Was ein DJ wirklich braucht
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
(Goethe: Faust)und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Kürzlich geriet ich an einen Text der langjährigen DJane und Tangoautorin Veronica von Heise-Rotenburg („La
Potranca“) – immerhin eine aus der Zeit, als man es noch nicht unanständig
fand, gelegentlich mal einige Runden mit modernem Tango aufzulegen. Daher ist
ihr Ratgeber durchaus lesenswert:
Dennoch
nimmt auch bei ihr eine Thematik viel Raum ein, mit welcher sich die Kollegen in
höchster Intensität beschäftigen: die Wiedergabetechnik.
Natürlich müsse man die vorhandenen CDs rippen und sich in hunderten von
Stunden eine bestens verwaltbare Datenbank
aufbauen.
Ich
geb‘s gerne zu: Von alledem verstehe ich kaum etwas. Für mich stellen aber CDs immer noch eine exzellente
Möglichkeit dar, Musik zu speichern und wiederzugeben. Mein Player von Bose (Wave-System) hat damals zirka 500
€ gekostet (aktuell wohl 700), und ich habe noch nie bereut, mir das Teil
angeschafft zu haben. Da schiebe ich schlicht einen Silberling hinein und wähle
per Fernbedienung im Scheckkartenformat einen Titel an – und der ganze
Computer-Käse kostet mich null Arbeitszeit. Räume bis zu gut 150 Quadratmetern lassen sich so locker beschallen – und mich quält
nicht der Albtraum, mein Laptop ließe sich nicht an die hauseigene Anlage
anschließen – oder meine Dateien verschwänden plötzlich im digitalen Nirwana.
Natürlich
kann man darüber in längelange Debatten verfallen – nur: Wozu eigentlich? Auf den gut 3000 Milongas, die ich bisher besucht
habe, fiel mir in höchstens 5 Prozent der Fälle eine unzureichende Wiedergabe auf. Und das waren meist sehr simple Dinge
wie eine nicht gleichbleibende Lautstärke oder ein unausgewogenes
Frequenzspektrum (oft zu starke Höhen). Auch hier räume ich gern ein, dass
mein Hörvermögen altersbedingt
gelitten hat. Aber damit dürfte ich im üblichen Altersquerschnitt des Tango
nicht allein sein. Und ein Hörgerät kaufe ich mir erst, wenn das übliche
Gedudel auf den Milongas nachlassen sollte!
Für
mich hat das technische Gedöns,
welches bezeichnenderweise gerade von den männlichen DJs kommt, den Duktus von
Modelleisenbahn-Freaks. Um ein gutes Musikprogramm geht es da nicht primär. Wie unter Experimentalphysikern gilt der Satz: „The difference between scientists and little boys is the value of
their toys.” Was
dem einen sein Teilchenbeschleuniger, ist dem anderen seine Musikanlage.
Die
andere Monstranz, welche gerade traditionelle Aufleger gerne vor sich her
tragen, ist die „Lavocah-Hürde“ –
sprich die Vertrautheit mit dem Schaffen der großen Orchester der Goldenen Epoche des Tango, insbesondere also
der vier Milonga-Säulenheiligen D’Arienzo,
Di Sarli, Troilo und Pugliese. Irgendwie
weht mich da der Geist von Lokomotivsammlern für die H0-Spur an – allein der „Märklin Insiderclub“ hat 90000
Mitglieder… Bescheidwisser vom Tangoformat wird es dort ebenfalls geben.
Doch
auch wenn man alles über Spielzeugloks oder Orchestersänger weiß, kann man noch
lange keinen ICE steuern oder für einen Abend anregende Tanzmusik liefern. Stellen
wir es einmal vom Kopf auf die Füße:
Wenn jemand an eine Troilo-CD gerät und ihm einige Stücke so gefallen, dass er
sie auflegt, ist es völlig egal, ob
er oder sie zusätzlich weiß, dass jener Herr der vielleicht weltbeste Bandoneónspieler
war oder mit Vornamen Aníbal hieß (auch noch mit Akzent auf dem „i“). Man hat
die Gäste eine Viertelstunde zum Tanzen animiert, das reicht!
In
dem Fall wird man sich wohl weitere Musik dieses Interpreten besorgen und bei
der Suche auch andere Musikgruppen entdecken. So entsteht allmählich eine
Sammlung, die vor allem eines ist: individuell.
