Zurück zum Tango?
In einem Internet-Forum fand ich die Anfrage einer Tänzerin, die ich in Variationen schon öfters kennengelernt habe. Der Titel:
„Zurück zum Tango, nachdem die meisten Führenden aufgehört haben, mich zum Tanzen aufzufordern“
Ich habe den vollständigen Text übersetzt:
„Ich hoffe, der Titel klingt nicht zu dramatisch. Ich bin auf der Suche nach Ratschlägen, Gedanken, Warnungen oder Mitgefühl, was mir jemand für meine Situation geben könnte, nachdem ich nach vier Jahren Pause wieder mit dem Tangotanzen anfangen möchte.
Ich habe eine Pause beim Tangotanzen eingelegt, weil innerhalb von ein oder zwei Jahren alle Tanzpartner, mit denen ich regelmäßig auf dem Parkett war, aufgehört haben, mit mir zu tanzen. Tangonächte wurden zu einer zunehmend unangenehmen Erfahrung. Aber ein Lehrer, den ich sehr mag, wird für mehrere Unterrichtsstunden in der Stadt sein, und ich möchte zumindest seine Kurse besuchen.
Als dieser Lehrer das letzte Mal hier war, sagte er etwas sehr Seltsames in einem Gespräch, an dem wir beide zusammen mit einigen anderen Tänzern teilnahmen: ‚(…) tanzt wirklich gut, aber sie tanzt nicht gerne.‘ Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein: Ich liebe das Tanzen. Dieses Mal möchte ich ihn fragen, warum er denkt, dass ich nicht gerne tanze; damals war ich so perplex, dass ich nicht auf die Idee kam, ihn zu fragen.
Das war während meiner vierjährigen Pause, aber es gab Live-Musik in der Milonga, und ich wollte dabei sein.
Ich führe und folge, aber seit die Männer mich nicht mehr zum Tanzen auffordern, habe ich wirklich gemischte Gefühle, was das Führen angeht.
Ich weiß nicht, was ich hier noch schreiben soll. Es gibt so viel, was relevant sein könnte, aber es ist schwer zu sagen. Wenn ihr weitere Informationen oder Erläuterungen benötigt, könnt ihr mich gerne fragen.“
Später fügt sie noch hinzu:
„Ja, meine ganze Tanz-Community hat sich im Laufe der Jahre drastisch verändert. Früher haben eigentlich alle mit allen getanzt, jetzt bekommen ein paar wenige Follower viele Tänze hintereinander, mehrere Tandas am Stück ohne Partnerwechsel, und der Rest der Folgenden bekommt kaum welche. Ich fand das immer schrecklich, aber ich glaube, ich muss loslassen, wie es früher war, und akzeptieren, wie es jetzt ist.
Interessant ist, dass außer denen von uns, die kaum tanzen, das anscheinend niemand bemerkt. Ich weiß nicht, ob es einen Grund gibt, warum die Leute das wahrnehmen sollten; es ist einfach ein weiterer Aspekt von ‚so sind die Dinge nun mal‘, den ich akzeptieren muss. (…)
Ich denke, eine Teilantwort ist, dass während einer meiner vorherigen Tanzpausen die Community vom hauptsächlich verbalen Fragen größtenteils zum Cabeceo gewechselt ist, sogar bei den Practicas. Ich bin ein paar Mal richtig abgeblitzt, als ich verbal gefragt habe, und das hat mich sehr vorsichtig gemacht.“
Ja, der gute Cabeceo… Ich bleibe bei der Ansicht, dass er in der Summe mehr Tänze verhindert als ermöglicht!
Ansonsten würde ich beim obigen Lamento einige Fragezeichen anbringen:
Die Dame möchte also zum Tango zurückkehren, da ein Lehrer, den sie sehr möge, wieder Kurse anbiete. Und das ist genau der, welcher im Beisein anderer dumm über sie daherredete! Und diesen Idioten will sie nun um Rat fragen, schlimmer: ihn für Unterricht bezahlen? Unfassbar!
Insgesamt scheint sich die betreffende Szene sehr zum Negativen entwickelt zu haben. Vieles spricht für Cliquenwirtschaft und hochnäsiges Verhalten. Bei einem solchen Unterricht kein Wunder: Wie der Herr, so das Gescherr. Ich fürchte, da wird sie als Einzelne wenig ausrichten können. Eventuell könnte sie versuchen, eine „Allianz der Vernünftigen“ zu etablieren, denn anderen Damen scheint es ja ebenso zu gehen – Ausgang ungewiss.
Die Tänzerin kann auch führen. Das wäre doch ein Ansatz, zumindest mit Frauen in Kontakt zu kommen! Freilich muss man bedenken: In einer derart vernagelten Szene könnte sie dann als Folgende erst recht tabu sein.
Unterm Strich könnte man einiges probieren. Ich fürchte aber, man ist dort zu asozial für Veränderungen. Wahrscheinlich ist es besser, sein Glück in der Flucht zu suchen.
Etwas, das ich nie verstehen werde: Wieso hängt man an einer Szene, die einem alle Möglichkeiten verbaut? Meist gibt es doch Alternativen, auch wenn man dann (vielleicht per Fahrgemeinschaft) längere Strecken zurücklegen muss! Im Urlaub nimmt man oft viel weitere Entfernungen in Kauf. Oder man könnte sich mit einigen Vernünftigen mal zum gemeinsamen Üben treffen. Häufig ist man aber zu träge, um wirklich gezielt Veränderungen anzustreben.
Aber wenn man vier Jahre Tangopause erträgt, kann der „Tanzdruck“ auch nicht besonders hoch sein!
