Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 35

Es gibt sicherlich keinen Darsteller, der den Musik- und Tanzfilm so geprägt hat wie Fred Astaire (Frederick Austerlitz, 1899-1987).

https://de.wikipedia.org/wiki/Fred_Astaire

Statt eines weiteren teuren Tango-Workshops würde ich raten, einmal die tänzerischen Sequenzen aus den 10 Filmen zu betrachten, die er mit seiner Partnerin Ginger Rogers (1911-1995) gedreht hat. Ich habe mir die Aufnahmen viele Male angesehen, und wenn ich wieder einmal auf eine stoße, bleibe ich erneut bis zum Schluss daran hängen.

Eine der Nummern, die mich nie loslässt, ist der Irving Berlin-Titel „Cheek to Cheek“ aus dem Filmmusical „Top Hat“ (1935). Die Szene beginnt mit einem von Astaire gesungenen Teil, in dem die beiden sich eher verhalten „Wange an Wange“ bewegen, und endet in einer Tanzeinlage, in der beide zeigen, was sie sonst noch können.

Erstmal anschauen und genießen:

https://www.youtube.com/watch?v=P1u2G16fq_Y

Natürlich wird es niemand von uns schaffen, diese Qualität auch nur ansatzweise zu erreichen. Ich meine dennoch, dass wir einiges von Astaire und Rogers lernen können:

Wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass Astaire die meiste Zeit total sanft und zart agiert und nur verhaltene Impulse liefert, was seiner Partnerin die Möglichkeit gibt, selber Akzente zu setzen. Ihr Partner liefert einen Rahmen, den sie ausfüllen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass sie perfekt das Gleichgewicht hält. Es gibt zwar, wo nötig, auch Kraftansätze, aber nur punktuell, sie werden umgehend zurückgenommen. Sicher sieht man die Verbindung, ebenso aber eine beiderseitige Eigenständigkeit.

Betrachtet man die Füße, wird man komplizierte Schritttechniken und Figuren vermissen. Selbst die Steppeinlage bleibt vergleichsweise einfach. Nicht nur die Beine tanzen, sondern der ganze Körper dient als Ausdrucksmittel.

Was macht den Zauber dieses Tanzes aus? Für mich ist es die absolute Verschmelzung der beiden mit der Musik und ihren Emotionen. Sie „führt“ das Paar. Besonders Astaire gelingt es immer wieder, den „Groove“ der Klänge auf die Bewegungen und die Stimmung zu übertragen.

Ebenfalls lebt der Tanz davon, dass die beiden auf jegliche „festgetackerte“ Tanzhaltung verzichten. Der physische Kontakt wird ganz in den Dienst des Miteinanders, des tänzerischen Ausdrucks gestellt. Selbst wenn sich die beiden räumlich getrennt bewegen, erkennt man das unsichtbare Band, welches die Darsteller verbindet.

Wenn wir im Pörnbacher Wohnzimmer üben, gebe ich gerne mal jeden Körperkontakt auf, die Verständigung erfolgt nur optisch und musikalisch. Das ist anfangs nicht leicht, fördert aber das eigenständige Tanzen ungemein!

Nochmal: Was bezaubert, ist nicht die Choreografie, sondern der tänzerische Ausdruck. Zumindest für Laien setzt das voraus, dass einen die Musik inspiriert und mitnimmt. Und ich glaube, Astaire und Rogers wollten auch nicht zu irgendwas tanzen, sondern zu einer Musik, die damals die Massen begeistert hat.

Daher schlage ich vor, einmal die „Schritte und Figuren“ zu vergessen und auf die Musik zu hören. Und die Verbindung mit dem Tanzpartner zu suchen – nicht durch Anklammern, sondern über das gemeinsame Musikerlebnis.

Also: Kümmern Sie sich nicht um die Schritte – tanzen Sie! Und wie Sie das tun, ist nicht eine Entscheidung der Mehrheit, sondern von genau zwei Personen und der Musik.

Let’s face the music and dance!

https://www.youtube.com/watch?v=c08wiEyVuak

Kommentare

  1. Astaire in drei Minuten
    Lieber Herr Riedl,
    da haben Sie uns ja wieder ein schönes Bild gemalt: Wir lassen die Workshops sausen, schauen einmal „Cheek to Cheek“, und schwupps – tanzen wir wie Astaire und Rogers.
    Wenn es nur so einfach wäre! Die beiden hatten Kindheitstraining, Jahrzehnte Bühnenerfahrung, tägliche 8-Stunden-Proben und pro Filmminute gefühlt ein halbes Dutzend Wiederholungen – und das, obwohl sie’s längst perfekt konnten.
    „Kümmern Sie sich nicht um die Schritte – tanzen Sie!“, raten Sie. Klingt wunderbar – fast so, als könnte man mit einem YouTube-Video, Wohnzimmerboden und guter Laune jahrzehntelanges Profitraining, Choreografiearbeit und 20 Takes pro Filmszene einfach überspringen.

