Bange machen gilt nicht
Dass
eine Anfängerin keine Angst haben
muss, wenn ein exzellenter Tänzer
sie auffordern sollte, hat sich in Tangokreisen nun doch halbwegs
herumgesprochen: Er ist in der Lage, sie mit deutlichen Signalen durch ein ihren Fähigkeiten entsprechendes Bewegungsprogramm zu geleiten, die
meisten Unsicherheiten, Wackler
auszugleichen und sich unerwarteten Schrittmustern anzupassen – ja, so zu tun,
als überraschten ihn ungeschickte
Reaktionen kein bisschen. Und er ersetzt ihre Wirbelsäule durch seine Achse.
Ich
behaupte sogar: Wie gut ein Mann –
ob Durchschnitts-Tanguero oder internationaler Showstar – tanzen kann, sehe ich
nicht im geheiligten Duo mit seiner
Stamm-Partnerin in einer x Mal geprobten
Vorführung, sondern daran, wie gut er eine unbekannte Anfängerin auf dem Parkett aussehen lassen kann. Für
einen solchen Show-Act würde ich, so
ich ihn denn mal zu sehen bekäme, Gala-Preise
zahlen. Fast immer darf ich mein Geld jedoch behalten: Tanzen auch deshalb die
meisten Maestros lieber nicht mit Neulingen, da sonst der Lack eventuell
ein wenig abblättern könnte?
Die
andere Tragik: Es gibt
Anfängerinnen, die – nachdem sie einmal zu einem solchen Genuss kamen – meinen,
sie könnten ja tanzen, wenn der
„richtige Mann“ sie führe. Nein, können
sie nicht – könnten es aber lernen, wenn sie aus dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse zögen!
Anders
herum freilich gestalten sich die Verhältnisse noch weit trüber: Welcher männliche Anfänger, ja selbst Durchschnittstänzer, hat den Hintern in
der gestreiften Hose, es einmal mit einer Spitzen-Tanguera
zu probieren?
Zu
groß ist die Furcht, der Dame „nichts
bieten“ zu können – sie also mit den paar Grundbewegungen, die man drauf hat, zu langweilen und sich dann Feinfrost oder sogar laut ausgesprochene
Kritik abzuholen – ja, im Extremfall
nach einem Tanz stehen gelassen zu
werden?
Frauen
scheint diese Furcht nicht im
gleichen Maße zu plagen: Sie sind es offenbar durch eine Reihe von Lebenserfahrungen gewöhnt, von Männern
die eine oder andere Minderwertigkeit
attestiert zu bekommen. Für die Herren
der Schöpfung jedoch scheint Solches – auch noch von einem weiblichen Wesen
ausgesprochen – geradezu vernichtend
zu sein!
So
kommt es dann, dass männliche Anfänger
(und dieses Stadium kann sich jahrelang hinziehen) sich nicht trauen, überhaupt
einmal statt mit ihrer angestammten
Partnerin mit einer anderen
zu tanzen – und selbst, wenn jene von einem fremden Tänzer aufgefordert
wird, bleiben die Herren lieber sitzen.
Fremde Damen gar fordert man höchstens auf, wenn sie ein besonders Mutiger „vorgetanzt“
hat – und somit ihre leistungsmäßige
Unbedenklichkeit unter Beweis steht: Sie sollten weder so gut sein, dass man ihr gegenüber abstinken könnte – aber natürlich auch nicht so schlecht, dass eine Blamage
in anderer Hinsicht droht. Und natürlich dürfen sie nix machen, was der Tanguero nicht
geführt hat. (Freilich hilft selbst das nichts bei
Lackaffen, für welche die Tanguera halt nicht der richtigen Clique zugehört –
aber diese Tango-Pathologie ist ein anderes Thema…).
Und
schließlich – schlimmster Albtraum –
könnte eine Highclass-Lady auf die
abstruse Idee kommen, einen selber
aufzufordern, vielleicht gar durch direkte Annäherung.
Jessas,
was nun??
Im
Tango-Zusammenhang blieb die Suche
nach hilfreichen Quellen natürlich
erfolglos – schließlich müssen Tangolehrer ja schon ihre Showtänze nebst durchgequasselten
Unterrichtseinheiten auf Webseiten und YouTube anpreisen und allenfalls
noch etwas über „Floorcraft“ und Cabeceo erzählen. Da bleibt für solche Randthemen keine Zeit…
Da
geriet ich an ein Video des Grazer
Tanzlehrers Dado Ibrakovic, der
zusammen mit seiner Frau Conny dort eine
Tanzschule betreibt. Es werden alle
möglichen Tänze (auch Tango argentino) unterrichtet – die besondere
Leidenschaft der beiden scheint aber den Swingtänzen und der Salsa zu gehören.
