Blöd kommt weg
„Ziel des Gesetzes
ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen
Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung,
des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
(Allgemeines
Gleichbehandlungsgesetz - AGG vom 14.8.2006)
Derzeit
scheint es immer schwieriger zu werden, an Tangoveranstaltungen teilzunehmen,
bei denen (aus welchen Gründen auch immer) der Zutritt begrenzt ist. Auf
Facebook beklagt sich eine (wohl ältere) Tanguera namens Roswitha Tango-Atlántico über die „Zulassungskriterien für Encuentros
und Marathons“.
Nun
kommt bei mir angesichts von solchen Begriffen
bereits leichte Übelkeit auf: Geht es hier um einen „Numerus clausus“ wie im
Studium oder gar um die Zulassung eines Autos beim TÜV – oder doch nur um ein
schlichtes Tanzwochenende?
Die
Schreiberin erklärt die vermutlichen Motive
bei der Etablierung dieser Treffs
so:
„Man wollte tanzen,
viel, sehr viel in kurzer Zeit, sprich, an einem Wochenende; man wollte keine
Shows mehr sehen; keine Unterrichtsangebote haben und vor allem, man wollte
sicher sein, dass, egal wer dich auffordert, man an eine gute Tänzerin/guten
Tänzer gerät. Geordnet wollte man es haben auf der Tanzfläche, so dass jeder
entspannt tanzen kann in der Gruppe; sozial eben. (…)
Ich finde es legitim, dass sich Tänzer treffen und
einigermaßen sicher sein wollen, ein ähnliches Tanzniveau und eine
Pistendisziplin anzutreffen, die ihnen Freude bereitet. (…) Ich möchte, dass das Niveau und die Pistenkultur DAS Kriterium sind und
nicht alles andere Mögliche, was es in der Konkurrenzwelt sonst noch gibt.“
Mit „elitär“, so der von Thomas Kröter verwendete Begriff beim
Teilen dieses Beitrags, habe das jedoch nichts zu tun.
Ich verstehe durchaus, was die Autorin damit
meint. Was sie jedoch offenbar nicht kapiert: Mit unsäglichen Begriffen wie „Pistendisziplin“
lockt man natürlich einen Menschentyp
an, für den sich Liberalität
ungefähr in der Entfernung von Alpha
Centauri (4,34 Lichtjahre) befindet. Ein „offenes und freundliches Wesen“ allein, wie von der Schreiberin
angeboten, dürfte da für eine Zulassung nicht reichen, zumal es ja auf der
anderen Seite möglicherweise fehlt.
Für mich nicht überraschend listet Roswitha Tango-Atlántico einige Zumutungen
auf, welchen man sich für eine Teilnahme-Erlaubnis unterziehen sollte:
„Man
sollte den Veranstalter in der Vergangenheit als Person hofiert haben.
Man sollte tunlichst nicht zum älteren Semester gehören. Ältere Frauen werden diskriminiert. Männer fallen nicht so sehr darunter.
Man sollte gute Referenzen nennen können, die sozusagen für einen ‚bürgen‘.
Man sollte in bestimmten Encuentro-Kreisen verkehren.“
Man sollte tunlichst nicht zum älteren Semester gehören. Ältere Frauen werden diskriminiert. Männer fallen nicht so sehr darunter.
Man sollte gute Referenzen nennen können, die sozusagen für einen ‚bürgen‘.
Man sollte in bestimmten Encuentro-Kreisen verkehren.“
Dennoch meint die Autorin, man könne über die
obigen Punkte durchaus diskutieren, über einen jedoch nicht – das Alter:
„Und
das sage ich nicht deshalb, weil ich selber zu den älteren Tangueras gehöre,
sondern weil die Durchmischung aller Altersstufen, sozialer Klassen, Bildungsniveaus
und körperlicher Schön- oder Unschönheiten ein wesentliches Merkmal des
weltweiten Tangos ist und nach meiner Meinung auch bleiben sollte.“
Wie man an den Kommentaren dazu sieht, ist
zumindest die Durchmischung der Bildungsniveaus im Tango bereits voll gelungen.
So meint eine meiner Haupt-Satirequellen, Oliver Fleidl:
„Hofieren ist auch so ein Wort. Logo nehme ich als VeranstalterIn lieber jemanden, der mir sympathisch ist. Schließlich hängt man 3 Tage mit diesen Leuten ab.“
„Hofieren ist auch so ein Wort. Logo nehme ich als VeranstalterIn lieber jemanden, der mir sympathisch ist. Schließlich hängt man 3 Tage mit diesen Leuten ab.“
Trefflich bemerkt!
