Unterricht durch Lehrer oder Tänzer?
Ich
habe nun schon zwei Beiträge auf dem Blog Tango
Chamuyo besprochen, die mir eher
nicht gefielen. Den neuesten Artikel jedoch halte ich für glänzend. Lesen Sie
selbst (in meiner Übersetzung):
Dancers who become teachers
Tänzer, die Lehrer werden
Ein Freund und ich
diskutierten über dieses Thema. Wir waren uns einig, dass es zwei sehr
unterschiedliche Dinge sind. Ein Tänzer weiß nicht unbedingt, wie man
unterrichtet, und nicht alle Lehrer tanzen gut. Jemand mit Tanzausbildung hat begrenzte
Erfahrungen aus dem Unterricht, aber keine praktische Erfahrung als Lehrer.
Wir alle kennen
jemanden, der von ein paar Wochen in Buenos Aires zurückkehrt und verkündet,
dass er Tango lehren wird. Dasselbe gilt für diejenigen, die eine
Tango-Meisterschaft gewinnen und mit dem Unterrichten beginnen. Der Titel des
Champions wird oft in der Weise verstanden: Wenn sie gut genug sind, um zu
gewinnen, sind sie auch gut genug, um zu unterrichten.
Diejenigen, welche sich
auf das Lehramt an einer Schule vorbereiten, belegen Vorlesungen in Pädagogik,
um Unterrichtsmethoden zu erlernen, bevor sie die Möglichkeit haben, sie in
einem realen Klassenzimmer anzuwenden. Lehrer werden durch diese Ausbildung zu
besseren Lehrern. Niemand muss eine Prüfung bestehen oder Nachweise vorlegen,
um Tango zu unterrichten.
Als ich vor 30 Jahren
anfing, meinen Tanzpartner in Kursen zu unterstützen, hatte ich keine
Ausbildung als Tanzlehrerin, sondern nur eine langjährige Ausbildung als Tänzerin
und Musikerin. Ich beobachtete, wie mein Partner mit den Schülern interagierte, jede
Lektion vorstellte und wie die erzielten Ergebnisse waren. Ich war mit seinen
Unterrichtsmethoden nicht einverstanden, aber es waren seine Kurse. Diese Jahre
gaben mir den Anreiz, alleine mit dem Tanzunterricht zu beginnen. Ich lernte
weiterhin zu unterrichten, indem ich meinen Schülern zuhörte und ihnen
antwortete.
Im Laufe der Jahre
habe ich mit Milongueros darüber gesprochen, wie sie ihr Wissen im Privatunterricht weitergeben. Das Erste,
was jeder gesagt hat, ist, dass er weder wisse, wie man lehrt, noch die nötige
Geduld dazu habe. Doch als sie die Chance hatten zu unterrichten, überraschten
sie sogar sich selber. Um gut zu unterrichten, muss man über ein fundiertes
Wissen über den Gegenstand verfügen. Niemand hat mehr Wissen und Erfahrung beim
Tanzen des Tango auf den Milongas als diese Milongueros. Die meisten von ihnen
haben keine Ahnung, wie Tango heute gelehrt wird, aber sie wissen, was sie
wissen. Sie kennen die Musik. Niemand brachte ihnen bei, wie man sich fühlen
soll. Niemand brachte ihnen ihre Technik bei; sie wussten nicht einmal, dass eine
solche existierte, als sie lernten. Sie tanzten, was für sie ganz natürlich aus
der Musik kam.
Ich habe gehört, dass
viele Tänzer sagen, die Milongueros wüssten nicht, wie man unterrichtet. Von
ihnen wird erwartet, dass sie Tango so lehren, wie er seit vielen Jahren von
Tanzprofis gelehrt wird, welche die Tänzer dazu bringen, jahrelang Kurse zu
besuchen. Milongueros vermitteln in wenigen Stunden alles, was sie wissen. Die
meisten verwenden eine Lehrmethode, mit der Tanzende Figuren auswendig lernen;
die Milongueros aber lehren, wie man tanzt.
