Iwan Harlan: Tango alemán
Genügend
Werbung hat der Musiker, Komponist
und Tangolehrer ja für sein Projekt gemacht, so dass ich schon länger von
seinem Vorhaben wusste, das er so beschreibt:
„Kann man dieses
raue, zärtliche, hingebungsvolle, erdige, laszive Gefühl, das der Tango entfacht,
authentisch ins Hier und Jetzt und in den deutschsprachigen Raum
transportieren?“
Nun
ist seine CD „Tango alemán“
erschienen – ich hatte sie natürlich längst vorbestellt und war gespannt.
Neun
der zehn enthaltenen Stücke hat Iwan
Harlan selbst komponiert – die verbleibende Einspielung ist Carlos Gardels berühmter Titel „Volver“ mit einer deutschen Transkription
des Originals von Alfredo Le Pera. Textautor
ist jeweils Martin Baltscheit. Die
Musik liefert das Quartett „Amores
Tangos“.
Von
der Idee, moderne Tangomusik zu
schaffen anstatt lediglich die alten Arrangements möglichst täuschend ähnlich
nachzuspielen, muss man mich nicht überzeugen. Seit seiner Entstehung hat der
Tango jeweils das Lebensgefühl der
aktuellen Generation widergespiegelt – erst seit einem guten Jahrzehnt ist
nun der Rücksturz zu Musik, Moral, Einstellungen
und Tanzweisen der 1940-er Jahre flächendeckend angesagt. Ein Anachronismus!
Zudem
wird uns Nicht-Latinos ja immer
wieder vorgehalten, zur Erfassung des tiefsten Sinns fehlten uns schlicht die Spanischkenntnisse, um das empathisch Gesungene
auch inhaltlich zu kapieren. Da könnten wir uns mit deutschen Tangotexten doch
direkt einmal revanchieren… Ferner ist das, was die EdO-Tenöre da knödeln, halt von
Tabus, Machismo und sonstigem Zeitgeist her zirka 80 Jahre von der Gegenwart entfernt.
Also:
neue Tangomusik mit aktuellen Texten – ja, aber gerne doch!
Wieso man „deutschen Tango“ dann spanisch als „Tango alemán“ bezeichnen muss,
erschließt sich auf den ersten Blick nicht.
Nun
muss man freilich wissen: Tangos aus deutscher
Produktion gibt es schon seit den 1920-er Jahren. Protagonisten wie Dajos Béla, Barnabás von Géczy, Paul
Godwin, Michael Jary und Juan Llossas
waren zu ihrer Zeit sehr populär. Erst Anfang der 1960-er Jahre begann die
Tangomusik hierzulande aus den Charts zu verschwinden. Die Texte allerdings
waren noch schnulziger als die argentinischen Vorbilder – manchmal aber auch
von anarchischer Komik wie der „Kriminal-Tango“
des Hazy Osterwald-Sextetts.
Von
der heimischen Tangoszene werden
diese Aufnahmen bis heute verschmäht – kaum ein DJ (außer meiner Wenigkeit und
Kollegen Peter Ripota) trauen sich,
die alten Kracher aufzulegen. Die Antipathie
rührt wohl daher, dass unsere Tangotänzer – anders als bei den argentinischen
Herz-Schmerz-Produkten – die Texte verstehen…
Zwischenzeitlich
gab es immer wieder einmal Versuche, Tangos mit deutschen Texten (meist Nachdichtungen
des spanischen Originals) herauszubringen. Schon 2007 war ich sehr angetan von
der CD „Hafentango“ mit dem Hamburger Sänger Patrick Stern. Der Künstler
scheint zwar noch aktiv zu sein – als CD nachgekommen ist jedoch nichts mehr.
Nun
also der erneute Versuch von Iwan Harlan
– er ist, wie ich finde, gut gelungen. Der Sänger und Komponist verfügt über
eine warme, angenehme Baritonstimme, mit welcher er die Botschaft seiner Songs
durchaus vermitteln kann. Es geht natürlich (wie sollte es im Tango auch anders
sein) größtenteils um Liebe, allerdings in teilweise sehr origineller Verpackung
– etwa in dem Stück „Kreuzstich“, wo eine Romanze mit der Metaphorik aus der
Nadelarbeit geschildert wird.
Die
Zeilen wirken größtenteils frisch, originell, nachdenklich und respektlos –
wenn auch Martin Baltscheits Lyrik
manchmal ziemlich mit dem Holzhammer arbeitet, wenn es beispielsweise heißt:
„was geht es mich an
wo du bist und wann
ich will es jetzt
wissen
du kannst dich
verpissen“
oder
„Ich bin auf sie
gefallen herein
die schönste Frau von
allen und mein
ihr roter Mund die
lila Wangen
im haargesprayten Haar
verfangen“
Nun,
ob freiwillig oder nicht – lustig ist das allemal. Und die Dichter aus den „Goldenen Tangozeiten“ haben oft auch nicht weniger Käse zusammengeklöppelt…
Gut,
dass man die Texte im schön aufgemachten Booklet nachlesen kann – auch deshalb,
weil Sänger Harlan sie in dem Bemühen um
erotisches Timbre gelegentlich ziemlich zusammennuschelt. Ein bisschen weniger
Pose hätte mir noch besser gefallen.
Am
gelungensten finde ich die Musik: Da bietet sich dem Tänzer zwischen gefühlvollen
Balladen, dynamischen Tangos, munteren Zweiviertelrhythmen und sogar Walzer
viel Abwechslung. Das größte Lob verdient das Ensemble „Amores Tangos“ – eine Gruppe, die ihren ganz eigenen Stil
entwickelt hat – meilenweit entfernt vom Nachspielen der alten Orchester. So
kann moderner Tango klingen! Wie
kongenial die Instrumentalisten sich auf Text und Gesang einlassen, verdient nicht nur
Bewunderung, sondern auch die namentliche Auflistung der Besetzung:
José Teixidó (Gitarre)
Nico Perrone (Bandoneón)
Juan Tarsia (Piano)
Seba Noya (Bass)
Mir
hat die CD so viel Spaß gemacht, dass ich mich spontan entschloss, sie bei
unserer „Wohnzimmer-Milonga” im
Dezember als „musikalisches Special”
vorzustellen. Ich bin sehr gespannt, wie unsere Tänzer darauf reagieren! Wer
nicht das Glück hat, dazu in Pörnbach tanzen zu können, kann den Tonträger ja
käuflich erwerben:
Und
als kleiner Appetithappen:
Bei
einer Sache jedoch kam ich ins Schmunzeln: Der Autor hat seine CD ja auch durch
„Crowdfunding“ (wie dieses Bemühen
um Mäzene heute heißt) produziert. Da fiel mir ein, was ich 2010 bei meinem ersten Tangobuch versäumt habe, als ich
Depp es alleine vorfinanzierte. Zum Dank hat mich dann, wie es ein Kommentator
neulich formulierte, „die Szene, also wir
alle, derart mit Katzenscheiße beschmissen, dass man es nicht anders bezeichnen
kann als massives Mobbing“.
P.S.
Beim Blogger-Kollegen Thomas Kröter
hat der Initiator sein Projekt genauer vorgestellt:
http://kroestango.de/aktuelles/neuer-deutscher-tango-iwan-harlan-zu-gast/
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