Wäre nur hinzuzufügen: und die auch drei Tage mit ihm…
Die
Tangoveranstalterin Theresa Faus ist
immerhin dagegen, „nach tanz-fremden
Kriterien“ zu selektieren. Und sie wird sogar
konkreter:
„In den
Milongas und in den meisten Marathons und Encuentros kann man schon beobachten,
dass ältere Menschen – vor allem Frauen – mehr sitzen als jüngere, und zwar
unabhängig von ihrem Tanzkönnen. Beim Einladen und Zulassen ist das Alter
vielleicht nicht explizit, aber implizit auch eines der Kriterien, die beim ‚Status‘
zählen.“
Freimütig
bekennt sie:
„Also ich Ältere tanze sehr gerne
mit Jüngeren, gerne auch ein bisschen ‚sportlich‘. (…) Ich habe mal auf einem
Marathon einen jüngeren Tänzer kennengelernt, mit dem ich seither oft und gern
tanze. Der sagte mir dann später, dass er zuerst, als er meine grauen Haare
sah, automatisch dachte, dass er mit dieser Frau nicht so dynamisch drehen
könne wie er es gerne tut. Zum Glück hat er sich drauf eingelassen und sich
eines Besseren belehren lassen.“
Ich fürchte,
Theresa wird es wieder als „Pennälerhumor“ sowie „unterste Schublade“ klassifizieren –
aber ich kann nicht anders: Die Vorstellung, wie man sich in der „disziplinierten
Ronda“ sportlich und dynamisch dreht,
verbessert meine Laune erheblich: You made my day…
Andere
Kommentatorinnen wie Andrea Varas Muñoz formulieren
es noch schärfer:
„Ich möchte mich nicht
auswählen lassen... bin doch kein Schaf. Hatte aber auch schon auf 2-3
Marathons so ein Gefühl gehabt (war auch nicht die Einzige) von
Grüppchenbildung über vollends ignoriert zu werden bis hin zur Diskriminierung
... ob es wegen meines Alters, meiner ‚unsexyness‘ oder wegen meiner flachen
Schuhe war... keine Ahnung. Es hat sich angefühlt, als wäre es wegen allem.
Mittlerweile schaue ich einfach, wer es veranstaltet und wie die Anmelde-Modalitäten sind. Blöd kommt weg.“
Mittlerweile schaue ich einfach, wer es veranstaltet und wie die Anmelde-Modalitäten sind. Blöd kommt weg.“
Welch ein schönes Motto – ich frage mich nur, wie viel dann übrig bleibt…
Auch Peter
Rndl bringt es auf den Punkt:
„Hauptfrage
... willst du mit Menschen zusammen sein, die andere ausschließen? (…)
Mein
Ratschlag ... hör auf zu jammern oder nörgeln über das, was du nicht hast.
Genieße, was du hast ... und mache neue Tänzer glücklich. Die so genannte Elite
wird sowieso Menschen finden ... aber die echten Edelsteine gibt es überall!“
Nun gut, die Debatte dürfte noch länger hin-
und herwogen. Interessant immerhin, dass die kritischen Haltungen zu solchen Fragen zuzunehmen scheinen. Ein
Aspekt jedoch wird, so fürchte ich, unbeachtet bleiben – nämlich die simple
Frage: Wie kommt es überhaupt zu einem solchen Überangebot an Teilnahmewünschen?
Schon gut, ich weiß: Diese Veranstaltungen
sind offenbar sehr attraktiv. Nur:
Was passiert in einer Marktwirtschaft,
wenn ein Artikel stark nachgefragt wird? Wenn möglich produziert man davon
mehr, bis sich Angebot und Nachfrage
ausgleichen. Wieso also vergrößert man nicht die Veranstaltungsräume oder
bietet mehr Termine an? Ganz schön verdienen könnte man damit sicherlich.
Ich habe da einen Verdacht: Dann kämen nicht
mehr so viele. Zur Exklusivität
gehört zwingend die Verknappung. Begehrt ist nicht der Club, in den viele
gehen, sondern derjenige, wo man viele
nicht reinlässt – also „die härteste
Tür macht“. Fallweise trifft dies dann Unbedeutende, Ältere, Unschöne oder
Ausländer.