Auf ihrem Blog wird eine Unmenge von Tanzthemen behandelt:
„So tanzt du mit Advanced
Ladies“ ist einer von vielen Beiträgen auf YouTube betitelt, in
denen Dado Tipps zum „Social Dancing“ gibt. Wie also
meistert man die Situation, wenn man „als
armes Würschtl“ mit einer Frau tanzt, die einem haushoch überlegen ist?
Vor allem: Ja nicht versuchen, die Dame zu beeindrucken, ihr möglichst viel zu „bieten“! Es kann nur
schiefgehen, ein Terrain zu betreten, auf dem man sich nicht sicher fühlt.
Stattdessen empfiehlt Dado:
Zuerst die Musik
hören, den Rhythmus ergründen.
Tatsächlich beobachte ich oft, dass Anfänger sich zu sehr „getrieben“ fühlen, nun aber auch schlagartig loslegen zu müssen. Nein –
immer mit der Ruhe, erstmal lauschen,
sich reinschwingen!
Dann die Verbindung
zur Partnerin aufnehmen.
Gerade beim Tango meine ich: Wirklich einander spüren,
sich durch Belastungswechsel am Platz miteinander verbinden – nicht nur eine
hölzerne „Tanzhaltung“ einnehmen. Und dann geht es auf einen betonten
Taktschlag (optimal wäre die „Eins“) los! Aber womit?
Auf jeden Fall mit
simpelsten Basic-Elementen!
Das gibt einem Sicherheit:
Erstmal runterkommen von dem Schock, mit einer „Granate“ zu tanzen (oder es zu müssen). Auch erfahrene Tänzerinnen
sind froh, sich zunächst auf einfache Bewegungselemente einlassen zu können,
die ihnen locker Gelegenheit geben, ihr „Styling“
(salsanesisch für „Verzierungen“) einbauen zu können. (Auf Österreichisch heißt
das offenbar „Spompanadln“ – herrlich!)
In dem Fall: Nicht aus der Ruhe bringen lassen: Pokerface, alles cool – sie machen
lassen und selber schön bei den Grundbewegungen bleiben! Und man muss nicht auf jeden Taktschlag einen Schritt setzen – im Tango sind gut getimte Pausen ein Ausweis von Könnerschaft (und für die Damen wieder eine Gelegenheit zu „Spompanadln“)!
Da ich selbst mit einigen hervorragenden Tänzerinnen befreundet bin (mit einer sogar
verheiratet), kann ich nur bestätigen: Noch nie hörte ich von ihnen Klagen, ein
Anfänger habe sie nicht mit genügend „Figurenmaterial“
bedient – im Gegenteil waren sie froh, nicht irgendein nur halb beherrschtes,
schwieriges Zeug interpretieren zu sollen.
Ich musste bei dem Thema an eine Geschichte denken, die mir selber (vor wohl schon 15 Jahren) passiert
ist. Im hochheiligen Münchner „La
Tierrita“ wurde ich von einer Türkin (!) verbal aufgefordert (allein daran sieht
man schon, wie lange das her sein muss). Selber war ich gerade in der Phase, wo
mir die Achterbase zumindest nicht mehr zwingend erschien...
Die Dame war ein sehr versierte Tänzerin, allerdings auch
wild entschlossen, an mir alles auszuprobieren, was sie drauf hatte – und ich
war diesem Feuerwerk schutzlos
ausgeliefert, fühlte mich wie die senkrechte
Stange für weibliche Turnübungen der besonderen Art. Es war Stress hoch drei!
Damals lernte ich in zehn Minuten: Fassung und Balance
bewahren, der Partnerin ja nicht im Weg
stehen, sie machen lassen und
versuchen, die Verbindung (zu ihr
und der Musik) aufrecht zu erhalten. Von dieser einen Tanda zehre ich noch heute
– sie hat mir mehr gebracht als hundert „Workshops“!
Noch ein Wort zu Dado
Ibrakovic:
Wieder einmal erfahre ich das Vernünftigste
zum Tango argentino von jemandem, der eigentlich eher in anderen Tanzwelten zuhause ist. Dado ist ein
großes Kind, ein Clown, der mit sehr viel Humor und Verständnis für andere
agiert. Wie erfrischend und ungewöhnlich!
Ach
ja – und bevor ich es vergesse: Trotz allem besteht natürlich die (seltene)
Gefahr, sich von einer Nobel-Tanguera
beim gemeinsamen Tanz Kritik oder
Schlimmeres einzufangen.
Zum
Trost: Solche Geschöpfe haben weder vom Tango
noch von den simpelsten Regeln
menschlichen Zusammenlebens auch nur den
Hauch einer Ahnung.