    Aber träumen darf man natürlich. Vielleicht sieht man sich ja demnächst im Wohnzimmer, wie man auf spiegelglattem Parkett Wange an Wange durch die Szene schwebt – ganz ohne feste Tanzhaltung, aber mit einem unsichtbaren Band.
    Nur eins: Für Tango müssten wir dann die Musik noch mal austauschen.

    Ich weiß schon, was Sie antworten, ich werde nicht nachsehen: das übliche "…ich weiß schon… dass usw. … nur als Anschaungsmaterial…" – Relativierung-Gedöns. Aber wenn Sie das alles wissen, warum schreiben Sie's dann trotzdem?
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Halter

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Lieber Herr Halter,
      herzlichen Dank! Ich habe mit meiner Frau gewettet, irgendein Depp würde behaupten, wir wollten uns irgendwie mit Astaire und Rogers vergleichen. Nun muss sie die Flasche Schampus zahlen.
      Im Ernst: Nach über einem halben Jahrhundert Tanzen muss mich niemand über die Unterschiede aufklären. Und auch nicht darüber, dass es mit der heute üblichen langweiligen Tangomusik an Inspiration fehlt. Daher lieber Irving Berlin.
      Aber von wem soll man sich anregen lassen, wenn nicht von den ganz Großen? Welcher Geigenschüler hat nicht Menuhin, Perlman oder Garrett im Sinn, wenn er übt? Oder welcher Fußball-Knirps versucht nicht Spielzüge wie Gerd oder Thomas Müller?
      Was wäre eine Leidenschaft ohne Vorbilder?
      Und ja, wir haben tatsächlich schon öfters zu „Cheek to Cheek“ und Ähnlichem getanzt.
      Sie dürfen sich gerne einmal persönlich überzeugen, indem Sie sich für einen Pörnbacher Übungstermin per Mail anmelden – ernst gemeint! Aber dann bitte auch selber mitmachen.
      Bis dann!
      Gerhard Riedl

      Löschen
    2. Na, dann habe ich ja mit meiner Prognose Ihrer Antwort genau ins Schwarze getroffen. Schön, dass Sie schon so durchschaubar sind. Ihre Kommentare sind inzwischen, als Lernmaterial Ihrer Denkweise, sehr brauchbar.
      Die Frage bleibt: Wenn Sie darauf wetten konnten, war es doch reine Provokation, oder?
      Also sind es alles Deppen, die ihren Artikel nicht als "Honigtopf für Hohlköpfe" verstehen, sondern inhaltlich versuchen, sie zu widerlegen? Schönen Dank, das Ihre Leser und ich jetzt Bescheid wissen.
      Mit freundlichen Grüßen
      Werner Halter
      PS: Im Übrigen sind Sie beim Abkanzeln Ihrer Kommentatoren recht schnell – ein paar Sätze und schon sind diese wieder weg – wie lästige Fliegen. Tolles Konzept: Der Blog als Selbstdarstellung per Erniedrigung der Leser,, die sich nicht huldigen.

      Löschen
    3. Ach, jeder Leser darf sich huldigen, so viel er will…
      Was mich aber wundert: Sie wollten doch gar nicht nachsehen, was ich schreibe? Aber irgendwie scheint es ja doch interessant zu sein!
      Ob meine Leserinnen und Leser Bescheid wissen, mag ich nicht beurteilen. Bei Ihnen jedenfalls bin ich mir sicher.
      Dann wird Sie mein Hinweis nicht erstaunen: Wenn Ihnen noch etwas zum obigen Text einfällt – bitte.
      Erörterungen zu meinem schlechten Charakter würde ich löschen.

      Löschen
  2. Heute erreichte mich per Mail ein Kommentar von Michael Pohle:
    „Auch ich habe das Tanzen von Fred Astaire und seinen Partnerinnen studiert.
    Es erhebt sich die Frage: was macht deren Tanzen so besonders?
    Geflexte Knie und die Bewegungen erfolgen aus den Fußgelenken.
    Bei den Damen ist’s schwierig zu sehen - ob der langen Kleider.
    Bei Fred Astaire ist’s besser zu sehen - 'mal ne‘ Stunde Zeit nehmen und den Meister beobachten - und es dann auszuprobieren - am besten zu dem Titel von Hugo Diaz - Milonga para una armónica.“

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank für die hilfreichen Anregungen!

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.