Bewerbungsbogen für Encuentros
Die
von mir im letzten Artikel zitierte Roswitha
Tango-Atlántico hält bekanntlich, bei aller Kritik, „ein
bestimmtes, gutes Tanzniveau und das Beherrschen und Einhalten der Regeln der
guten Ronda“ für
durchaus notwendige Eigenschaften, um zu einer geschlossenen Tangoveranstaltung
zugelassen zu werden. Als es in der Facebook-Diskussion Einzelne wagten, die
Türsteher-Mentalität generell zu kritisieren, reagierte sie ziemlich säuerlich:
„Ich
wundere mich also schon über die Beiträge, die vehement darlegen, warum man
selber lieber nicht auf ein Encuentro oder Marathon gehen will, weil man sich
keinen Kriterien unterwerfen möchte – nur, das war nicht Punkt der Diskussion.
(…) Ich finde es legitim, dass sich Tänzer treffen und einigermaßen sicher sein
wollen, ein ähnliches Tanzniveau und eine Pistendisziplin anzutreffen, die
ihnen Freude bereitet.“
Nun gut, hierzu kann man sicherlich
verschiedener Meinung sein. Wer bei persönlichen Begegnungen alles auf dem Reißbrett planen möchte, wählt seinen „Elite-Partner“
wohl auch in einer Internet-Plattform und ist dann vielleicht stinksauer, wenn
sich die adelige Prinzessin schließlich als rumänisches Callcenter entpuppt…
Aber wir wollen ja niemand den Spaß verderben.
Was mich viel mehr beschäftigt: Wie überprüft man denn als Veranstalter die „Pisten- und
Tanzkultur“ nebst den restlichen erwünschten Eigenschaften aus der Ferne? Wenn
man die Bewerber persönlich kennt, ist das natürlich einfach – aber man will
doch auch neue Gäste anlocken!
Nach schwierigen Recherchen gelang es mir
nun, an einen Fragebogen zu kommen,
der in den Kreisen des kasernierten
Tangos offenbar öfters verwendet wird. Da ich meine Quellen aus
verständlichen Gründen schützen muss, kann ich nur verraten, dass er von einer
(seffaständlich) anonymen Gruppe verfasst wurde, der „Salon-Tango argentino-Sicherheits-Initiative“ (STASI). Noch
sensationeller: Mir wurde sogar das Lösungsschema
zugespielt!
Hier
nun die Fragen inklusive der Beurteilungs-Hinweise:
Wie lange tanzen Sie
schon Tango?
·
weniger als ein Jahr
·
zwischen einem und
drei Jahren
·
mehr als drei Jahre
·
länger als zehn Jahre
Die
STASI empfiehlt die Bevorzugung einer Tanzdauer von einem bis drei Jahren. Bei
erfahreneren Teilnehmern steigt das Risiko, dass ihnen das schleppende
Herumgeschleiche nicht mehr ausreicht und sie daher zur Extravaganz neigen.
Zählen Sie drei
Lehrer auf, bei denen Sie Tangounterricht hatten!
Es
muss zumindest ein spanisch klingender Name dabei sein. Lehrende aus München
und Berlin zählen nicht!
Warum haben Sie sich
gerade für unseren Event angemeldet?
Erwartet
wird hier eine hemmungslose Lobhudelei. Auskünfte wie „wegen der niedrigen Preise“, „Ich
wohne in der Nähe“ oder „weil ich da
Y nicht treffe“ führen zur Abwertung.
Haben Sie schon
andere Encuentros besucht? Wenn ja, welche?
Letztlich
kommt es hier nur auf die Zahl der Nennungen an. Die Qualität der Konkurrenz
können Sie vielleicht gar nicht beurteilen – in diesem Bereich wird ja heute
viel Mist angeboten. Eine lange Liste zeugt aber von noch weitgehend intaktem
Gedächtnis und macht es daher wahrscheinlich, dass der Gast den
Veranstaltungsort findet und das Geld rechtzeitig überweist.
Geben Sie Geschlecht
und Alter an! Kommen Sie als Paar oder Single?
Bevorzugen
Sie unbedingt Paare ab 50 Jahren – bei Jüngeren ist die Gefahr groß, dass sie
wegen Verliebtheit zu oft miteinander tanzen. Single-Herren haben jedoch eine
noch höhere Priorität, deren Alter ist unerheblich. Alleinige Frauen kommen auf
die Warteliste, falls sie unter 50 sind. Bei Älteren gilt: „Get away, you stupid bitch!“
Fragen
zur Tanztechnik sind ebenfalls beliebt, beispielsweise:
Was ist ein Gancho?
·
ein schwingender Beinhaken
·
ein argentinischer Viehhirt
·
verboten
Natürlich
ist ausschließlich Antwort Nummer 3 richtig!
Was versteht man unter
„Ronda“?
·
eine unabänderliche
Tatsache
·
eine Lokalrunde
·
eine Rundfahrt durch
Buenos Aires
Hier
führt nur Antwort 1 zu einer Wertung, ebenso bei der Frage:
Wer führt beim Tango?
·
der Mann
·
die Frau
·
divers
Auch
musikalische Grundkenntnisse sind unerlässlich:
Tanzbare Musik ist
·
von gleichförmigem
Tempo
·
von Piazzolla
·
vom DJ
Hier
kann man neben Antwort 1 auch Nummer 3 werten.
Wie groß ist Ihre
durchschnittliche Schrittlänge?
·
50 cm
·
25 cm
·
12,5 cm
Schätzen Sie Ihre
Durchschnittgeschwindigkeit in Tanzrichtung ein!
·
5 km/h
·
2,5 km/h
·
0,25 km/h
https://www.youtube.com/watch?v=WiwBeGWMQWI
Wie
man sehr schön beobachten kann, bewegen sich die Tanzenden pro Schritt mit etwa
einer halben Fußlänge, also zirka 12,5
cm fort. Die übliche menschliche Schrittlänge liegt zwischen 63 und 73 cm.
Zur
Durchschnittsgeschwindigkeit in
Tanzrichtung habe ich beim ersten Musikstück vier Paare registriert:
·
Paar
1: Herr mit grauer Hose, Entenpo und schwarzem Hemd: 2,5 m in 31 s, also 0,29
km/h
·
Paar
2: Herr mit weißer Hose und rosa Hemd: 2,5 m in 34 s, somit 0,26 km/h
·
Paar
3: Dame mit weißem Kleid: 3,0 m in 41 s, damit 0,26 km/h
·
Paar
4: Herr mit blauer Jeans und schwarzem T-Shirt: 3,5 m in 62 s, d.h. 0,20 km/h.
Daraus
ergibt sich eine Durchschnittsgeschwindigkeit
von 0,25 km/h.
Die
normale menschliche
Schrittgeschwindigkeit wird in der Literatur mit 3,6 km/h angegeben. Man sieht
dies sehr schön an einem Münchner Tangolehrer, welcher sich (verbotenerweise)
am Rand des Parketts an den Tanzenden vorbeidrängt.
Ich
hoffe, der Fragebogen hilft den Bewerbern um die heiß begehrten Encuentro-Plätze
– und ebenso den anderen, welche nun ganz genau wissen, warum sie nicht
hinwollen!
Quellen:
siehe letzter Artikel und
P.S.
Beim Klett-Verlag sind nun mehrere Bände zu den Encuentros erschienen:
https://www.amazon.de/Encuentros-Fremdsprache-Cuaderno-ejercicios-Audio-Materialien/dp/3065203367
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