Erfahrung statt Information


„Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information.“ (Albert Einstein)

Wie dringend braucht man Tangokurse?

Es gibt eine Tangobekannte, deren (noch nicht sehr langen) Werdegang ich wohl ziemlich von Beginn an verfolgte. Nach meinem Eindruck tat sie sich anfangs ziemlich schwer. Das hat sich gründlich geändert. Nicht nur, dass sie inzwischen auch die führende Rolle gut beherrscht (und dadurch die meiste Zeit tanzt anstatt herumzusitzen): Als ich sie kürzlich wieder einmal aufforderte, stockte mir schier der Atem ob ihrer Fähigkeiten – Tänzerinnen von dieser Qualität kenne ich nicht viele.

Obwohl es mir widerstrebt, Frauen „auszufragen“, konnte ich mir doch die eine Erkundigung nicht verkneifen: „Nimmst du in der letzten Zeit Unterricht, vielleicht Privatstunden?“ Ihre lächelnde Antwort: Nein, gar nicht, sie gehe einfach viel tanzen.

Dies gilt übrigens für eine ganze Liste meiner Tanzpartnerinnen, die für meine Begriffe in der „Champions League“ des Tango spielen: Die meisten hatten wohl irgendwann mal Unterricht, das ist jedoch eher länger her – ihre herausragenden Fähigkeiten aber verdanken sie vorwiegend ihrer Tanzpraxis auf den Milongas. Und vielleicht der Tatsache, dass Tango in ihrem Leben halt eine wichtige Rolle spielt.

Wenn ich Derartiges anklingen lasse wie im vorhergehenden Artikel, begegne ich immer wieder Skepsis – so wie bei einer Kommentatorin auf Facebook:    

„Wie bei jeder Kunst sollte man doch die wichtigsten Techniken und die Hilfsmittel halbwegs beherrschen, um dann den künstlerischen Ausdruck zu entfalten. Sei es beim Erlernen eines Musikinstrumentes, bei der Malerei, der Bildhauerei oder auch beim Tanz.

Das brachte mich auf die Frage: Wie sieht das bei Künstlern, speziell im Tango, wirklich aus? Spielte da die reguläre Ausbildung stets eine Rolle oder gab es Autodidakten, welche diese nicht hatten oder brauchten?

Die Recherche im Internet gestaltete sich ziemlich mühsam – vielleicht auch deshalb, weil die Tatsache, dass man eine herausragende Fähigkeit selber entwickelt hat, nicht unbedingt gut für’s Geschäft ist.

Das fast allwissende „Wikipedia“ stellt aber zum Stichwort fest:

„In Berufsfeldern, bei denen der Besuch eines Fachinstitutes weder die Regel noch zwingend vorgeschrieben ist, wie z. B. (…) Künstler, wie Popmusiker, Rock-Gitarristen, Maler, Journalisten, Schauspieler oder Autoren belletristischer Literatur (…), spricht man nicht von Autodidakten.“

Vereinfacht gesagt: Da ist eine reguläre Ausbildung eher die Ausnahme.

Nach einer anderen Aufstellung waren folgende bildende Künstler reine Autodidakten:

Paul Cezanne (1829-1906)
Vincent van Gogh (1853-1890)
Nicki de Saint-Phalle (1930-2002)
Carl Spitzweg (1808-1885)
William Turner (1775-1851)
Andy Warhol (1928-1987)

Ohne Studium zu Weltgeltung brachten es in Naturwissenschaft und Technik beispielsweise:

Joseph Fraunhofer (Physiker, 1787-1826)
Michael Faraday (Chemiker, 1791-1867)
Carl Zeiß (Mechaniker, 1816-1888)
Thomas Alva Edison (Erfinder, 1847-1931)
Felix Wankel (Motorbauer, 1902-1988)
Ferdinand Porsche (Automobilkonstrukteur, 1875-1951)
Manfred von Ardenne (Erfinder des Rasterelektronenmikroskops, 1907-1997)
Steve Jobs (Vorstand von Apple, 1955-2011)

Zumindest Komposition haben zum Beispiel nie gelernt:

Antonín Dvořák (1841-1904)
Mauricio Kagel (1931-2008)
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Paul McCartney (geb. 1942)

Die Beatles-Ikone brachte sich wohl auch das Gitarrenspiel selber bei – ob McCartney Noten lesen konnte oder kann, ist umstritten.