Auch auf unserer kleinen Pörnbacher Dorfmilonga hatten wir das Problem mit der begrenzten Teilnehmerzahl. Allerdings ohne komische „Zulassungskriterien". Inzwischen
hat sich das gut eingependelt – auch, weil wir gelegentlich einen Termin mehr
anbieten. Und im Zweifelsfall ist das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ (wie bei den Aldi-Sonderangeboten) immer noch das sauberste – auch wenn
man manchmal bedauert, einen sehr lieben Gast abweisen zu müssen, vielleicht
sogar zugunsten eines Besuchers, auf den man eventuell hätte verzichten können…
Nein: Mit „Gesichtskontrollen“ erniedrigt man sich nur selber – und bereits
für die Frage nach dem Alter eines
Besuchers würde ich mich in Grund und Boden schämen. Jede Milonga ist eine Wundertüte – und ich staune manchmal,
wie es mit einer Gästekombination harmoniert, bei der man im Vorfeld eher
Bedenken hatte. Nur gehört dazu halt Mut
anstatt einer „Vollkaskomentalität“.
Sehr gerne überlasse ich daher das Wort einem
mir wohlbekannten Essener Tangolehrer, Klaus
Wendel, dessen Sympathie ich mich fallweise erfreue. Er stellt mit der ihm
eigenen Verve fest:
„Die
Einstellung, die dahintersteht, ist die der Türstehermentalität bei
Großraumdiscos. Jeder Teilnehmer fühlt sich geschmeichelt, dabei sein zu
dürfen, soll also obendrein den Veranstaltern mit Referenzen über gute
tänzerische Fähigkeiten und auch persönlichen Avancen in den Arsch kriechen,
alle optisch oder tänzerisch Nicht-Genehmen werden nicht reingelassen. So
schafft man sich eine hermetisch, klinisch reine Tangoumwelt, in der man sich
als King oder Queen des Tangos fühlen darf. Und das sehr oft bei relativ
rudimentären Tanzkenntnissen, die durch Vereinheitlichung zu einem monotonen
Brei verschwimmen. Schlimmer geht‘s nimmer.“
Wahrlich, vielleicht sollten sich im Tango
die „Krawall-Rentner“ doch öfters zu Wort melden!
André
Dino Deutsch meint dazu jedenfalls:
„Ich
glaube, wenn alle älteren Semester so wie du wären, dann gäbe es diese
Altersfrage nicht.“
Na eben! Das Motto ist doch sehr simpel:
„Blöd kommt weg!“
Quellen:
https://www.facebook.com/thomas.kroter.5/posts/2021434811269412Grafik: www.tangofish.de |
Hier ein Kommentar von Matthias Botzenhardt:
AntwortenLöschenHallo Gerhard,
Schöne Veranstaltungen (mit eher guter Tanzqualität!) können auch ohne Politik der „harten Tür“ etabliert werden.
Vor nicht ganz einem Monat war ich zum zweiten Mal im „El Corte“ in Nijmegen (an einem „Chained Salon“ Wochenende. In München würde man das wohl als „Aneinanderkettung von Tangofesten“ bezeichnen).
Eine Veranstaltung, die ihren Zauber zum größten Teil der Person von Eric Jorissen (erwähnt auch im hiesigen Blog unter „Der kurze Weg zum langen Abschied“) zu verdanken hat. Ein sehr charismatischer Mann, dem es zusammen mit seinem Lebensgefährten und seinem Team gelingt, eine sehr integrative Grundstimmung zu etablieren.
Dies hat sicherlich damit zu tun, dass er und sein Team allen Gästen das Gefühl geben, sie seien ihnen wichtig und willkommen.
Ohne jemals mehr als einige kurze Sätze mit Eric gewechselt zu haben, bemerkte er beispielsweise bei meiner Begrüßung an der Bar, dass ich vor einigen Jahren bereits einmal (einen Abend lang) im El Corte gewesen sei. Eine gewaltige Leistung - bei der großen Menge an Besuchern.
Ein Administrator der facebook-Gruppe des El Corte schreibt im Geleittext zu den „Ankündigungen“:
»El Corte was built on a foundation of community, creativity and connection. When longtime dancers share their experience and new dancers bring energy and enthusiasm, connections are made, the spark of creativity ignites and a community grows. The current trend toward invitation-only Tango events excludes beginners. This disrupts the natural balance of a Milonga — a cocktail that requires both the wonder in the eyes of new dancers and the elegance that comes with experience.
At El Corte we celebrate the history of the Tango by sharing the spirit of a living dance that thrives because of the ebb and flow of old friends and new faces. Fueled by the lively mix of dancers and respect for Tango traditions, events at El Corte are designed to refresh your passion for Tango. We hope you will enjoy the exchange of ideas and experiences that is only possible when everyone feels welcome.«
Ein sehr schön formulierter Text, wie ich finde.