Ich meine, diesen
Beitrag enthält einige interessante Dinge zum Thema Anfängerunterricht. Die
jungen Tänzer, welche die Tango-Meisterschaften in Buenos Aires gewonnen haben,
sind kaum so weit, Tango unterrichten zu können. Sie praktizieren die Schritte,
die sie von ihren Lehrern gelernt haben, aber sie haben kein Gefühl für die
Musik. Sie haben wenig oder kein Wissen über die verschiedenen Tango-Orchester,
über das die Milongueros verfügen. Ihre Titel garantieren fast schon, dass sie mit
Shows durch die Milongas von Buenos Aires touren und sich selbst als Performer
und Lehrer vermarkten.
Ausländer besuchen
Milongas, um Vorführungen junger Paare zu sehen, die elegant gekleidet sind und
eine eingeübte Choreographie perfekt umsetzen können. Ich hoffe, dass eines
Tages mehr Tanzende diejenigen befragen, welche Tango unterrichten, bevor sie
sich für ihren Unterricht anmelden. Man sagt, dass in Buenos Aires jeden Tag
ein Tango-Lehrer geboren wird. Leider kommen diejenigen, welche unterrichten, nicht
von den Milongas. Die Zukunft des Gesellschaftstanzes in den Milongas von
Buenos Aires hängt von der Entwicklung der sozialen Tänzer ab. Ohne sie werden
die Milongas letztendlich schließen.
Hier
der Original-Text:
Ich
meine, die Autorin Janis
Kenyon hat damit ins Schwarze getroffen:
Seit vielen Jahren frage ich mich, wieso beim üblichen Tangounterricht
hierzulande so erbärmlich wenig herauskommt. Weitgehend tanzt man
irgendwelche erlernten Muster mit halbwegs funktionierender Technik
ab – woran es häufig mangelt, ist die Verbindung im Paar, das gemeinsame
Erleben, die Musikalität. Bei der Navigation auf einer vollen
Tanzfläche ist dann endgültig Schluss – daher benötigt man Tanzspurverordnungen
mit vielen Pfeilen, welche die Routine jahrelanger Erfahrung ersetzen
sollen. Und Kreativität, Emotionen, gar Leidenschaft? Ach
geh…
Seit ebenso langer Zeit rätsle ich, warum ich auf den Milongas Tangolehrer
so wenig tanzen sehe. Meistens sind sie eh nicht da, und wenn, dann gibt es
zwei, drei Pflichttänze mit der eigenen Partnerin, dem Veranstalter oder
DJ.
Wenn Janis Kenyon von „Milongueros“ spricht, dann meint sie
die Spezies von Menschen (natürlich auch in der weiblichen Variante, den
Milongueras), welche sich viele Jahre ihres Lebens fast täglich
(respektive nächtlich) auf Tangoabenden herumgetrieben haben, für welche dieser
Tanz Lebensinhalt Nummer Eins war und ist. Eine Karriere als
Showtänzer kam ihnen meist nicht in den Sinn, und häufig waren es Singles,
daher also darauf angewiesen, immer wieder auch andere, neue Partner von
ihren tänzerischen Fähigkeiten zu überzeugen.
Tango zu unterrichten war ebenso wenig ihr Ziel, doch ist man in
einem Land wie Argentinien halt froh, von irgendetwas leben zu können – und so
geben manche von ihnen (so sie denn noch leben) das weiter, was sie in jahrzehntelangen
Erfahrungen auf der Piste gelernt haben. Selber Tangounterricht
hatten die wenigsten – vielleicht irgendwelche Prácticas, früher zuerst
unter Männern, wo man beide Rollen lernte. Ihr Klassenzimmer jedoch waren die Milongas,
das, was sie dort anderen Tänzern abschauten, vielleicht auch mal vor der Saaltür
kurz gezeigt bekamen und vor allem tausend Mal mit verschiedensten Partnerinnen
probiert hatten. Ihr Markenzeichen ist es, dass sie fast jeden
Tanzpartner gut aussehen lassen können.