Wie sieht das nun beim Tango aus? In den ersten Jahrzehnten seiner Entwicklung waren Musiker mit einer richtigen Ausbildung (oder gar einem Studium) eine rare Ausnahme – die meisten konnten nicht mal Noten lesen. Der argentinische Tangohistoriker Ricardo García Blaya schreibt dazu:

"Tango war in Mode. So wie Jahrzehnte später junge Leute auf der Gitarre Rockmusik machten, brachten sie sich damals Klavier und Bandoneon bei, um Tango zu spielen ..."

Und vom Komponisten José Martinez (1890-1932) gibt es das Zitat: "Ich habe niemals Musikunterricht gehabt. Freunde aus meinem Viertel spielten Klavier, und ich schaute es mir von ihnen ab."

Als reine Autodidakten gelten auch der Komponist und Bandoneónvirtuose Eduardo Arolas (1892-1924) sowie der Geiger, Komponist und Tangoorchester-Gigant Francisco Canaro (1888-1964). Da er als Jugendlicher kein Geld für eine Violine hatte, baute er sich aus einer Öldose plus hölzernem Griffbrett einen Ersatz. (Wenn ich mir manche Aufnahmen von ihm anhöre, beschleicht mich allerdings der Verdacht, er könnte bei diesem Instrument geblieben sein…)

Im Alter von acht Jahren begann der bekannte Orchesterleiter Juan José Mosalini (geb. 1943) auf eigene Faust mit dem Bandoneónspiel – ebenso wie Jürgen Karthe, den ich als den besten deutschen Interpreten dieses Fachs ansehe: 1994 startete er eigenständig seine Karriere auf diesem Instrument. Entsprechendes Lehrpersonal war damals hierzulande wohl  kaum vorhanden!
https://www.fermate.cc/juergen-karthe/

Und Tangolegende Carlos Gardel dürfte wohl zumindest Gitarrenspiel und Komposition ohne fremde Hilfe erlernt haben.

Was mich besonders amüsiert: In derzeit ja schwer angesagten „Musik-Workshops“ lernen Tanzschüler heute von professionellen Lehrern, sich zur Musik von Orchestern zu bewegen, welche wohl von Autodidakten dominiert waren! So ändern sich die Zeiten…

Und die Tangotänzer? Diesen Tanz lernte man bis vor etwa 50 Jahren von Seinesgleichen (in beiden Rollen) in der Familie, in Practicas (wo vorwiegend die Männer unter sich übten) – und vor allem durch die „Feuertaufe“ auf den Milongas. Vielleicht gelang es jemand, von einem „Maestro“ als Privatschüler akzeptiert zu werden. Da musste man dann aber schon einiges können… „Tango-Schulen“ entwickelten sich erst ab den 1970-er Jahren, um die Nachfrage durch Touristen zu befriedigen – und da es folglich Kohle brachte! Bekanntlich wurde für die „Gringos“ damals ja auch der „Grundschritt“ erfunden.

Vielleicht etabliert sich ja entsprechend den „traditionellen Milongas“ auch mal ein „traditioneller Tangounterricht“ – den würde ich als Blogger sofort mit Lobeshymnen begleiten! Stattdessen fahnde ich oft vergeblich nach einem sichtbaren Effekt des teilweise berühmten Lehrpersonals. „Siehst du eine Auswirkung seines Unterrichts?“, fragte ich einmal einen Bekannten hinsichtlich eines Tangolehrers. Dessen Antwort: „Ja, er hat jetzt ein neues Auto.“ Also wahrlich ein Auto-Didakt!

Vereinzelt gibt es auch heute noch Tänzer/innen, die sich selber um ihre individuelle Entwicklung kümmern. In der „Tangodanza“ Nr. 4/2006 findet sich ein Interview mit Eduardo Cappussi und Mariana Flores:  

„Frage: Es heißt, du seist Autodidakt. (…)
Eduardo Cappussi: Ich übte weiter und weiter im Tanzen, und mit Autodidakt ist wohl gemeint, dass ich meinen eigenen Weg gesucht habe. Ich ging vom Kurs direkt in die Milonga. Nicht etwa nach Hause, um etwas anderes zu machen. Mein ganzes Leben bestand aus Tango. (…)
Mariana Flores: Heute ist das verloren gegangen. Es gibt Prácticas, aber die sind modischer, man zeigt dort mehr, was man schon kann, scheint mir. Dieser Geist von damals, als sie zusammenkamen, einander zusahen, sich gegenseitig austauschten, (…) das gibt es nicht mehr.“

Übrigens hat auch Mariana Tango nur im Nebenfach studiert. In erster Linie ist sie ausgebildete Schauspielerin:

„Theater und Tanz sind eins für mich. Bei beiden geht es darum, den Impuls zutage zu fördern. Er ist das Ureigene, was jeder hat. Wenn man nicht aus dieser Motivation heraus tanzt, macht Tanzen keinen Sinn. Es macht keinen Sinn, wie jemand anderer zu tanzen, ihn zu kopieren.“

Wer die beiden noch nicht kennt, hat hier eine Chance. Und ja – mir ist schon klar: Das ist „Bühnentango“. Aber dem „Cappussi-Feeling“ verdanke ich wichtige Inspirationen bei der Entwicklung des eigenen Tanzstils. Neulich hat den ein Besteller meines Tangobuches als „eigenwillig“ bezeichnet. Wie schön!