Wie handhabt El Corte die Höhe des Eintrittsgeldes und wie wählt es seine Gäste aus, nachdem die Gästeanzahl aufgrund der Räumlichkeiten limitiert ist?
Ich finde, dass dies sehr fair gelöst wird:
Der Eintritt (an allen drei Tagen des Wochenendes) ist gratis! Die Finanzierung der Einrichtung wird über Kursgebühren getragen.
Es gibt unter anderem eine Gruppenunterrichtsstunde („space lab“). Wer daran teilnimmt (kostet 15.- € pro Person), dessen Einlass ist gesichert.
Für alle anderen Gäste gilt: Wer früh genug an Ort und Stelle ist, der darf hinein.
Auf der Homepage des El Corte steht zu lesen:
„On Saturday you have the option of doing the laboratory. In that case you are in the building before the salon starts. Mind you: we do NOT want to have a waiting lounge... we want you to participate. Therefore, we will close the doors again after the start of the laboratory.
At 15:00 sharp we will open the doors for the queue outside. And then the most painful moment is bound to happen... at 250 people Eric will stop the inflow. Simply because we all want to be safe in the building, don't we? We do our best to organize to let those who have been coming from far enter later. And far does not mean 2 or 3 hours by car...
Between 19:00 and 22:30 we don't allow new people in at all. The dancers who are already there can, of course, go in and out as they please. Our memory works fine ;)“
(Fortsetzung)
AntwortenLöschenUm ein solches Konzept ins Leben zu rufen (und über viele Jahre erfolgreich aufrecht zu erhalten), war vermutlich das Zusammentreffen vieler verschiedener glücklicher Umstände notwendig. Leider ist dies sicherlich nicht von vielen Veranstaltern und auch nicht an beliebiger Stelle wiederholbar.
Jorissens Verständnis vom Tango, von der Integration verschiedener Leute, von musikalischen Vorlieben, weshalb er als DJ immer mit CDs auflegt, …
kann man zum Beispiel in einem Interview nachhören, das Joe Yang hier: https://www.stitcher.com/podcast/joes-tango-podcast/e/56283289?autoplay=true (Episode 065) mit Eric geführt hat.
Vielleicht gibt es ja noch weitere Veranstaltungen, die ähnliche Konzepte erfolgreich umsetzen?
Es würde mich freuen davon zu erfahren - dann würde ich nämlich gerne auch sie besuchen!
Viele Grüße,
Matthias
Lieber Matthias,
Löschenvom „El Corte“ liest man ja immer wieder sehr positive Dinge. Leider kenne ich es nicht aus eigener Anschauung.
Es ist schon bezeichnend, dass Eric Jorissen so gar keine Angst vor einem Ungleichgewicht der Geschlechter und anderen im heutigen Tango gefürchteten Zufallsergebnissen hat. Und ich stimme absolut mit ihm überein, dass gerade die Mischung aus Anfängern und routinierten Gästen eine Milonga belebt und spannend macht.
Wie er das Ganze finanziert, erscheint mir nicht so wichtig. Viele Gäste würden wohl auch kommen, wenn es den normalen Milonga-Eintritt gäbe.
Letztlich gilt bei ihm halt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und ab einer bestimmten Höchstteilnehmer-Zahl ist eben Schluss. Eigentlich gar nicht so „sensationell“, sondern ein Zeichen, dass man im Tango das Rad wahrlich nicht neu erfinden muss.
Es wäre interessant zu erfahren, ob er nicht manchmal Probleme mit Gästen bekommt, die eine weite Anfahrt hatten und dann nicht mehr reinkommen.
Vielen Dank für den Beitrag und beste Grüße
Gerhard
Hier die Antwort von Matthias Botzenhardt:
AntwortenLöschenDie Finanzierung halte ich schon für wichtig. Es signalisiert eine prinzipielle Offenheit gegenüber allen lokalen Tänzerinnen und Tänzern: Kommt gerne (auch nur für ein Stündchen) vorbei - trinkt einen Kaffee, schaut mindestens mal zu und versucht ggf. Tandas mit weitangereisten Fremden zu tanzen.
Dadurch wird die Qualität der lokalen Tanzszene auf Dauer und im Durchschnitt gefördert.
Ich habe keine Ahnung, wie oft es vorkommt, dass tatsächlich Besucher an der 250 Personengrenze scheitern… und ob das dann zu Ärger führt. Vielleicht ist das ja auch eher ein Problem vergangener Tage - als es noch keine alternativen Marathons usw. gab.
