Name, Schall und Rauch

 

„Du übst viel Kritik. Das ist legitim. Kritik ist Teil jeder lebendigen Kultur – auch im Tango. Aber du tust das oft mit einer Schärfe, die andere persönlich trifft. Und du reagierst empfindlich, wenn man dir spiegelt, was du selbst über Jahre hinweg verteilt hast.“

https://tangoblogblog.wordpress.com/2025/04/27/offener-brief-von-christian-beyreuther-an-gerhard-riedl/

Spötter haben es in der heutigen Zeit immer schwerer. Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert sagt dazu, in seiner ersten Zeit auf der Bühne habe es gereicht, Texte zu schreiben, über welche die Leute lachten. Heute aber komme es darauf an, dass die Richtigen lachen.

Cancel Culture? Die beträfe nicht Künstler wie Monika Gruber oder Dieter Nuhr, welche eine riesige Fangemeinde hätten und daher immer noch große Hallen füllten und im Fernsehen vorkämen. Kabarett-Anfänger müssten es sich aber durchaus überlegen, ob sie den einen oder anderen Gag angesichts der linksgrünen Humorlosigkeit lieber weglassen sollten. Sonst kämen Veranstalter schon mal auf die Idee, ob sie auf einen Neuling, der eh noch nicht viele Karten verkaufe, nicht lieber verzichteten – um ihren Frieden mit den Ideologen nicht zu gefährden.

Ich erinnere mich mit Schmunzeln an eine Diskussion mit einem privaten Besucher, der beim Thema Dieter Nuhr meinte, der habe ihm früher sehr gefallen – nur seine jetzige Entwicklung zu eher konservativen Anschauungen gehe ihm zunehmend gegen den Strich. Ich antwortete, dass ich über gute Gags stets lachen könne – auch, wenn sie meinen eigenen politischen Einstellungen zuwiderliefen.

Ich fürchte, er hat mich nicht verstanden.

Im Lauf vieler Jahre hat sich der Begriff „Spießbürger“ gewandelt: Früher waren das ehrenwerte Leute, welche ihre Stadt mit dem Spieß verteidigten. Später wurde daraus engstirnige Individuen, welche, jeder gegenläufigen Entwicklung abhold, ihre Kleingartenidylle verteidigen.

Nach einer Umfrage halten 19 Prozent der Deutschen andere für Spießer, während nur 3 Prozent diesen Begriff auf sich selber anwenden wollen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Spie%C3%9Fb%C3%BCrger

Ich glaube, es gibt heute solche Menschen mit ganz verschiedenen politischen Einstellungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Kabarett und Satire mit der Erwartung begegnen, ihre eigene Meinung bestätigt zu sehen. Da sehe ich zwischen linken und rechten Spießern kaum Unterschiede.

Ein Dauer-Kommentator meines Blogs liefert mir in zuverlässiger Frequenz Streitschriften, welche meine Ansichten zum Thema Tango verteufeln – selbst, wenn sie mal mit seinen übereinstimmen. Kann ja gar nicht sein, dass ich so Recht habe wie er! Meine politisch gefärbten Artikel scheinen ihm dagegen zu gefallen. Wie das? Klar – da entsprechen sie offenbar generell seinen eigenen Vorlieben. Dann müssen meine Schöpfungen ja prima sein!

Ich versuche, so gut es geht, diesen Fehler zu vermeiden: Wenn ich einen Text lese, bemühe ich mich, die Person des Autors zu verdrängen. Menschen, die ich mag, können auch mal einen entsetzlichen Käse verzapfen – und auch der größte Depp schreibt eventuell etwas Vernünftiges. Niemand trifft stets ins Schwarze oder hundertprozentig daneben.

Nicht nur im Tango ist eine solche Einstellung höchst unpopulär. Wer dürfte es wagen, einen Tangoweltmeister oder ähnlichen Guru zu kritisieren? Dessen Weisheiten und Fertigkeiten sind sozusagen per Werkseinstellung über jede Kritik erhaben! Und was Zweifler wie mich betrifft: Meine Ansichten sind selbstverständlich falsch, ja skandalös – die braucht man gar nicht erst zu lesen!

Es kommt halt nur drauf an, welcher Name drübersteht.

Die Satire-Zeitschrift „Pardon“ schickte einmal unter dem Fantasienamen eines Amateurschriftstellers 8 Seiten aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ als „Probe eigener Arbeit mit der Bitte um Veröffentlichung“ an mehr als 30 Verlage. Sie lehnten ausnahmslos das Manuskript ab.

https://de.wikipedia.org/wiki/Pardon_(Zeitschrift)

Ist Name „Schall und Rauch“, wie es in Goethes Faust heißt? Na ja, man kann die Gehirne damit durchaus benebeln!

Viele streben nach der wohligen Nestwärme der eigenen Gruppe – ob nun Partei, Religionsgemeinschaft, Sport- oder Tangoverein. Man bekennt sich zum traditionellen Tango oder ist ein Neo-Fan, besucht gar nur noch Encuentros, was einen als Bewohner des Vierviertel-Elysiums adelt. Hauptsache unter Gleichgesinnten (respektive ähnlich Tanzenden).

Im Gegensatz dazu sage ich: Auch ein traditioneller DJ kann mich mal begeistern – oder ein Neo-Aufleger ein Musikprogramm gestalten, das zum Fürchten ist. Ich habe keine Angst, beides zuzugeben.

Ansichten zu haben, die nicht zur geistigen Untermiete in einer Gruppe verpflichten, machen einsam. Mit Individualität muss man leben können. Aber sie wirkt unendlich befreiend. Nie ist man gezwungen, den größten Käse als Gruppen-Konsens abzunicken. Oder aufzupassen, dass man nicht den Falschen zustimmt.

Damit sich über meinen Text die Richtigen aufregen: Selbst ein AfD-Politiker kann mal Vernünftiges sagen. Oder sogar ein FDP-Vertreter. Aber glücklicherweise wird das nicht oft der Fall sein! Es wäre ein Zeichen von Souveränität, das im Einzelfall zuzugeben, statt in irgendwelche komischen Reflexe zu verfallen.

Auch in der Tangoszene könnte man ja einmal die öffentliche Diskussion über meine verqueren Ansichten wagen. Stattdessen werde ich beschimpft oder angeschwiegen.

Um aus der anfänglichen Quelle nochmal zu zitieren:

„Es geht um den Ton, den wir in der Tangoszene miteinander anschlagen.
Es geht um Respekt – auch und gerade im Widerspruch.
Und es geht darum, wie Kritik wirkt, wenn sie ständig abwertet, ohne Dialog zuzulassen.“

Tja, Mann, da sachste was!

Foto: www.tangofish.de
P.S. Bin ich selber ein Spießer? I wo! Dass ich am liebsten auf unserer Terrasse sitze und ungern verreise, ist doch nur vernünftig, oder? Und gewissen Tangobekannten höre ich gar nicht mehr zu, weil die eh nur Quatsch erzählen... 

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