Entweder – oder?

„In der Kulturwelt hingegen habe ich es aufgegeben, zu diskutieren. Viele sind gar nicht bereit, sich mit Fakten auseinanderzusetzen. Einmal sagte mir ein österreichischer Kabarettist direkt ins Gesicht: Im Gegensatz zu dir habe ich halt Werte.‘ Ohne mit der Wimper zu zucken. So ist es halt, damit habe ich mich abgefunden."

https://www.facebook.com/Vince.Ebert/posts/pfbid0DJtd1V4N2nVDNvpSE9CRTJPVR1WbuvE1jebfE6oeCAE9w8RTgUepKCGqJxthMWJMl

Was der Physiker und Kabarettist Vince Ebert über seine Kollegen schreibt, klingt eigentlich unglaublich: Welch anderer Berufsstand sollte eigentlich mehr für Toleranz, für Liberalität eintreten? Gegen eingerostete Denkschemata kämpfen?

Ein Schreiber auf Facebook fügte ein Zitat von Marcel Reich-Ranicki an:

„Wenn Sie mal etwas besonders Dummes hören wollen, dann fragen Sie einen Künstler nach seiner politischen Meinung."

Gut, dass dem Star-Kritiker Tangoblogs sicherlich unbekannt waren! Auch da würde man im Kommentarbereich fündig.

Zuschriften wie die folgende erhalte ich immer wieder (und in meist ähnlichem Deutsch):

„vor nicht allzu langer zeit schrieben sie darüber noch GANZ anders (…) wissen sie eigentlich, was sie wollen? vielleicht sollten sie mal ihren psychiater fragen ....“

Im konkreten Fall ging es um eine Veranstalterin und Tangolehrerin, deren Milonga ich besuchte und dazu einen sehr positiven Artikel verfasste. Später las ich von ihr einige Veröffentlichungen, die eher meine satirische Neigung ansprachen. Es entstanden Texte, welche man durchaus als kritisch ansehen kann.

Für einen ehemaligen Lehrer gehört das zum Alltag: Auch der Klassenprimus (gendert man das als „Klassenprima“?) hat mal seine Hausaufgaben nicht gemacht – und der Schwächste trifft unerwartet plötzlich ins Schwarze: vielleicht selten, aber doch! Die Benotung hat ohne Ansehen der Person zu erfolgen – nur die Leistung zählt.

Durch unsere Gesellschaft ziehen sich immer mehr Risse: Dezidiert linke Positionen werden als gefährliche ideologische Verirrungen attackiert, konservatives Gedankengut gerät schnell in Gefahr, als Unterstützung der AfD abgestempelt zu werden. Und die hat sowieso stets Unrecht!

Gefordert werden „Brandmauern“, die ja das Übergreifen der Flammen auf noch unzerstörte Gebäudeteile verhindern sollen. Als Wand vor dem Hirn aber sind sie gefährlich.

Das gilt in der großen Politik wie in der kleinen Tangowelt: Kommt eine Ansicht aus der eigenen Blase, kann sie nur richtig sein. Stammt sie von der anderen Fraktion, gilt sie a priori als falsch, ja verwerflich.

Nehmen wir die Musik: Ein gefühlvoller Tango von Di Sarli ist entweder ausschließlich ein unübertroffenes Meisterwerk oder fades Geplürre. Schreibt einer, er tanze manchmal ganz gerne dazu, finde aber viele moderne, eher schräge Arrangements ebenfalls interessant, breitet sich Irritation aus: Ja, wie jetzt? In welche Kategorie soll man den Verfasser nun „einordnen“? (Eine Lieblingsvokabel aus dem „Belehrungs-Journalismus“!).

Ebenso ermöglichen Rituale wie der Cabeceo eine schnelle Einteilung: Eine solche Aufforderungsweise kann nur völlig unsinnig sein oder wird zur ausnahmslosen Pflicht erhoben. Dazwischen gibt es nichts!

Stellt man den Nutzen vieler Tangokurse und „Workshops“ in Frage, wird sofort triumphierend (oder gar „trumphierend“) behauptet, der Autor lehne jeglichen Tanzunterricht pauschal ab, womit natürlich die Seriosität seiner Aussage restlos widerlegt ist: Holzhammer statt Differenzierung!

Ein Beispiel von vielen:

„Oberlehrer der besten Güte. Zauberkünstler ohne Applaus. Buchautor eines Werkes, das sich höchstens als Anzünder im Kamin empfiehlt. Und natürlich: Piazzolla-Fetischist erster Stunde.“

https://tangoblogblog.wordpress.com/2025/04/21/noch-ein-gastbeitrag-von-christian-beyreuther-der-noch-grosere-riedl-tango-fuhrer/

Will sagen: Die Zielperson hat in ihrem Leben rein gar nichts hinbekommen – eine absolut verfehlte Existenz wird per Schuss aus der abgesägten Schrotflinte vernichtet! Und, was missglückte Satire-Versuche oft kennzeichnet: handwerklich schlampig: 1955, als Piazzolla seinen Tango nuevo aus der Taufe hob, war ich noch nicht mal ein Schulkind!

