Der große Führer muss abspecken
Dieser
Diätvorschlag zu meinem Tangobuch stammt von Edgar Franzmann, welcher seit Mitte Februar dieses Jahres ein
Tangoblog namens „Abrazos“ betreibt.
Der in Köln lebende Journalist und Krimiautor tanzt seit 2006 Tango und war
schon zweimal in Buenos Aires. Zur neuen Tätigkeit motivierte ihn nach eigenen
Angaben vor allem „mYlonga“, das
Blog von Thomas Kröter. Das wollen
wir nicht von vornherein negativ anrechnen – weder ihm noch Thomas.
Nun
hat er sein schon lange bestehendes Vorhaben verwirklicht, eine Rezension über den „Milonga-Führer“ zu schreiben. Mangelnden Fleiß kann man ihm nicht
vorwerfen: Er besitzt alle drei Ausgaben und hat sie wohl auch gelesen. Eine
„Umarmung“ stellt seine Bewertung nicht direkt dar, aber das wäre ja bei solchen Verheißungen in der Tangoszene nichts Neues.
Wie
ich von mir selber weiß, verklären
sich bei älteren Menschen die Erinnerungen:
Die Erstausgabe von 2010 kam bei ihm
noch relativ gut an: Er habe das Werk „mit
einigem Vergnügen“ gelesen, fand darin „interessante
Informationen über den Tanz, die Musik, die Szene und ihre Haupt-und
Nebendarsteller“. Allerdings amüsierte ihn schon damals meine „sehr ausführliche Selbstdarstellung“
und „sehr eigensinnige Sicht“, welche „sehr
persönlich eingetrübt“ sei. Aber man müsse „ja nicht alles glauben, was man liest“.
Volltreffer,
Edgar! Ich schreibe mindestens auf jeder zweiten Seite, dass ich keinen
Katechismus, sondern ein höchst persönliches Buch zum Tango verfasst habe. Und
auf deinem Blog gibt es schon jetzt eine hübsche Fotosammlung des Autors, sogar
ein Singe-Video… aber nein, das ist „Chronistenpflicht“, keine
Selbstdarstellung – und des Kritikers Motto „show, don't tell" wird vorbildlich umgesetzt!
Die
Lektüre der neuesten Auflage (von
2016) fand er nunmehr „weniger amüsant,
ja sogar ärgerlich.“ Bedauerlicherweise spielte ich nun „den Ober-Lehrer, der alles noch besser weiß.“
Nun, so ganz ohne Noten kommt der Beurteiler auch nicht aus – so belehrt er
uns über die Bewertungs-Formulierungen, die jeder kenne, „der mal in der freien Wirtschaft Zeugnisse erstellt hat“. Und zum
Schluss kriege ich als Gesamtnote drei
Sterne – mit der Hoffnung auf fünf, falls ich das Buch auf die Hälfte verkürzte
und zum halben Preis anböte. Und: Darf man den „Oberlehrer-Reflex", den ich in fast jeder negativen Kritik finde, ein dämliches Klischee nennen?
Aber
ich kenne das schon vom Kröter: Journalisten
finden bei mir immer alles zu lang. Was ich weglassen soll, hat mir Edgar
Franzmann auch schon angeraten: „Weniger
‚Satire‘, und wenn schon, dann weniger Satire-Belehrungen und Ausrufezeichen.
Witze, die man erklären muss, sind keine.“
Ach
Edgar, da sachste was – wahrscheinlich hätte ich manche Jokes noch deutlicher explizieren
müssen. Tschuldigung, ich weiß ja: „Manches,
das Riedl für Satire hält, sind einfach dumme bis peinliche Witzchen.“ Allerdings stellt auch diese Einlassung ein gängiges Muster dar: Satire, die einem nicht passt, wird seit Heine und Tucholsky damit abgewertet, keine zu sein.