So haben Tango-DJs vor zehn und mehr Jahren ihr Handwerk gelernt. Heute sammelt
man nach „Märklin-Katalog“. Warum sich anstrengen? Steht ja eh in den
Lavocah-Büchern und auf vielen Seiten des Internets, welche Musik
empfehlenswert (oder gar „erlaubt“) sei. Ein Beispiel von vielen:
Auch
die eingangs zitierte DJane zeigt – neben einem noch liberalen Ansatz – bereits
Symptome einer Tendenz, sich horrendem Blödsinn zu fügen:
„Niemals dürfen
aufgelegt werden Adios Muchachos (bringt Unglück, sagt man), ein Stück mit
Carlos Gardel als Sänger, da seine Tangos als canciones – Zuhörstücke – gedacht waren und Tanzen darauf mangelnden
Respekt für den König des Tangos vermuten ließe, und La Cumparsita in der Mitte
des Abends – sonst packen die Leute zusammen.“
Na
prima, Di Sarli brachte angeblich auch Unglück, ohne dass es heute noch jemanden
stört – und was die „Cumparsita“ betrifft: Idioten, die anderthalb Stunden nach
Beginn gehen, weil sie denken, dies sei das Schlussstück, möchte ich eigentlich
nicht auf meinen Milongas haben… Und zu Gardel sag ich nichts mehr, ich leg ihn lieber auf.
Was macht aus meiner
Sicht einen guten DJ aus?
Die
harte Wahrheit ist für mich, dass man vieles gar nicht lernen kann: Musikalität, tänzerisches Gefühl und vor allem die
Sensibilität, genau zu beobachten und nicht nur im Dauerbetrieb zu senden wie
die Musikanlage. Gutes Auflegen ist eine spezielle künstlerische Begabung – die Mär vom reinen „Dienstleister“
ist eine.
Eine
riesige Sammlung von Tangomusik
dagegen ist zwar schön, aber nicht unbedingt Voraussetzung: Es gibt DJs, die
aus einem Dutzend CDs einen berauschenden Tangoabend zaubern und andere, welche
aus tausenden von Titeln ein sterbenslangweiliges Programm zusammenstellen.
Er
(oder sie) muss gut tanzen können
(und es während seines Auflegens auch tun). Schließlich beschallt man keinen
Friseursalon oder ein Autobahnklo, sondern eine Tanzveranstaltung – man ist
also Teil eines sozialen Miteinanders. Wer da stundenlang wie ein Hackstock
hinter seiner Anlage sitzt, gibt ein lausiges Vorbild ab. Und schon lange habe
ich den Verdacht, dass die jeweilige Musikauswahl in etwa von der Obergrenze der tänzerischen
Fähigkeiten des betreffenden DJs limitiert ist.
Und
er muss zwar nicht „authentisch argentinisch“ (oder neuseeländisch oder was
auch immer) sein, aber authentisch:
Der Reiz von Milongas besteht für mich ganz wesentlich weder im Tanzschuhverkauf
noch im exklusiven Ambiente, sondern in der Eigenart eines DJs, der hoffentlich
nicht alles spielt, was die anderen auch auflegen, sondern seine ganz individuelle Musikauswahl – nicht die
üblichen Liedlein aus dem „Tangokatechismus“. Auch das katholische „Gotteslob“
enthält zirka 500 Stücke. Das kann kein Zufall sein.
Nein: Ein DJ muss Herausforderungen bereithalten – und nicht nur das spielen, was die Leute eh schon können (oder es zumindest glauben). Nur so entwickeln sie sich weiter.
Selbstredend sollte er dabei offen für Kritik sein. „La Potranca“ schreibt dazu völlig
zutreffend:
„Feedback macht erst
richtig gut – auch wenn es Mut braucht, es einzufordern. 1-2 Leute pro Milonga
fragen, insbesondere gute Tänzer, und solche mit abweichendem Musikgeschmack.
Was hat gefallen, was nicht? Gibt es konkrete Änderungsvorschläge? Gutes
Feedback führt dazu, dass sich mehr und mehr Tänzer mit verschiedenen Wünschen
in deiner Milonga wiederfinden – und wohlfühlen.“
Es
bleibt jedoch ihm überlassen, welche musikalischen
Schwerpunkte er setzt – er sollte sie nur deutlich kommunizieren. Druck darf er hierbei nicht nachgeben. Man
muss nicht überall auflegen: Eine Kuh auf einer Galopprennbahn wird nicht
glücklich, schreibt
sinngemäß François Lelord in
seinem Roman „Hector und die Entdeckung der Zeit“. Viele Kühe erst recht nicht.
Ob ein DJ die sonstigen Regularien (Tandas,
Cortinas, Verteilung von Tangos, Valses und Milongas) einhält oder nicht, halte
ich für wenig bedeutsam. Es kann fast alles funktionieren. Wichtiger ist mir: Es muss nach seiner ehrlichen
Überzeugung geschehen. Das behaupten zwar alle, ich bezweifle das aber. Wer
wagt es schon, auf das übliche Cortina-Gedudel zu verzichten, wenn ihm dann
Gigs verloren gingen?
All diese Fähigkeiten können nur in vielen Jahren reifen.
