Renormierte Voleos mit Kaiserschmarrn


„Ein Kaufmann macht durch allzu großes Rühmen die Ware, die ihm feil ist, nur verdächtig.“
(Horaz)

Es wird im Tango immer schwerer, eine werbefreie Nische zu entdecken. Beinahe im Minutentakt werden uns in den sozialen Netzwerken Hochglanzbildchen brünstig dreinblickender Showtanzpaare nebst erotikförderndem Zubehör angeboten – und natürlich die ultimativen Lernhilfen, um unsere Tanzkünste endlich auf ein internationales Niveau zu katapultieren. Und das oft nicht nur einmal pro Veranstaltung – könnte ja sein, dass wir es alzheimer-bedingt sonst vergessen

Nicht ohne Grund haben wir in den Spielregeln unserer Facebook-Gruppe „Was Sie schon immer über Tango wissen wollten…“ Werbung untersagt – was allerdings diverse Veranstalter nicht daran hindert, es immer wieder zu versuchen. Die meisten lokalen Facebook-Gruppen sind inzwischen zu reinen Reklameseiten verkommen – so auch meine Liebling-Quelle, „Tango München“: Im laufenden Monat sind schon über 160 Posts zu sehen – nur 3 davon werben nicht für irgendwelche Tangoveranstaltungen.

In welcher Weise betreibt man dort die PR? Natürlich vor allem in einem unerträglich parfümierten Superlativ-Getöse, das Kraut und Rüben aufs Schönste vermischt:

„Die TANGO-Verbindung zwischen Buenos Aires und München!!!
Die besten Lehrer & Orchester, Live-Shows, Tangoreisen und Tango-Erlebnisse. TANGO!“

„NeoLonga mit Kuchen, Obst, Ostereiern, 19:30-24:00 Traditionell —Achtung, das ist die letzte Doppelmilonga bis zum Herbst! DJ (…) & Tangomodenverkauf, Tangoschuhe Comme il Faut, SUR und Pasito! Das wird ein Fest!“

Gerade bei traditionellen Milongas werden genauere Angaben zur Musik häufig durch vage, jedoch schwärmerische Aussagen ersetzt:

„Tango tanzen mit einem weiten Herz, liebevoll , rücksichtsvoll und gefühlsvoll ... Diesmal lege ich für euch auf. Feine, verspielte , fröhliche und melancholische , zarte und temperamentvolle Tangos Valses und Milongas.“  

Aus dem Neo-Lager kommen hingegen oft konkretere Informationen. Vereinzelt fühlt man sich eher der bayerischen denn der argentinischen Tradition verpflichtet:
  
„‘Tanz in den Mai‘“: Zwischendurch mit einfachen boarischen Tandas, gerne in Tracht kommen!“

Ein musikalisches Alleinstellungsmerkmal erwartet uns auch hier:

„tanzfreudige traditionelle Musik, wamer voller Röhrenklang, eindrucksvolle Musikanlage aus den 50er Jahren mit Schellackplatten aktuell mitgebracht aus Buenos Aires.“

Das könnte doch für München die Lösung sein: Wer braucht noch tanzfreudige Tangueros, wenn es die Musik allein bereits richtet?

Auch das Wetter könnte ein guter Grund sein, sich für Tango zu entscheiden:

„Heute!! Beim Regen am besten ganz viel Tanzen“

Na eben – egal, wie und zu welcher Musik: Hauptsache, man kommt ins Trockene!
Nicht über jede Werbung würde ich mich jedoch als DJ freuen:

„Milonga mit der feinen Musik von DJ (…), der nach heute leider eine Pause einlegt. Dafür wird’s heute umso schöner!“

Allerdings! So manches Musikprogramm würde für mich erträglicher, wenn ich wüsste, dass ich den DJ für einige Zeit nicht mehr erleben muss…

Bei der Ankündigung von Lehrerpaaren sollte man mit Erotik verschwenderisch umgehen:

„Die Wiederkehr nach Europa feiern wir mir einer glühenden Tanzpiste! (…) und (…) tanzen eine Show, die euch die Perfektion sinnlicher Verführung vor Augen führt.“

Wobei ein Perfektionist im Bett gelegentlich auch die Libido auf den Nullpunkt bringen kann…

Die Bedeutung der Unterrichtenden kann man gar nicht genug betonen:

„Es erwartet Euch eine Show in der die beiden die Essenz des traditionellen Tango in enger Umarmung ebenso wie neue, unerwartete Elemente zeigen. In ihrem Tanz verbinden sich Tradition und Eleganz mit moderner Technik und brillantem Können.
Derzeit sind sie Lehrer an der renormierten ETBA ‚Escuels de Tango de Buenos Aires‘“.