Klar, wenn man diesen Tanz liebt, möchte man natürlich auch öfters auf dem Parkett sein. Ich glaube, man kann diese Leidenschaft aber auch anders ausleben – beispielsweise, indem man zu Hause zur Lieblingsmusik übt, andere Tanzende beobachtet oder den sozialen Kontakt genießt, indem man offen auf andere zugeht. Und, wie gesagt, den Tango dort probiert, wo er einem nicht durch arrogante Schnösel vermiest wird. Ja, solche Orte gibt es, wenn man intensiv danach sucht! Sie bringen einen weiter, auch wenn dort auf den ersten Blick „wenig los" ist.
Ich habe mich oft gefragt, warum ich selber nicht längst mit dem Tango aufgehört habe – so wie viele, die mit mir um die Jahrtausendwende angefangen haben. Musik, Tanzstile, Verhaltensnormen und Menschentypen haben sich inzwischen drastisch verändert. Von dem Zauber, den wir einst erlebten, ist wenig übriggeblieben.
Abschließend beantworten kann ich diese Frage nicht. Ich weiß nur, dass es ohne einige Frauen in meinem persönlichen Umfeld schwierig geworden wäre. Und ich habe mich dem Tango als Autor genähert – mehr zufällig als lange geplant. Der Shitstorm, der über mein Buch hereinbrach, hat mich bis heute beflügelt – ebenso die Wirkung meines Blogs, mit dem ich zum „Gottseibeiuns“ des deutschen Tango mutierte. Und jeder Schauspieler weiß: Schurken darzustellen ist viel spannender als den jugendlichen Naiven (oder den greisen Oheim) zu geben.
Daher gibt es für mich kaum eine Milonga, von der ich völlig enttäuscht heimkehre. Entweder es war schön oder wenigstens so grauslich, dass mir die Idee für einen Blogartikel kommt (oft am nächsten Morgen). Und wenn sich dann jemand darüber ärgert, verbuche ich das als weiteres Erfolgserlebnis!
Folglich lautet mein Rat an die ziemlich verzweifelte Tanguera:
Der Tango ist weit vielfältiger als man glaubt. Er weist jedem von uns eine sehr spezielle Rolle zu – falls man genau hinhört. Die kann man annehmen oder es lassen. Aussuchen können wir uns da wenig!
P.S. Heute erschien das Buch „Wot se Fack, Deutschland? – Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben“ von Vince Ebert. Prompt erschien nun ein Verriss im SPIEGEL: „O Tempora, o Kokolores!“ Der Hinweis der Facebook-Seite des Kabarettisten führte zu über 500 Kommentaren; in vielen wurde versichert, man habe das Buch gerade wegen der negativen Kritik bestellt. Auch meine Order ist inzwischen abgeschickt!
https://www.youtube.com/watch?v=b712eKS5gD4
Heute erreichte mich dazu ein Kommentar unter wohl falschem Namen: Meine Ansicht, der Cabeceo verhindere mehr Tänze als er ermögliche, sei „kompletter, unüberlegter Schwachsinn“. Ich solle das auf einer normalen Milonga im Kopf grob durchrechnen: Ich werde nie auf 51 Prozent verhinderter Tänze kommen.
AntwortenLöschenSeit wann besuche ich normale Milongas? Da wird es für mich natürlich schwierig, mitzureden.
Gut, das Standesamt führt auch keine Statistiken über den Anteil verhinderter Kinder… Wäre ein bisschen kompliziert.
Die Milchmädchenrechnung ginge vielleicht auf, wenn alle Tänze auf einer Milonga durch Cabeceo entstünden. Da das Ding aber ein wenig kompliziert und fehleranfällig ist, beobachte ich eine Menge von Umgehungsstrategien: Dies geht von direkten Aufforderungen bis zu nebendran hinsetzen und erstmal vollquatschen oder an der Tür respektive am Büfett lauern. Das müsste man alles reinrechnen.
Oder es fühlt sich irrtümlich die Sitznachbarin gemeint. Oder beide. Oder keine hat Lust.
Um einen alten Studienfreund zu zitieren: Das geht nur mit dem Cosinus...
Daher mein persönlicher Eindruck: Die Mehrzahl der Blinzelversuche geht schief.
Sie geben also zu, dass sie keine Ahnung haben, wovon sie schreiben? Das finde ich schon mal löblich. Vielleicht sollten Sie aber kenntlich machen, dass es sich bei ihrer Meinung nur um den Sonderfall der bayrischen Provinzmilongas handelt und eben nicht um die Mehrheit der normalen Milongas. Sie bestätigen mal wieder: ganz schön viel Meinung für wenig Ahnung.
AntwortenLöschenT. Ocker
Ich habe keine „Meinungen“ geäußert, sondern Beobachtungen auf der Basis vieler Milonga-Besuche.
LöschenLeider haben Sie wohl weder Lust noch Grips, auf meine rechnerischen Einwände einzugehen. Daher Ende der Debatte!
bitte differenzieren Sie im konkreten Fall zwischen Meinung und Ansicht.
AntwortenLöschenPeter Wüstenberg
Dürfen Sie gerne mal vormachen - vielleicht sehe ich dann, was Sie meinen!
LöschenMein Gott, sie stehen aber auf dem Schlauch. Oben, sagen Sie, sie hätten keine Meinung geäußert,. Im Haupttext sagen Sie „meiner Ansicht nach“. Das widerspricht sich und ist eine ihrer typischen Methoden, sich bei Widersprüchen heraus zu reden.
AntwortenLöschenEs reicht, wenn Sie mich mit "Herr Riedl" anreden.
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