Kommentare

  1. Lieber Gerhard,

    die unbestreitbare Tatsache, dass es Autodidakten gibt, heißt noch lange nicht, dass es jeder als Autodidakt weit bringen kann! Weitere wichtige Zutaten sind Talent, Ehrgeiz und Energie für viel viel viel Üben.

    Talent und/oder Ehrgeiz hat man oder eher auch nicht.

    Bleibt Üben: Dazu ist Unterricht ein guter Anlass, denn da übt man, was man noch nicht kann. Auf Milongas dagegen bleiben die Meisten doch in ihrer Komfortzone und tanzen, was sie eh schon beherrschen.

    Mir macht Unterricht Spaß und ich gehe gern auf sog. Übungsmilongas, bei denen es nicht verpönt ist zu tanzen, was noch nicht so klappt.

    Schönen Gruß -
    und Canaro ziehe ich Las Sombras doch kilometerweit vor ;-)

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    1. Die unbestreitbare Tatsache, dass es studierte Musiker gibt, heißt ebenso wenig, dass es jeder davon weit bringen kann. Damit kannst alles oder nichts beweisen.

      Und ja, Ehrgeiz und Energie sind unabdingbare Voraussetzungen. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese Eigenschaften bei Autodidakten häufiger vorkommen, da sie ja nicht von außen häppchenweise alles in den Mund geschoben kriegen.

      Theoretisch hast du mit dem Unterricht als Übungsmöglichkeit Recht. Aber ich kenne viele Kurse, wo man vor allem ein gesundes „Stehvermögen“ benötigt, um die ellenlangen Vorträge und Vorführungen des Tangolehrers zu überdauern. Aber du kannst gerne mal einen Gastbeitrag über deinen Lieblings-Tangopädagogen schreiben – drucke ich mit Vergnügen ab, falls du dich bis dahin entschieden hast, ob du deinen Vornamen mit einem „r“ oder zweien schreibst.

      Und deine Präferenz für Francisco Canaro in allen Ehren – mir drängt sich dazu allerdings ein Zitat von Karl Lagerfeld auf: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

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    2. Lieber Gerhard,

      ja, das zweite „r“ ist vor meiner Flüchtigkeit geflüchtet.

      Canaro oder Las Sombras ist halt Geschmackssache. Bei Deinem Lagerfeldzitat in Bezug auf Canaro verstehe ich allerdings die Pointe nicht. Und was das Geigenspiel betrifft: Canaros Geigenspiel hört man ja nur bei den Quinteto Pirincho Aufnahmen. Und da kenne ich im Tango viel schrecklicheres Gegeige! Aber auch das ist teilweise Geschmacksache.

      Übrigens: In welcher anderen Sportart (ich sehe Tango auch als Tanzsport) kann man sich Unterricht bei der Weltklasse leisten? Ich durfte schon Noelia Hurtado für einige Takte im Arm halten und erleben, wie sensibel sie auf kleinste Impulse reagiert. Wenn man bei Martin&Maurizio mal steht, ist das ob ihrer Witzig/Spritzigkeit höchst amüsant. Und auch die knöpfen sich Jede(n) einzeln vor. Im Sommer bin ich schon sehr gespannt auf Chicho Frúmboli. Ein cooler Typ! Und die sind alle nicht viel teurer als das Tangolehrerpaar von nebenan!

      Schon seltsam, dass jemand wie Du, der sein Berufsleben lang unterrichtet hat, Unterricht so geringschätzt. Wie kommt? Liegt es daran, das Tangoschüler freiwillig zum Unterricht kommen und dafür zahlen? (Was sie auf Dauer nur tun, wenn der Unterricht was bringt).

      Schöne Grüße

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    3. Lieber Harri Bold,

      ich wurde erst jüngst von einem hauptberuflichen Journalisten davor gewarnt, Pointen zu erklären. Also sorry.
      Und ich habe nicht behauptet, dass man es Canaros Geigenspiel in den Aufnahmen anhört. Nur, dass man es hört, dass er ein solches Instrument hat…

      Vielleicht kann man sich im Tango eher Unterricht bei der Weltklasse leisten als im Standard-Tanzsport, weil dort das tänzerische Niveau wesentlich höher ist? Auch darüber hab ich schon geschrieben.

