Wandelnde Konjunktive
In ihrem
neuesten Artikel setzt die Bloggerin Janis
Kenyon,
von der ich jüngst berichtete, noch einen drauf: Wenn man besser tanzen lernen
wolle, solle man aufhören, Kurse zu besuchen, und stattdessen lieber mit „alten
Milongueros“ zum Tango gehen.
Na, wenn ich das in dieser Härte geschrieben hätte…
Dabei verweist die Autorin auf einen Text aus „Angelina’s Tango Blog“:
„The desire to improve one's tango”. Er
stammt von einer australischen Tanguera, welche wohl der dortigen Szene seit
ihren Anfängen angehört. Ich fand den Artikel interessant genug, um ihn zu
übersetzen:
Der Wunsch, den eigenen Tango zu verbessern
Ja, ich würde
gerne eine bessere Tango-Tänzerin sein ... Ja, ich weiß, ich sollte mehr Kurse / Workshops / Privatstunden belegen
... Ich bin einfach mit meinem Tango unterwegs. Einer von Sydneys besseren
Tango-Lehrern erzählte mir diese Woche, dass er mit mir „sehr nett tanzen
konnte“, aber ich weiß, dass ich es gerne besser machen würde. Was hindert mich daran, etwas dafür zu tun?
Ich habe mich entschlossen, ein paar
kleine Schritte zur Verbesserung zu unternehmen. Ich habe mich für zwei
kommende Workshops angemeldet – und vielleicht
mache ich noch mehr. Ich weiß, ich muss auch wirklich bei einem guten Führenden
Privatstunden nehmen.
Möglicherweise hält mich das auf, was viele aufhält.
Zeit. Tango ist enorm zeitaufwändig.
Sie können ihm jeden Moment Ihrer Freizeit geben und fühlen sich trotzdem unzufrieden.
Ich denke, es ist das, was so viele von uns zurückruft, um mehr zu wollen. Ich
habe eine umfangreiche Familie, einen Teilzeitjob und bin freiberufliche
Schriftstellerin. Ich liebe es, zu kochen, zu lesen und jeden Tag spazieren zu
gehen, und ich mache mindestens zweimal in der Woche Yoga. Kaffee trinken mit
Freunden, gelegentlich ins Theater – und es bleibt nicht mehr viel Zeit übrig. Das
Leben braucht Gleichgewicht.
Geld. Privatunterricht ist teuer,
vor allem, wenn Sie regelmäßig daran teilnehmen. Ich verdiene keinen Haufen
Geld, und ich kaufe gerne Schuhe, Kleidung, Bücher, Tickets für
Veranstaltungen, Schuhe...
Der richtige Lehrer. Ich muss
jemanden finden, von dem ich etwas lernen möchte,
und obwohl es einen oder zwei in Sydney gibt, mit denen ich gerne lernen würde, bin ich mir nicht
sicher, ob ich damit weitermachen kann.
Das sind meine Hauptgründe /
Entschuldigungen – aber wenn ich mich bei diesen Workshops einschreibe, werde
ich vielleicht den Ball ins Rollen bringen –
schließlich werden Sie sich die Zeit nehmen, etwas zu tun, wenn Sie es wirklich wollen – wenn
ich in den vielen Jahrzehnten, in denen ich auf dieser Erde war, etwas gelernt
habe, dann das!
Und nebenbei – Sie fragen sich
vielleicht, warum ich diesen Artikel heute geschrieben habe? Ich habe darüber
nachgedacht, warum viele, besonders Männer, die Notwendigkeit nicht sehen,
ihren Tango zu verbessern. Manchmal gehe ich zu einer Milonga, schaue mich im
Raum um und frage mich, mit wem ich gerne tanzen würde
– und manchmal gibt es nur zwei oder drei, von denen ich hoffe, dass sie mich auffordern. Ein Mann, mit dem ich
gerne tanze (nicht mein Partner), der mich kürzlich auf der Milonga gefragt
hat, mit wem ich sonst gerne tanzen würde, hat
mich dazu bewegt, darüber nachzudenken. Vielleicht benutzen die Männer die
gleichen Ausreden wie ich?
Hier der Originaltext:
Dieses Klagelied erscheint mir wahrhaft
international – und ich habe es auch in deutscher Sprache schon sehr oft
gehört.