Super – dass man im Tango vieles normiert hat, wusste ich. Nun scheint es mit „renormieren“ noch einen Schritt zurückzugehen. Mit der Rechtschreibung ist das halt so eine Sache: Es muss natürlich „Escuela“ heißen – und die „ETBA“ ist schlicht eine Tangoschule mit Niederlassungen in Buenos Aires und San Francisco. In der Lehrerliste auf deren Website taucht das angepriesene Paar übrigens nicht auf:  

Auch sonst sollten die Angebote möglichst internäschonäl klingen:

„Técnica Hombre y Mujer – Ejercicios esenciales
Technique for men and woman – Essential exercises“

Eine Frau und mehrere Männer – das erfüllt doch endlich einen weiblichen Traum

Bei der Zielgruppe sollte man nicht kleinlich sein – Hauptsache, der Kurs wird voll:

„Niveau: Offen, empfehlenswert für alle Niveaus, sowohl als Einstieg in die Tangotechnik, wie auch zur Vertiefung zu jedem Zeitpunkt im Tangoleben.
- Max. 16 Teilnehmer, Männer willkommen!“

Tja, wo nicht… Und gut, dass die Bagage daheim ja doch nicht übt – sonst könnte man so manche Lehrveranstaltung canceln:

„Da die Technik für Anfänger und Fortgeschrittene wichtig ist und die Meisten dies ja doch nicht alleine zu Hause üben, gibt es jetzt die Möglichkeit dies angeleitet in der Gruppe zu tun.“

Einigen Tangolehrern scheint eben bewusst zu sein, dass sie gelegentlich für den Mülleimer unterrichten:

„Hohe Kunst der Boleos
Dieser Workshop spricht auch diejenigen an, die es aufgegeben haben, Boleos auf dem Parkett (Milonga) unterzubringen.“

Aber immerhin schreibt man hier das Wort noch richtig. Eine höchst gestandene Kollegin hingegen glänzt nicht gerade mit Fachwissen:

„In diesem Kurs werden wir uns ganz intensiv die Grundelemente der verschiedenen Voleos (volar-fliegen) und deren Führung widmen.“

Mit Verlaub: nein. Hat mit „volar“ nix zu tun, drum schreibt man’s auch mit „B“. Kommt nämlich von den „Boleadoras“, dem Wurfgerät mit drei sternförmig angeordneten Seilen und Kugeln, welches die Gauchos zum Viehfang verwendeten, indem sie es den Tieren zwischen die Haxen warfen!

Zunächst etwas verwirrt hat mich der folgende Werbetext, da mir die englischen Fachbegriffe nichts sagten:

„Hallo Liebe We Space, Couchsurfing, Meetup und Facebook Freunde, wir organisieren für alle und jeden der mitmachen will, wenn du mit dir selbst, mit deinen Mitmenschen respektvoll umgehen kannst.“

Zu meiner Erleichterung erfuhr ich, gar nicht gemeint zu sein:

“Aimed at boys & girls from 18 to 35 years.”

Ansonsten widme man sich, wie zu lesen ist, ganz der Improvisation im Tango, mit einer Ausnahme:

“Few rules dictate the limits of improvisation: the man leads, the woman follows.”
(Wenige Regeln diktieren die Grenzen der Improvisation: Der Mann führt, die Frau folgt.")

Dazu fand ich ein weiteres Angebot ohne Altersbeschränkung:

„18:30 Uhr: Workshop mit (…): "Ordnung und Spaß bei tanzen!"

Und schließlich gilt auch im Tango: Erst kommt das Fressen, dann die Mirada!

„Abend essen in die Milonga! SPECIAL TANGO MENU!“

„Um 18.00, viel Liebe, Ronda, Kuchen, Vieelll Tango und empanadas, und euch“

„gutes Essen und Trinken (bester Kaiserschmarrn der Welt)“

Fazit

Wenn ich also demnächst in meine Lederhose steige und mal wieder „auf Minga“ fahre, freue ich mich schon jetzt auf Empanadas und Kaiserschmarrn, fliegende Voleos, den geordneten Spaß sowie die Technik für mehrere Männer und eine Frau.

Ehrlich!

P.S. Man sollte bei der Tangowerbung allerdings die Kirsche im Dorf lassen:

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