammensackt!“
Quelle:
Dr. Michael Groß: „Gesund tanzen – Rückenschmerzen“ in Tangodanza Nr. 4/2015
Nur
nebenbei, da ich ja kein Experte bin: Ich dachte immer, Kräfte würden in Newton
und nicht in Kilogramm (Masseneinheit) gemessen – man lernt nie aus…
Ich
muss immer wieder darüber schmunzeln, wenn ich zu diesem Thema an die Worte des
argentinischen Showtänzers und Choreografen Carlos Copello denke:
“Denn er fängt an, über die Art der Muskulatur und die Technik zu reden,
die einzelnen Muskeln hier und dort... und ich schaue zurück auf meine frühen
Tage, als ich einen Schritt lernte: Ich konnte nicht mal gehen, verdammt
nochmal! Was konnte ich da über Muskeln, Energie und Technik wissen? Keine
Ahnung, über was alles die reden! Ich versteh’s gar nicht! Und dann geht einer
tanzen und hat überhaupt nichts kapiert! Glauben Sie mir, er versteht nichts!
Weil der Junge, der tanzen geht – so war es bei mir – hört den Anfang und das
Ende eines Stücks, alles dazwischen war für mich nur Geräusch, nur Lärm. Und
ich tanzte einfach, verstehen Sie?”
Im Konzert der Neunmalklugen dürfen natürlich die DJs
nicht fehlen. Fürs Auflegen gibt es selbstredend klare Regeln, welche man aber
notfalls in zehn Minuten verinnerlichen kann:
"10 Minuten Tango DJing-Anleitung:
Strukturieren Sie Ihre Milonga - als ersten Schritt müssen Sie die Grundstruktur des Tango-DJing-Sets lernen. Das geht so:
Tango Tanda - Tango Tanda - Vals Tanda - Tango Tanda - Tango tanda - Milonga Tanda - Tango Tanda - Tango Tanda - Vals Tanda - ...
Tango-Tandas haben 4 Lieder, Milonga- und Vals-Tandas haben 3 Lieder (…). Wenn du ein DJ-Set mit 15 Tandas auflegst, musst du 10 Tango-Tandas, 2 Vals- und 1 Milonga-Tanda spielen (oder umgekehrt).“
Quelle, übersetzt: http://tangomentor.com/instantdj/
Leuchtet mir jetzt rechnerisch nicht ganz ein - ich käme auf 10 Tango-, 3 Vals- und 2 Milonga-Tandas, ergäbe dann in der Summe auch 15...
Na egal, muss jedenfalls alles seine Ordnung haben!
Da der Rest ja kinderleicht ist, gilt das
Interesse von Platten-Jockeys vor allem der Wiedergabetechnik: Zum Thema „DJ Kurs für angehende Tango DJs“ geht
es auf einem Tangoforum fast ausschließlich darum:
„Ich verwende für meine Arbeit einen I7
Notebook mit 2xSSD Raid-Array als Systemdisk und 1 TB Festplatte für die Musik.
Das wird per USB an eine externe Soundkarte Z1 von Native Instruments
weitergereicht, die auch die AD-Wandlung und die Vorhörmöglichkeit übernimmt.
Nebenbei bemerkt steckt da auch ein 24bit/96kHz DAC drin. Von da aus geht es
analog ins Mischpult (Behringer DJX9000USB), das die Signale von meinem
Zweitnotebook für die VJ Seite, und das Mikrofon (für den Veranstalter)
hinzufügt (sowie den iPod Eingang für die ggf. darauf bestehenden Gastlehrer).
Vom Mischpult geht es wieder analog weiter zum EQ (Behringer DEQ 2496 mit
angeschlossenem Messmikrofon ECM8000, der neben EQ auch die Spektrumanalyse und
ggf. parametrische und dynamische EQs, sowie ggf. Kompressor/Expander
übernehmen kann, obwohl ich persönlich nie mittels Kompressor oder Limiter am
Dynamikumfang meiner Musik schrauben werde), von dort digital mittels AES/EBU
zum LS Management System DCX2496 und von dort analog und balanciert zu den 4
aktiven Lautsprechern und dem Subwoofer.“
Und ich Depp schieb einfach ‘ne CD rein…
Derzeit läuft gerade wieder eine
Diskussion unter Musikexperten, bei welcher mir einfach das nötige Fachwissen
fehlt:
„Der
argentinische Tango folgt prinzipiell dem Habanera-Rhythmus 1(+2)+3(+)4(+),
aber schon bei Piazolla finden sich viele Stücke, die schlichtweg einen 4/4
zugrunde liegen haben.“ (Herzliche, oft
wiederholte Bitte: „Piazzolla bzw.