Damit
der Zusammenhang klar wird: Mein Rezensent verübelt mir, dass schon vorne auf
dem Buchdeckel steht, was drin ist – „ein
amüsant-satirischer Ratgeber”: „Findet der Autor das Buch so schlecht, dass er
vorne draufschreiben muss, wie amüsant und satirisch es ist?“
Das
dachte ich bei der Erstausgabe auch: Da stand schlicht „Sachbuch“ auf dem Deckel
(eine eigenmächtige Formulierung des Verlags). Anschließend kriegte ich von meinen Kritikern die Hucke voll: Das sei eine Täuschung, da mein Buch alles
andere als sachlich sei. Ein Quartalspolterer unter den Tangolehrern wollte sogar
den Kaufpreis zurück, da er sich „betrogen“
fühlte. Also schrieben wir bei der nächsten Ausgabe „Satire“ schon auf den Einband – und nun ist’s wieder nicht recht…
Na
gut, und die Einleitung war ihm zu
lang und zu frech – sei’s drum. Ich fand es spannend, wie man ein Buch gegen
alle Shitstorms zum Erfolg führen kann, informativ vielleicht auch für andere
vom Cybermobbing Betroffene. So ganz unaktuell ist das Thema ja nicht. Allerdings ist es eine grobe Übertreibung, zu behaupten, ich keifte „im selben beleidigten oder verletzenden Troll-Ton zurück". Dieses Niveau ist mir leider nicht zugänglich.
Gerne
arbeitet sich der Rezensent an Randthemen
ab: Warum ich mit meinem ersten Verlag nicht zufrieden war? Nun, der Blick des
geübten Kritikers hätte da schon auf Satz, Layout und Umschlaggestaltung fallen können. Zudem wäre es ja möglich, über den (inzwischen pleite gegangenen) Wagner Verlag im Internet
einiges zu finden – so die Klagen von Autoren, die sich abgezockt fühlen. Aber
für manche Journalisten sind halt „Recherchen“ nur kleine Gartengeräte…
Über
weite Strecken des Buches (etwa zu
Tanztechnik, musikalischem Tanzen oder soziologischen Fragen) fällt dagegen kaum ein
Wort. Vielleicht sind diese Kapitel – trotz grauer Unterlegungen und
sonstiger Hinweise – für „dumme Leser“
doch zu hoch?
Andruck, Ausdruck, Schwarzweißdruck |
Noch
ein Tipp an den hauptberuflichen Journalisten: Ein bissel mehr Sorgfalt beim Zitieren käme professioneller rüber.
Nicht „Rio de la Plattitüde“, sondern
„…Platitüda“, gell? Sonst funktioniert nämlich der Gag nicht, und man müsste es wieder erklären. Und nicht erst
ein Besuch in Buenos Aires berechtigt zur Kritik – insbesondere, wenn weitgehend gar nicht
„die Stadt und die Maestros“ gemeint
sind, sondern der Reklamerummel, der bei uns damit gemacht wird!
Insgesamt
gefällt dem Kritiker die Neufassung
schlechter als die erste Version des Buches. Etwas unlogisch vermutet er
aber, dass ich inzwischen dazugelernt und gemerkt hätte, „dass die Tango-Szene nicht so einfältig ist, wie er sie karikiert hat“.
Tja, wie denn nun? Möglicherweise wird andersrum ein Schuh daraus: Vielleicht
war ja mein Leser 2010 noch lockerer drauf und ist jetzt durch Tradi-Tango und
Buenos Aires-Besuche ein bissel verknöchert? Wer sich zurück zu den Wurzeln begeben sollte, bleibt daher offen.
Immerhin,
so findet Hadschi Edgar gegen Ende, sei nicht alles schlecht an dem „großen
Führer“ (obwohl ich nicht mal die Autobahnen gebaut habe): „Sein kritischer Blick auf manche Erscheinungen der Tango-Szene ist
völlig berechtigt.“ Na, da dank ich
auch schön!
Muss
der Milonga-Führer nun also „abspecken“?
Da finde ich in einem anderen Artikel des Bloggers doch Trost. Unter dem Titel „Nicht jeder ist Valentino“ schildert
er eine tränentreibende Workshop-Erfahrung, als er unter Anleitung eines wohl
argentinischen Lehrerpaars Sprünge erlernen wollte – was leider mit einer
Bruchlandung endete.
Nicht
böse sein, lieber Edgar – auch wenn ich „permanent
gegen das gute Schreiben“ verstoße – den Schlussgag hast du dir selber redlich
herbeigepredigt:
Auch wenn man große
Sprünge machen möchte, kann Abspecken nicht schaden!
Hier
der Originaltext:
http://abrazos.de/der-grosse-fuehrer-muss-abspecken-20180402/
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