Man geht aber noch einen Schritt weiter: Bestimmte Standpunkte werden nicht nur als völlig unsinnig dargestellt, nein: Es wird zusätzlich nach Kräften moralisiert. Der Kabarettist Vince Ebert sagt dazu:

„Man geht sofort auf die Person los, wenn du das schreibst, bist du ein schlechter Mensch. Wir teilen die Leute sofort in Gut und Böse, in ethisch oder unethisch ein, und das ist eigentlich eine Rückentwicklung in voraufklärerische Zeiten.“

https://www.ffh-mediengruppe.de/presse/updates/440929-silvia-am-sonntag-mit-kabarettist-vince-ebert.html

Wer beim Tango andere Vorstellungen von der gemeinsamen Nutzung der Tanzfläche hat, kann nur rücksichtslos sein und Verletzungen sowie (noch schlimmer) Irritationen seiner Mitmenschen in Kauf nehmen. Setzen, moralisch ungenügend! Dass man auch auf seine Umgebung achten, anderen freie Räume lassen kann, wenn man abweichende Bewegungskonzepte verfolgt, wird nicht in Betracht gezogen.

Anklage, Urteil – fertig!

Ich sehe nun förmlich einen literarischen Papagei auf diesen Zeilen landen, um mir einen gut gelernten Spruch aufzusagen:

„Du machst das doch auch so! Selber!“

Klar, Satire lebt von Übertreibung und Zuspitzung. Damit die Lesenden aber nicht alles für bare Münze nehmen, hat man ein wichtiges Warnzeichen eingebaut: Ironie. Sie fordert dazu auf, hinter der drastischen Formulierung nach dem eigentlichen Kern zu fahnden. Wenn man Sprache liebt, kann das viel Spaß machen.

Wer sie jedoch nur als notwendiges, aber lästiges Kommunikationsmittel begreift, wird unweigerlich zu Fragen getrieben wie: „Soll das jetzt Satire sein?“

Dass dies – in anderer Hinsicht – auch wieder lustig ist, tröstet mich!

Satiriker können nicht verhindern, auch von Leuten gelesen zu werden, welche das wöchentliche Reklame-Anzeigenblatt für Literatur halten. Nur sind Autoren nicht schuld daran, dass diese so sind und dann, nach dem letzten Viertelpfund-Aufschnitt-Angebot, auch mal in einem satirischen Text blättern.

Übrigens: Das war gerade Satire! Natürlich ist das Schmökern in Reklameblättchen kein Beweis für mangelnde Bildung. Kann ja manchmal durchaus interessant sein!

Eigentlich sind Menschen, die nur in Ja/Nein-Kategorien denken, zu bedauern, weil sie diese rigiden Schemata wohl auch auf sich selber anwenden: Alles, was sie tun, muss ja total richtig sein, ansonsten ist es völlig verfehlt. Da wünsche ich ein schönes Leben!

Mit mir selber bin ich gnädiger: Öfters bin ich halt näher dran an der Wahrheit – manchmal auch weiter entfernt. „Sowohl-als auch“ liegt mir näher.

Vielleicht fasziniert mich der Tango gerade wegen seiner vielen Antagonismen, die auch in seinen Texten erkennbar sind: Man ist verliebt, aber auch enttäuscht und eifersüchtig. Die Magie der alten Stadtviertel wird beschworen und gleichzeitig ihr Verschwinden beweint, der Alkohol ist Tröster und Verderben in einem. Die Gründerväter und Mütter des Tango konnten den Widerspruch zwischen ihren hochfliegenden Träumen und ihrer kümmerlichen Existenz nicht auflösen.

In der ersten Fassung meines „Milonga-Führers“ schrieb ich:

Wie wäre es damit, unauflösliche Gegensätze schlicht als Teil des Lebens anzunehmen – zu akzeptieren, dass auch einmal das ‚böse Gegenteil‘ oder sogar beides richtig sein kann, dass wir mit Problemen nicht immer ‚fertig werden‘? Der Tango bietet dazu eine geniale Möglichkeit: Man kann sich bewusst in ein solches Spannungsverhältnis begeben – nicht um dieses abzubauen, sondern es auszuhalten, indem man es tanzend darstellt und aus dem vorhandenen Potenzial sogar neue Lebensenergie schöpft.“ (S. 320)

Ich hoffe daher, dieser Artikel hat bei Ihnen Gefallen, aber auch Widerspruch bewirkt!

P.S. Zum Schluss noch Gegensätze der besonderen Art: Piazzolla und Standardtanz! Wie soll man das „einordnen“?

https://www.youtube.com/watch?v=kdhTodxH7Gw

Kommentare

  1. tja, und schon verfälschen und verdrehen sie wieder respektlos denn sinn von zitaten. oder haben sie wirklich den inhalt meines kommentars nicht kapiert? möglich wäre es - dann soltlen sie aber erst recht einen Arzt aufsuchen! dieses zitat habe ich nämlich zu ihrem beitrag "bleiben wir beim sie" geschrieben und damit gemeint, das das per-du-sein und das bussi-bussi ihnen sehr gut gefallen hat. kein wunder also, dass sich viele über sie beschwerden, weil sie bei zitaten, die sie ganz gezielt aus dem zusammenhang reissen, den sinn verfälschen. sie sollten doch alle kommentare veröffentlichen - ihre leserschaft ist nämlich nicht so dumm und versteht die zusammenhänge besser als sie es tun.

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    1. Tja, mein Lieber,
      wer anonym schreibt, verzichtet damit auf jegliche Ansprüche aus dem Zitatenrecht. Blöd gelaufen, ist aber so.
      Außerdem haben Sie Ihren Text genauso formuliert, wie ich ihn wiedergegeben habe. Das Problem mancher Schreiber ist halt, dass sie erst merken, welchen Quatsch sie geschrieben haben, wenn sie ihn zitiert sehen.
      Ist aber nicht mein Problem!

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