Ich vermute aber, dass alle weit Angereisten ohnehin die 15.- € für das „space lab“ bezahlen werden - einfach nur, um sicheren Eintritt zu genießen.
Und diese „Kursstunde“ dient unter anderem dazu, ein starkes „Wir“-Gefühl zu organisieren. Erics enorme Präsenz und seine unterrichtstaktischen Finessen führen in einem erheblichen Maße dazu, dass alle Anwesenden in ihrer inneren Einstellung auf einen „schönen“ und „gemeinsamen“ Nenner gehoben werden. „Good vibrations“ sozusagen. Ankommen. Entspannen. In Tango eintauchen. Alltagsprobleme vertagen und vergessen. Mit sich und den Anderen ins Reine kommen.
Klar…
Unterricht zum „Verbessern“ der Technik oder Ähnliches kann in einer Gruppe von hundert Leuten ohnehin nicht gelingen.
Aber die Umstände ermöglichen es Eric, auch Tänzerinnen und Tänzer zu „erreichen“, die sonst üblicherweise schon lange keine Unterrichtsstunden mehr nehmen. Und auch Leute aufs Parkett zu holen, die es in anderen Milongas auf nicht mehr als 30 Minuten Nettotanzzeit bringen (also vor allem Anfänger und Topstars).
Doch völlig ungeachtet des Tanzniveaus hatten wirklich ALLE Spaß am GEMEINSAM Dargebotenen. Die „Ronda“ erfuhr eine gewisse Personalisierung. Über expliziert verlangte, absichtliche physische Berührungen mit anderen Tanzenden, wurde die Ronda vom Objekt zum gemeinsam gestalteten Subjekt. Eine schöne Herangehensweise zur Einleitung der später folgenden Milonga.
Durch viele provozierte Tanzpartnerwechsel ergaben sich überdies tänzerische Ad-hoc-Bekanntschaften, die sicherlich im Verlauf des Abends zur einen oder anderen Tanda führten, die sich sonst vielleicht nicht ergeben hätte.
Ein weiterer Effekt ist der, dass mit dem Beginn der ersten Tanda der Milonga sofort eine große Anzahl von Tanzenden anwesend ist… und nicht erst nach und nach die Leute hereintröpfeln. Direkt nach dem „space lab“ beginnt sofort die Milonga - mit der Wucht und Tangolust vieler.
Weiterhin: Das Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ ermöglicht es auch Leuten wie mir, relativ kurz entschlossen teilzunehmen.
Neben familiären Gründen, gibt es sicherlich auch noch viele weitere gute Gründe, weshalb sich Tanzende nicht bereits Monate im Voraus auf eine Teilnahme an Encuentros et al. festlegen können.
Das Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ hat sicher auch Auswirkungen auf die Grundstimmung der Teilnehmenden: Je stärker die Teilnahmelust am besagten Abend ist, desto eher wird man versuchen, auch wirklich teilzunehmen. Gleichzeitig läuft aber auch niemand Gefahr, sich ob einer bereits geleisteten Anzahlung auf den Weg zu machen, obwohl doch die Lust des Abends eher gering ist.
Über das Geschlechtergleichgewicht habe ich mir vor Ort überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich denke, es dürfte etwa 50/50 gewesen sein. Es gab aber sehr regelmäßige Kombinationen von Frau/Frau und Mann/Mann auf der Tanzfläche. Vielleicht hat dies ein mögliches Ungleichgewicht auch neutralisiert.
Ich selbst habe dort übrigens während einer Tanda, spontan, mit einer Tanzpartnerin, die ich zuvor noch nie in meinem Leben getroffen hatte, die Rollen getauscht. Rollentausch kenne ich aus meinem eigenen Erleben sonst nur mit mir bereits einigermaßen bekannten Tänzerinnen und Tänzern. Insofern war das für mich eine schöne Premiere.
Vielen Dank für die sehr interessanten Informationen!
AntwortenLöschenFür mich ist es vor allem sehr aufschlussreich, wie man eine solche große Veranstaltung mit Gästen von weither auch hinbekommen kann - ganz ohne Restriktionen, was Geschlecht, Tanzfähigkeiten oder "Rondadisziplin" anbetrifft.
Auch nach meinen Erfahrungen muss der Veranstalter eine soziale Atmosphäre schaffen, welche die Gäste zusammenführt und gemeinsame Tänze fördert. Dann braucht man im Vorfeld keine Selektion zu betreiben.
Unnahbar hinter dem Tresen zu hocken, wie man das oft erlebt, wird dagegen nicht reichen.