Palmer vs. Frohnmaier

Wieder einmal unternahm Boris Palmer, der ex-grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Unerhörtes: Er war bereit zu einer Diskussion mit dem baden-württemberger AfD-Chef Markus Frohnmaier!

Der Hintergrund: Die AfD hatte für letzten Samstag eine Demonstration in der Tübinger Innenstadt angekündigt. Die örtlichen Geschäftsleute fürchteten deshalb große Einnahme-Ausfälle.

Palmer entschloss sich, Frohnmaier stattdessen ein öffentliches Streitgespräch anzubieten. Dieser nahm an. Klar, die Beachtung war seiner Partei damit garantiert.

Man gab sich große Mühe, den Ablauf möglichst detailliert zu planen – so sollten auch Fragen aus dem Publikum gestellt werden dürfen. Weiterhin hatte man sich auf bestimmte Themenkreise (Meinungsfreiheit, Innere Sicherheit/Migration, Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, Klimaschutz, Wohnungsbau/Soziales und Demokratie/Rechtsstaat) geeinigt, die nacheinander abgehandelt werden sollten.

In den Medien erfährt man davon relativ wenig – umso mehr jedoch von den Störversuchen der „Antifa“, welche auf Diskussionen keine Lust hatte, sondern die Veranstaltung gerne gesprengt hätte. Schon im Vorfeld wurde zudem die Verwaltungsjustiz von verschiedenen Seiten mit Eilanträgen beschäftigt, welche ein Verbot der Debatte forderten. Die Beschwerden wurden allesamt abgewiesen.

Immerhin konnte man draußen vor der Halle ein wenig Theater veranstalten:

https://www.youtube.com/watch?v=WiO2NvoDLAs

Einem Häuflein spätpubertärer „Aktivisten“ glückte sogar der Zutritt in den Saal, wo man mit Rabatz den Ablauf verhindern wollte. Palmer als Hausherr bat schließlich die Polizei, die Herrschaften nach draußen zu begleiten, was nach längerem Getue schließlich gelang. Tübingen scheint als Ausgangspunkt der Weltrevolution relativ ungeeignet!

Da ich mich nicht mit Schlagzeilen abfinden wollte, habe ich mir ein Video des gesamten Ablaufs angesehen. Er war interessant, aber nicht sehr glücklich gestaltet.

Das begann schon beim Diskussionsleiter (Joachim Knape), einem Tübinger Rhetorik-Professor. Dass Germanisten in der Regel lausige Redner sind, hatte man wohl nicht bedacht. Ebenso, dass es sich hier nicht um ein Hauptseminar handelte. Warum man den Job des Moderators nicht einem Journalisten überlassen hat, finde ich unerklärlich.

Ebenso fand ich es eine Kateridee, „Bürger“ zu Wort kommen zu lassen. Die Erfahrung lehrt doch, welchen Quatsch überforderte Laien in solchen Situationen absondern. Genauso war es dann auch.

Alle warteten doch auf den Schlagabtausch zwischen den Protagonisten, welcher in Reglements und Abschweifungen ersoff.

Na ja – die folgenden Links zeigen die Veranstaltung in voller Länge:

https://www.youtube.com/watch?v=cg_HVf0kiy4

https://www.youtube.com/watch?v=5dpKYrutSeY

Wer hat nun gewonnen? Wie nicht anders zu erwarten, beansprucht jede Seite den Sieg für sich.

Ich meine, der AfD-Landesvorsitzende hat sich geschickt als „Musterdemokrat“ dargestellt. Die böse Linke verhindere den politischen Diskurs, was die Antifa im Saal und draußen dankenswerter Weise auch gleich vorführte. Dass die AfD erfolglos versuchte, Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien von ihren Veranstaltungen auszuschließen, verschwieg der AfD-Chef natürlich. Ansonsten brachte er die üblichen pauschalen Argumente, während Palmer sich oft auf die Fortschritte in Tübingen bezog, wo er mit seinen Detailkenntnissen dem Gegner natürlich haushoch überlegen war. Als Mathematiker auch in Sachen Statistik.