Sicherlich
sind die einzelnen Faktoren (Zeit,
Geld, Beruf, Familie, andere Vorlieben) nicht von der Hand zu weisen. Doch man
muss wissen, was man unbedingt möchte: Seinen Tango verbessern, ins Theater
gehen, Freunde treffen, kochen, shoppen…
Ich finde:
Je höher das Ziel ist, welches
man sich steckt, desto mehr müssen halt andere Dinge in den Hintergrund treten. Alles zusammen in
ähnlicher Intensität wird nicht funktionieren.
Für mich ist
es immer wieder erstaunlich, wieviel Zeit
und Geld man plötzlich hat, wenn es
wirklich drauf ankommt: Ich habe mit
Tangofrauen, die unzufrieden mit ihrem Tanzen waren, schon längere Debatten
über Fahrtstrecken von weniger als 100 Kilometern geführt – zu weit, zu teuer,
und gar erst der Preis einer Privatstunde… Freilich, der Urlaub in der Türkei
muss auf jeden Fall drin sein!
Um ein Ziel
zu erreichen, empfehle ich den klaren Indikativ:
Einfach machen! Ich habe im obigen Artikel einmal die Konjunktive und ähnlich ungefähre
Formulierungen markiert: Eigentlich
möchte man vielleicht schon gerne…
So wird’s aber nix!
Zudem führt
die wachsende Kommerzialisierung des Tango immer mehr zu der Illusion, Hilfen
seien umso effektiver, je mehr sie kosten. Janis
Kenyon berichtet
in ihrem Artikel von Amerikanerinnen, welche für eine Privatstunde bei Star-Lehrern
hundert und mehr Dollars löhnen.
Ich
behaupte: Man übersieht flächendeckend Hilfen, die wenig bis gar nichts
kosten!
Bis
heute verstehe ich beispielsweise nicht, warum Tänzerinnen – wenn sie denn auf
Milongas schon länger sitzen – nicht ihre volle
Aufmerksamkeit dem Parkett zuwenden. Selbst auf der ödesten Veranstaltung
sieht man Tanzpaare, von denen man etwas lernen kann. Wieso wartet man auf die
teuren Workshops, wo ganz Ähnliches wie das passiert, was man vorher schon
gratis hätte haben können? Ein Tanzpaar
macht etwas vor – und auf einer Milonga kriegt man das Ganze sogar mit Musik serviert, anstatt dem Geschwätz der meist männlichen
Lehrperson!
Und
wer sich einmal drei Stunden Zeit nimmt, auf YouTube nach geeigneten Lehrvideos zu suchen, wird – neben all
dem Müll, der da geboten wird – sicherlich fündig.
Weiterhin
bringt es stets etwas, Kontakte zu guten
Tänzer/innen anzustreben, vielleicht nicht von heute auf morgen – auf
mittlere Frist jedoch ganz bestimmt! Wahrscheinlich findet sich früher oder
später eine kleine Gruppe, mit der zusammen man sich auf Practicas treffen oder privat
üben kann. Hierzu ist allerdings Initiative
nötig, welche über die Buchung eines Fertig-Angebots hinausgeht! Aber, auch
wenn es nur wenige glauben: Man lernt von Tänzern
mehr als von Lehrern, welche ihre
Zeit eher im Unterricht als auf Milongas verbringen. Es ist eine Schande, dass
diese Erfahrungen nicht intensiver
genutzt werden!
Und
was den Zeitaufwand betrifft: Ich erlebe gerade auf unserer „Wohnzimmer-Practica“, dass eine
wöchentliche Übungszeit von nicht einmal zwei Stunden gigantische Fortschritte
bringen kann – aber nur, wenn man mit wechselnden
Partnern und zu vielfältiger Musik
tanzt, sich gegenseitig berät und korrigiert! Und natürlich auch Milongas besucht. Es ist diese passive Konsumentenhaltung, welche Fortschritte gewaltig bremst.
Janis Kenyon schreibt in ihrem
neuesten Artikel:
„Viele der
Milongueras, die ich kenne, haben in den Milongas tanzen gelernt, nicht im
Unterricht. Es gab keine Technikstunden. Ihre Privatstunden waren Tandas bei
den Milongueros im Club Almagro und im Club Buenos Aires. Die Milongueros wissen,
wie man gut tanzt, und die Frauen haben gelernt, indem sie mit ihnen tanzten.“
Richtig
– nur gibt es solche erfahrenen
Milongueros nicht nur in Buenos Aires, sondern überall, wo Tango getanzt wird. Man muss nur nach ihnen suchen,
anstatt auf das nächste Hochglanz-Angebot
eines modisch gestylten Lehrerpaars hereinzufallen.