Riedl“)
„Der
europäische Tango z.B. das (4) + 1, wobei die Achtel vor der 1 eben dann oft
schon die ‚Betonung‘ der 1 hat, der diese eigentlich ‚gehört‘.“
„Die
Habanera spielt in ihren Variationen in der Tat eine große Rolle mit ‚1___3_4_‘,
‚1+_+3_4‘ oder auch dem 3-3-2-Rhythmus.“
„Von
Vals sowieso, weil es ein Dreir-Rhythmus ist, und von Milonga, weil sie den
festen Rhythmus ‚1 - - und 3 -4‘ hat.“
„Wer
hier nur das Um-Pa-Pa des 3/4-Takts walzt, tanzt völlig an der Musik vorbei.“
(Quelle: https://www.facebook.com/groups/1561200534159741/?fref=ts)
(Quelle: https://www.facebook.com/groups/1561200534159741/?fref=ts)
Mei‘, schad‘ – und ich hatte erst wieder am
Wochenende einen solchen Erfolg bei meinen Tänzerinnen, weil die das „Um-Pa-Pa“
so mögen…
Eine Tangofreundin von mir würde - in bestem Schwäbisch - den Habanera-Rhythmus so erklären: „Horchschdu? Machschdu. Darfschdu!"
Aber stimmt schon, ich sollte auf der Piste meine Birne nicht mehr dimmen – so wie ein Kollege bei der obigen Diskussion auf www.tanzmitmir.net:
Eine Tangofreundin von mir würde - in bestem Schwäbisch - den Habanera-Rhythmus so erklären: „Horchschdu? Machschdu. Darfschdu!"
Aber stimmt schon, ich sollte auf der Piste meine Birne nicht mehr dimmen – so wie ein Kollege bei der obigen Diskussion auf www.tanzmitmir.net:
„Ich tanze
(hoffentlich) zur Musik von D'Arienzo oder Tanturi anders als zur Musik von Di
Sarli und wieder anders zur Musik von Piazzolla - wobei das natürlich auch von
der Zeit bzw. der Schaffensphase des Orchesterleiters abhängt, aus welcher die
Stücke jeweils stammen - aber das brauche ich dir ja sicherlich nicht zu sagen.
(…) „Ein paar Zentimeter nach links oder rechts oder etwas mehr Torsion etc. machen
nicht selten einen großen Unterschied“
Na klar, bei Männern immer! Aber ich
verspreche dir, lieber Kollege: Wenn es mir demnächst wieder mal gelingt, die
schönste und beste Tanguera der Milonga aufzufordern, ich sie in den Arm
nehme und mich der Duft ihres dezenten Parfüms umhüllt… wenn dann die ersten Takte
der Musik erklingen, werde ich mich lediglich auf zwei Überlegungen
konzentrieren:
„Ist meine Torsion
korrekt?“
„Ist das jetzt Tanturi
mit Castillo oder mit Campos?“
Und ich gelobe: Der Ententanz wird mich nicht
mehr faszinieren!
La
colegiala = La milonga del treno
(Enríque Rodriguez, Sänger: Roberto "El Chato" Flores, 1938)
(Enríque Rodriguez, Sänger: Roberto "El Chato" Flores, 1938)
P.S.
Mein Freund, die
Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
(Goethe: Faust I)Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
P.P.S.
Gerade hat Manuela Bößel auf ihrem Blog zum selben Thema einen ähnlichen, aber doch ganz anderen Text veröffentlicht: http://im-prinzip-tango.blogspot.de/2016/11/hefezopf-im-walzertakt.html
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