Es amüsiert mich immer wieder, was man glaubt, im Tango an einem Wochenende
oder gar in einem 90 Minuten-Workshop lernen zu können. Vor langer Zeit waren
das Colgadas und Volcadas, dann Mirada und Cabeceo, schließlich DJing per Schnellbleiche. All das ist glücklicherweise wieder in der Versenkung verschwunden –
und dies wird auch den momentan grassierenden „Musikalitäts-Workshops“
beschieden sein. „Lerne in anderthalb Stunden zu D'Arienzo zu tanzen" ist Realsatire.
Daher möchte ich das Schlusswort La Potranca überlassen:
„Obiges ist eine
Zusammenfassung meiner Erfahrungen, und kein Lehrbuch – daran halten muss man
sich also nicht. Es gibt keine best practice für DJing, andere Regeln
funktionieren ebenso. (…) DJing hat auch viel mit Selbstvertrauen zu tun: Was
immer aufgelegt wird, positives sowie negatives Feedback sind so gut wie
sicher. Also: Nicht depressiv werden, sondern weitermachen – und nicht immer
auf die hören, die am lautesten schreien. Mein letzter Ratschlag ist:
Wenn du
auflegst, sei du selbst: eine einzigartige Person mit einem einzigartigen Stil!
Tu, was du magst, und was deine Tänzer mögen – und hab Spaß daran!“
Das resultierende „Mumien-Schaukeln“ kann man nachfolgend beobachten.
Aufgabe: Die gezeigten vier Tänze unterscheiden sich in ebenso vielen unwesentlichen Einzelheiten. Finde sie heraus!
Auflösung: Beim ersten Tanz sieht man die Tür mit dem Feuerlöscher, die kleine weiße Tür und ein Fenster. Tanz Nummer 2 zeigt nur erstere Tür, Tanz 3 alle drei Türen und das Fenster. Beim letzten Tanz sind diese wieder zu sehen, allerdings ist nun draußen Nacht.
Zitat aus Ihrem Beitrag: "Das resultierende „Mumien-Schaukeln“ kann man nachfolgend beobachten. Aufgabe: Die gezeigten vier Tänze unterscheiden sich in ebenso vielen unwesentlichen Einzelheiten. Finde sie heraus!" Ich finde das beleidigt viele TänzerInnen. Warum "hacken" Sie immer an DJs, TänzerInnen, anders Denkende herum? Etwas Satire kann ja recht lustig ankommen, aber ich finde Ihre geht ein bisschen zu weit. Gott sei Dank gibt es die Freiheit die verschiedensten Veranstaltungen mit den verschiedensten DJs zu besuchen. Sie machen sich lustig über die Tanzenden in diesen zwei Videos in Ihrem Blogg-Beitrag, haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie andere Ihren Tanzstil finden ?? Trotzdem viel Spaß für Ihre Wohnzimmermilonga, es grüßt Sie - Christine
AntwortenLöschenLiebe Christine,
Löschenwie andere meinen Tanzstil finden, darüber brauche ich nicht nachzudenken. Ich habe dazu ja mehrere Videos ins Netz gestellt, welche anonyme Kritiker öfters als furchtbar klassifizierten. Andererseits gibt es eine Menge mir sehr wohl bekannter Frauen, die meine Tanzerei immerhin so hinreichend finden, dass sie sich offenbar gern von mir auffordern lassen, ja es im Zweifel sogar selber tun.
Warum traut man sich nicht, zu negativen Anmerkungen mit seinem vollen Namen zu stehen? Auch Sie beschränken sich ja lieber auf den Vornamen.
Sie stören sich an der Schlusspointe eines längeren Textes, na gut. Weiter führen würde es allerdings, sich auch mit den drei Seiten Argumentation davor zu beschäftigen. Dann erschlösse sich vielleicht, dass es nicht primär die Schuld von Tanzenden ist, wenn sie mit gleichförmigem Geplürre in die choreografische Agonie befördert werden. Es geht in meinem Artikel (siehe Titel) um DJs. Und die von Ihnen gepriesene „Wahlfreiheit“ zwischen verschiedenen Veranstaltungen nützt wenig, wenn vielerorts die gleichen Playlists aus dem Internet heruntergenudelt werden.
Da bitte ich Täter und Opfer nicht zu verwechseln. Und wenn ich dagegen anschreibe, dann weder, um Leser zu belustigen noch mich über meine Altersgenossen lustig zu machen. Einem weit verbreiteten Vorurteil zum Trotz ist Satire keine Comedy, mittels der man sich auf die Schenkel klopfen kann – sondern eine bittere Pille, welche man mit etwas Zuckerguss versieht, damit sie besser geschluckt wird.
Ich habe Ihren Beitrag trotz der fehlenden Identifizierung ausnahmsweise stehen lassen, da ich mir denken kann, dass etliche Leser denken wie Sie. Weitere Kommentare von Ihnen nehme ich gerne an, jedoch dann bitte mit vollem Namen.
Und danke, den Spaß mit unserer Milonga werden wir sicher haben. Sie können sich gern einmal anmelden und sich überzeugen.
Mit besten Grüßen
Gerhard Riedl