Die alten Wilden
Die Namen Eduardo
und Gloria Arquimbau lernte ich
schon bei meinem ersten Tangolehrerpaar kennen: In der von dieser Spezies gern
verwendeten Genealogie gehabter, berühmter Lehrer tauchten sie ebenso auf wie
heute noch auf vielen Webseiten ihrer Kollegen.
Aha, „tanzen wie in den Vierzigern“ (wie Armando Pontiers Titel „Milongueando en el 40“ übersetzt heißt)
– ganz schön flott!
Ob die beiden heute in konservativen Tangokreisen bestehen könnten? Mir fiel die Rezension
eines Tanzes auf, welcher von mir auf YouTube zu sehen ist. Kollege Cassiel schrieb dazu unter anderem:
„Was präsentiert uns
Gerhard da als ‚Umarmung‘? Seine Partnerin steht fast durchgängig mit
mindestens einer halben Körperbreite Versatz in starker V-Form vor ihm. Ihr
Sternum befindet sich also gegenüber dem unteren äußeren rechten Rippenbogen
von Gerhard. Diese ‚Umarmung‘ schränkt natürlich stark ein (und zwar viel
stärker als die geschlossene Umarmung). Ein Gehen im Paar auf zwei Spuren ist
faktisch unmöglich. Das geht biomechanisch überhaupt nicht. Was möglich ist,
ist ein Gehen auf drei Spuren im gekreuzten System (das wird sogar
vergleichsweise einfach) und beim Gehen auf vier Spuren (er geht links an ihr
vorbei) wird es wiederum zu Problemen kommen, weil – bedingt durch die starke
V-Form – ein lineares Gehen beinahe unmöglich wird. Und vom Gehen auf drei oder
vier Spuren rechts an ihr vorbei wollen wir jetzt gar nicht reden. Das geht so
überhaupt nicht.“
Kommt
da der Bannfluch aus Buenos Aires? Aber nein, selbst im
dortigen, legendären „Club Sunderland“
(quasi der Kaaba von Mekka) durften sie 2009 unter großem Jubel vortanzen.
Besonders beeindruckt hat mich dabei das erste Stück, welches ein traditioneller
DJ hierzulande niemals auflegen würde: „Taquito
Militar“ von Mariano Mores:
Möglicherweise
liegt es auch an ihrem Renommee: Gloria und Eduardo stammen aus dem
Tangoviertel Pompeya und kennen sich
seit ihrer Kindheit. Alles um sie herum war damals Tango, Anregungen gab es in
Hülle und Fülle. Übrigens lernten die Frauen
die Anfangsgründe prinzipiell in der Familie,
und die Männer mussten sich zunächst
mit der folgenden Rolle beschäftigen
– geführt von fortgeschrittenen Tangueros – wie sich das Paar erinnert. So viel
zum hiesigen Lehrpersonal, welches verkündet, den „authentischen“ Tango zu unterrichten…
Übrigens
lernten die beiden auch eine Vielzahl anderer
Tänze, was ich für besonders bemerkenswert halte.
Eduardo tanzt Tango seit
seinem 13. Lebensjahr. Später traf man sich bei denselben Lehrern, und als die
knapp zehn Jahre jüngere Gloria groß
genug war, wurde man für die ersten Tangoshows
gebucht – sie war 14, er Anfang 20. Sie traten Anfang der 1960-er Jahre zusammen
mit den Orchestern von Francisco Canaro
und Juan D’Arienzo auf – vorwiegend im
Fernsehen, das es schon 1961 in Farbe gab. Im selben Jahr begleiteten sie Canaro auf einer Japan-Tournee.
Sie
arbeiteten mit zirka 20 der führenden
Orchester zusammen, unter anderem Troilo,
Pugliese, Mariano Mores, Florindo Sassone, José Basso, De Angelis, Caló,
Laurenz und Piazzolla. 25 Jahre
waren sie Stammgäste der TV-Show „Grandes
valores del tango" („Große Tango-Talente“).
Bei
den großen Bühnenproduktionen, die
in den 70-er und 80-er Jahren weltweit das neue Interesse am Tango begründeten
(wie „Tango argentino“ und „Forever Tango“) waren sie meist beteiligt
– als Tänzer und Choreografen.
Wahrlich
kann man bei Gloria und Eduardo den Begriff
„Zeitzeugen“ verwenden: Sie kannten
das ausgehende „Goldene Zeitalter“
noch aus eigenem Erleben und nicht nur von Internet-Playlisten. Wenn man die
wenigen Interviews mit ihnen liest, ist es erstaunlich, wie wenig sie sie von
einer verengten Sicht auf den Tango
halten. Sicherlich, sie betonen den „Respekt
vor den Wurzeln“ – in ihrem Alter verständlich und ja auch richtig.
Insgesamt
jedoch sehen sie den Tango im Wandel.
So manches Detail hat mich schmunzeln lassen: So habe es die enge Umarmung erst seit den 1950-er
Jahren gegeben – vorher sei sie sozial nicht akzeptiert worden. Ebenso entstanden
die hohen Fußaktionen (Boleos,
Ganchos) in den 40-er Jahren: nicht aus Rücksichtslosigkeit, sondern wegen der
abnehmenden weiblichen Rocklänge.
Die
Arquimbaus haben das ganze Tango-Spektrum erlebt: Im Zentrum tanzte man braver als in der Vorstadt
– und man konnte bei einem Tanzpaar sogar erkennen, aus welchem Viertel es
stammte. Die Regeln waren sehr unterschiedlich: Hätte man in einer
City-Milonga Figuren aus den Barrios getanzt, wäre man rausgeflogen. Übrigens
reichte bei Männern dort schon gelegentlich ein blaues Hemd, wenn weiß
vorgeschrieben war…
„Der
Tango passt sich dem an, wo man ihn tanzt.“ Diesen Satz sollten
sich alle überlegen, die vom „wahren Tango“ faseln. Überhaupt hat es Eduardo Arquimbau nicht so mit „Besitzverhältnissen“:
“Keiner ist der
Eigentümer des Tango. Das Höchste, was man für ihn tun kann, ist, ihn zu
lieben. Wenn einer glaubt, den Tango zu besitzen, ist er sehr verloren. Wir
schicken uns nicht an, Eigentümer der Wahrheit zu sein, wir haben nur unsere
Perspektive. Andere sind Wahrheitseigentümer (lacht). Es ist nur gut, Dinge zur
Kenntnis zu nehmen, welche Leute, die nicht tanzen können, nicht bemerken. Das
ist alles.“
Quellen:
http://www.totango.net/Arquimbaus.html
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