Was mir gefiel: Die Kontrahenten blieben respektvoll im Ton und verzichteten auf persönliche Angriffe.

Die Reaktion der Medien war zwiespältig.

„Davon, einen Rechtsextremisten zu entzaubern, kann überhaupt keine Rede sein. Als Türöffner macht sich der Oberbürgermeister hingegen ganz gut“, so der Berliner „Tagesspiegel“.   

https://www.tagesspiegel.de/politik/barendienst-an-der-demokratie-so-lief-boris-palmers-streitgesprach-mit-einem-afd-funktionar-14280458.html

Die „taz“ hingegen kommt zu diesem Urteil:

„Palmer schlug sich gut. Er nannte gute Gründe, warum sozial Schwache, Unternehmer und Migranten Angst vor der AfD haben müssen. Nagelte Frohnmaier auf sein Versprechen fest, dass er Rechtsextreme aus der Partei werfen wolle. Viele Antworten von Frohnmaier verloren sich dagegen im Ungefähren. Wo ihm Fakten fehlten, griff er zu rhetorischen Tricks.“

https://taz.de/Tuebinger-OB-diskutiert-mit-AfD-Politiker/!6112191/

„Keinen Gewinner und ein misslungenes Format“ meint der Südwestrundfunk auszumachen.

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/palmer-frohnmaier-streitgespraech-tuebingen-analyse-100.html

„Kein Sieger, kein Verlierer“ urteilt die „Welt“. Allerdings sei „die These, man könne in Debatten mit der AfD nur verlieren“, widerlegt.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article68bc236046b61b4dcb0bbf4b/Tuebingen-Bei-der-Kriminalstatistik-sei-die-AfD-komplett-entlarvt-sagt-Palmer.html

Auf die genauen Inhalte der Debatte gehen die Medien nur zögerlich ein. Dagegen wird ausführlich vom Krawall und Gedöns berichtet. 

Ich finde jedenfalls, der Tübinger Oberbürgermeister hat endlich etwas nachgeholt, um das sich die meisten Vertreter der demokratischen Parteien lange gedrückt haben: Mit der AfD zu diskutieren – und nicht nur über sie zu schimpfen. Wenn man sich die Wahlergebnisse ansieht: Wie lange will man diese Partei noch aus dem politischen Diskurs ausschließen und ihr ermöglichen, sich als Opfer zu inszenieren?

Die Alternative wäre, ihr Verbot zu beantragen. Aber auch um diesen Schritt eiert man lediglich herum.

Sicher, wenn diese Partei in einmal regierte, würde ein anderes Deutschland entstehen. Wohl keine Nazi-Diktatur, eine Orban-Demokratur aber allemal. Und dass die AfD gemäßigte Vorsitzende bei Bedarf knallhart entsorgt und sich dadurch weiter radikalisiert, hat sie bereits mehrfach bewiesen.

Daher muss man sie mittels Diskussionen entzaubern – so schwierig das auch sein mag. Und so lange noch Zeit ist. Boris Palmer jedenfalls hat sich als echter Demokrat gezeigt. Dafür bewundere ich ihn trotz der Schwächen im Detail.

In meiner Tango-Bonsaiwelt habe ich ja genügend Erfahrungen mit Hetzern, die sich gnadenlos gegen meine Person richten, denen sachliche Argumente völlig egal sind. In meinem privaten Umfeld rät man mir immer wieder dazu, mein Blog einfach total abzuschotten und auf dümmliche Angriffe nicht mehr zu reagieren.

Wenn es wieder mal zu schlimm wird, greife ich auch zu diesem Mittel. Aber gar nicht mehr auf Vorwürfe eingehen, auch wenn sie ziemlich Gaga sind? Ich gebe immer zu bedenken, dass man oft nur Kommentare der dummen Schreihälse bemerkt – und die Nachdenklichen meist still bleiben.

Für die schreibe ich aber – und ich werde immer wieder versuchen, an Fakten zu erinnern und die Diskussion darauf zu lenken.

Faktencheck: Von bislang 5976 Kommentaren habe ich 5550 (knapp 93 Prozent) veröffentlicht.

Auch, wenn es oft vergebens ist.

Kommentare

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