Tipp: Zum Ansporn nehmen, immer besser zu werden! Irgendwann können sie
dich nicht mehr ignorieren. Du schon.
Hier ein Kommentar von Andreas Buschmann:
AntwortenLöschenIch möchte diesen Beitrag um eine kleine Geschichte ergänzen - diesmal aus der Tango Szene selbst:
Es geht um eine Gardinenpredigt von Jonathan Saavedra (mit seiner Partnerin Clarisa Aragon 2015 Weltmeister im Tango de Pista) vor versammelten Tango-Führenden. Clarisa hatte am Abend zuvor ganz normal in einer Milonga mitgetanzt (!). Das Ergebnis: "She was not amused" über das, was die werten Tänzer da mit ihr angestellt hatten.
Und so erzählte er zunächst von seinem ersten Tanz mit einer der großen Tanguera-Legenden in Buenos Aires. Nach dem Tanz hatte er selbst das Gefühl, dass das wohl nicht so das Richtige gewesen war. Sein Lehrer erklärte ihm daraufhin: "Lass die Frau tanzen, die kann das. Versuche nicht, sie zu irgendetwas zu bewegen oder sie zu beeindrucken. Gib ihr einfach den Raum das zu tun, was sie kann und möchte und "höre" ihr zu". Sein nächster Versuch war dann für alle sehr viel befriedigender.
Aus dieser Erfahrung entwickelten Jonathan und Clarisa das, was sie heute lehren: Der/die Führende initiiert die Bewegung und beendet die Bewegung. Dazwischen wird der/die Führende zum Folgenden, die Interpretation und Ausführung der Bewegung in Tempo, Dynamik und Verzierung geschieht durch den Partner. Das macht den Tanz interessanter und gleichberechtigter im Paar. Kommunikation halt. Und erlaubt auch einem unerfahreneren Tänzer, eine gute Tanguera glänzen zu lassen. Und sie wird sich wohler fühlen als bei einem "guten" Tänzer, der versucht, ihr etwas aufzuzwingen.
Andreas
Lieber Andreas,
Löschenich kann da nur voll und ganz zustimmen: "Die Frau tanzen lassen" ist eines der ganz großen Geheimnisse, mit denen man sich im Tango verbessern könnte.
Aber wie das mit diesen "Geheimnissen" ist: Du kannst sie hundert Mal verraten - und es kennt sie doch kaum einer...
Vielen Dank und beste Grüße
Gerhard
Hier ein Kommentar von Egon Wenderoth:
AntwortenLöschenZum Beitrag "BANGE MACHEN GILT NICHT"
Den Beitrag finde ich hochinteressant, da in dem zweiten Video ein
Tanzlehrer, der sich wohl intensiv mit zahlreichen Tänzen beschäftigt
hat, daran geht, das Besondere des Tango Argentino herauszuarbeiten.
Für ihn hätten sich durch die Beschäftigung mit diesem Tanz neue
Perspektiven und Horizonte aufgetan, die er den Betrachtern des Videos
mit einigen Beispielen näher zu bringen versucht. Er spricht von einer
Bereicherung und Weiterentwicklung seines Tanzes allgemein. Der Tango
habe für ihn das Bild vom Tanzen generell revolutioniert.
Zusammenfassend sagt er gegen Ende: "Es ist schade, wenn man diese
ganzen Welten, die sich einem anbieten, nicht ausprobiert und nicht
einmal da hineinschnuppert und dieses ganze Potenzial gar nicht für sich
nützt."
Er spricht mir aus dem Herzen, und ich wünsche ihm daher, dass sich ihm
im Tango noch zumindest ein weiterer Horizont, eine neue Welt auftut, wo
jegliche Bewegung, auch die Verzierungen, von einem Führungsimpuls
ausgelöst werden und die Tänzerin bei Beinschwüngen und dgl. die jeweils
vorgegebene Intensität der Bewegungsenergie aufnimmt und in Bewegung
ausfließen lässt. Das ist das Tor zu einem Tango, bei dem man sich nicht
nur bewegen darf, sondern jedes Mehr an Bewegung - nicht zuletzt durch
die kinästhetische Wahrnehmung im Paar und nicht ausschließlich der
Eigenbewegung - das Erleben der nicht nur körperlichen Innigkeit noch
erhöht und zu einem Bewegungs-Gefühls-Erlebnis führen kann, das meine
Beschreibungsfähigkeiten weit übersteigt.
Liebe Grüße
Egon
Lieber Egon,
Löschenja, es ist hoch interessant, was der Tanzlehrer Dado Ibrakovic über seine Sicht auf den Tango sagt. Ich werde mich mit dem Video sicher noch einmal eigens beschäftigen.
Vielen Dank und liebe Grüße
Gerhard