Ja,
und die Männer, welchen die australische
Tänzerin Angelina attestiert, sie
sähen oft die Notwendigkeit einer Verbesserung
ihres Tangos nicht? Da hat sie wohl recht. Wie es der Kabarettist Eckart von Hirschhausen einmal
beschrieb, machen Frauen nach dem Duschen vor dem Badezimmerspiegel so lange
Verrenkungen, bis sie eine Körperstelle entdecken, welche sie unzureichend
finden. Männer hingegen stellen sich ein paar Sekunden in Siegerpose vor den
Spiegel und sagen dann: Passt schon. Und vor allem machen sie nie den Fehler,
sich von der Seite zu betrachten!
Zum
Trost: Auch mit schlechten Tänzern
kann eine Frau viel lernen. Wenn sie
mit denen eine Tanzrunde halbwegs ordentlich hinkriegt, ist das ein großer
Erfolg. Und erfahrene Milongueras
können auch den größten Vollpfosten gut aussehen lassen (wenn sie wollen).
Man
muss es nur machen – nicht wünschen,
überlegen, vielleicht einmal probieren... Sonst tanzt man nämlich auch so.
Hier ein Kommentar von Robert Wachinger:
AntwortenLöschenHi Gerhard,
jaja, das altbekannte "ich sollte eigentlich ..." oder besser noch das oft gehörte "man/jemand sollte mal ...".
Die besten Methoden, um in der Jammerei steckenzubleiben.
Der Ratschlag "Wenn man besser tanzen lernen wolle, [...] lieber mit ‚alten Milongueros‘ zum Tango gehen" ist sicher berechtigt.
Wenn ich mich aber an meinen Werdegang im Tango zurückerinnere: Als Mann musst du ja aktiv eine Frau auffordern. Das ist für einen Anfänger, der grad seine ersten Tangostunden hatte, dann doch eine riesige Hürde, gerade auch bei einer offensichtlich "guten" Tanguera (und für nen Anfänger sind ja alle anderen erst mal "gut"). Wars für mich jedenfalls.
Wie hab ich das Problem gelöst? Ich bin ganz am Anfang (schon während "Anfangerkurs 2") gleich zusammen mit meiner Kurspartnerin auf ne Milonga gegangen (Kurs war Dienstags, und am Dienstag war auch die Milonga von Mundo im MaxE ;-) ).
Die erste Zeit bin ich dann natürlich nur mit meiner Partnerin "rumgestolpert". Irgendwann habe ich dann aber auch angefangen, alleineloszugehen und auch mit "Fremden" zu tanzen (Ok, einmal war ich alleine, ein bisserl frustriert und den ganzen Abend nur an der Bar gesessen ;-) ). Und da hatte ich dann doch das Glück, Frauen zu finden, die sich auch mit nem Anfänger abgegeben haben!
Langer Rede, kurzer Sinn: Auch aus meiner Sicht sind "einfach auf Milongas gehen und machen" sowie "mit vielen verschiedenen Partnern zu tanzen" das ganze Geheimnis für die Verbesserung des Tangos.
(Allerdings weiß ich natürlich nicht, ob es an meinen Tanzkünsten liegt, dass manche Frauen anscheinend gerne mit mir tanzen, oder das eher so ein "mit dem zu tanzen ist besser als gar nicht zu tanzen" ist ;-) )
Ciao, Robert
Lieber Robert,
AntwortenLöschenach, wer weiß das schon... ich nehme einfach das Ja zu meiner Aufforderung, ohne es als riesiges Kompliment für meine Tanzkünste zu verstehen.
Und klar, aller Anfang ist schwer. Ich habe mich erst nach einem halben Jahr getraut, auf Milongas zu gehen. Mehr als einmal war ich sehr verblüfft, wer sich alles auf einen Tanz mit mir einließ - und das nicht nur einmal.
Ich stimme dir völlig zu: Es gibt keinen einfacheren Weg, sich im Tango zu verbessern, als zum Tanzen zu gehen und dabei dazuzulernen. Aber solche "Geheimnisse" bleiben verborgen, auch wenn man sie immer wieder veröffentlicht...
Besten Dank und herzliche Grüße
Gerhard
Dazu fällt mir wieder mein Lieblingsspruch ein: "Wer etwas will, findet Wege, wer nicht will, findet Ausreden".
AntwortenLöschenExakt! Schöner kann man's nicht sagen.
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