Was die „alten Säcke“ (weibliche Form nach Belieben einsetzen) auf diese
Weise vermitteln können, hat mit methodisch-didaktisch gestriegeltem, neuzeitlichem
Tanzunterricht nichts zu tun. Genau das macht es so wertvoll. Freilich
liefern sie keine Blaupausen fürs eigene Tanzen. Man muss das, was sie
können, schon durch langes Bemühen auf den eigenen Tango adaptieren. Mit
„Schnellbleiche“ geht da nichts.
In meinem Tangobuch habe ich einer dieser Milongueros, Osvaldo Cartery,
zitiert: „Du kannst jemand Schritte
vermitteln, aber nicht die innere Haltung, das Gefühl und die Liebe für das,
was du tust. Nicht ‚deinen‘ Tango.“
Und man sollte die Herrschaften lieber nicht fragen, was sie von Tango
nuevo, Neotango oder umliegenden Dörfern halten. Da werden sie sich im 7. oder
8. Lebensjahrzehnt nicht mehr ändern. Aber sie wissen, wie sie einen Fresedo, Biagi, D’Arienzo oder Pugliese unterschiedlich interpretieren müssen
– und können die meisten Stücke, auch den Text, mitsingen. Davon sind
die meisten Tanzenden hierzulande Lichtjahre entfernt… Und Milongueros machen auf dem Parkett einfach das, was praktikabel und krisenresistent ist.
Die Lehrer hingegen, deren Kurse und Workshops man in unseren
sozialen Netzwerken fast im Minutentakt anpreist, verfügen oft über ganz andere
Karrieren. Zum Tango verschlagen hat sie häufig nicht jahrelanges Tanzen
auf den Milongas, Ziel war eher von vornherein eine Betätigung als Bühnentänzer
oder Tanzlehrer. Das Know-how verschaffte man sich weniger auf den
Milongas als durch Unterricht bei internationalen Star-Lehrern (mit
ebensolcher Laufbahn), welche man stolz auf seiner Website auflistet. Oder
bestenfalls tanzte man zwar einige Jahre auf der Piste, gab das aber weitgehend
auf, als sich die Möglichkeit eröffnete, Tango zu unterrichten. Seither ist man
fast völlig mit dem beschäftigt, worin man eine Haupt-Einnahmequelle
sieht. Selber zum Tanzen gehen? Keine Zeit (und oft wohl auch keine Lust)
mehr!
Im Gegensatz zum Mutterland des Tango haben „alte Milongueros“ bei
uns keinen guten Ruf. Rennen sie nicht ständig in neue Kurse oder Workshops,
wirft man ihnen vor, sich ihrer weiteren Tangoentwicklung zu verschließen.
Ausgemustert, abgeschrieben… der geht ja nicht mal auf Festivals! Dass sie mehrmals die Woche auf den Milongas dazulernen, glauben ihnen viele nicht, weil sie gar nicht kapieren, was damit gemeint ist.
Das ist übrigens der Hauptgrund, wieso ich öfters auch Milongas mit langweiligem Musikprogramm besuche: Ich muss in Bewegung bleiben, die Routine aufrecht erhalten. Gerade im Alter lassen die Reflexe sonst schnell nach.
Wie ich aber zu meinem großen Amüsement weiß, sind wir alten Kerle bei
den Tänzerinnen durchaus begehrt. Warum? Weil wir sie gut aussehen
lassen können…
Daher kann ich mich Janis Kenyon nur anschließen: Fragen Sie Ihre
Tangolehrer mal, wie oft in der Woche sie Milongas besuchen – und dort
auch (mit vielen Partnern) tanzen! Ich fürchte nur, die Antwort wird
etwas genervt ausfallen!
Dann sehen wir doch lieber einem alten Milonguero-Paar zu:
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