      Aber ich will dir doch deine gar nicht so teuren Lehrer nicht ausreden. Wie ich im vorigen Artikel berichtet habe, hatte ich ja auch Tangounterricht – schlechten und guten. Irgendwann hatte ich das Gefühl, diese Art des Lehrens nicht mehr zu benötigen. Gelernt habe ich weiterhin, bis heute, halt auf meine Weise.

      Und mein Ziel ist nicht, eine Super-Tänzerin für ein paar Takte im Arm zu halten, sondern für ein paar Stücke. Und das gelingt mir öfters, ohne dafür zu bezahlen.

      Den Vergleich zwischen Gymnasial- und Tangolehrer finde ich abwegig. Nicht nur, dass man für die eine Tätigkeit ein Hochschulstudium und zwei Staatsexamina benötigt, während es im anderen Fall reicht, sich Flyer drucken zu lassen: Tango ist für mich ein Hobby, bei dem Kreativität und Improvisation im Vordergrund stehen. Dies wäre beim Aufstellen von Redoxgleichungen ein ungeeigneter Ansatz. Und trotz der hohen Anforderungen laufen in unserem Berufsstand noch genügend Nulpen herum.

      Meine Schüler kamen übrigens auch freiwillig und sogar, ohne dafür bezahlen zu müssen.

      Ich gestehe, dass ich mich im nächsten Leben nicht mehr darauf einlassen würde, den Schülern in getakteten 45 Minuten-Einheiten Wissen reinzustopfen. Für dieses Leben allerdings genieße ich den resultierenden, materiell sorgenfreien Lebensabend.

      Schöne Grüße
      Gerhard

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  2. Täusche ich mich oder klingelt da irgendwo das „früher war mehr Lametta“-Glöckchen? Oder schlimmer noch: die Argentophilie-Schelle? Natürlich gibt es Autodidaktinn/en auch im Tango. Ich kenne auch so eine, hat früher (reines „Auto“-Stadium) wunderbar getanzt, dann Kurse gemacht, da wurde es hakelig und formell. So weit, so Riedl bestätigend. Die ganze Wahrheit ist aber: Schon damals fand ich ihren Tanz zwar schön weil spontan, kleinere oder größere technische Probleme haben das Vergnügen aber doch ein bisschen eingeschränkt. Sie selbst wollte Kurse weil sie das Gefühl der Stagnation hatte. Und: nach einer Zeit der Kurse war das Formelle wieder weg und das Tanzvergnügen mit ihr noch größer als vorher. Fazit: „technic matters!“ Es gibt sicher Naturtalente, die sich rein durch abgucken und probieren viel Richtiges erarbeiten. Schön für sie. Normale Menschen wie ich freuen sich sehr über Tips von Leuten, die viel verstanden haben von Anatomie, Bewegungsmechanik, Körperarbeit jeder Art, Tango Basics eben… Und wenn ich das als Hobby betreibe und die anderen vom Tango leben, dann ist es nur fair wenn ich Ihnen Geld dafür gebe. Und das Ganze nennt man dann Unterricht oder Kurs.
    Noch etwas: zu behaupten, J.S. Bach hätte keinen Kompositionsunterricht gehabt sondern wäre Autodidakt gewesen, ist ein schlechter Witz. Bach ist quasi in Musik gebadet worden. Die Prinzipien von Melodieführung, Harmonisierung und Kontrapunkt hat der zu Frühstück- Mittag und Abendessen eingetrichtert bekommen, und zwar von Profis.
    Ansonsten: fröhliches Üben noch und beste Grüße
    Gregor Schlüter

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    1. Lieber Gregor Schlüter,

      ich habe nirgendwo gefordert, man müsse unbedingt Tango als Autodidakt erlernen. Ich wollte nur dem landläufigen Marketing widersprechen, jeder brauche nun unbedingt und dauerhaft Unterricht dazu.

      Die Professionalisierung ist im Tango nicht annähernd so weit entwickelt, wie man es uns gerne vormacht. Das beginnt schon damit, dass „Tanzlehrer“ oder gar „Tangolehrer“ hierzulande kein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf ist. Ausschließlich vom Tango leben kann in Deutschland schätzungsweise eine Zahl von Menschen im niedrigen zweistelligen Bereich – wenn überhaupt.

      Bei den Tanzlehrern, Veranstaltern, ja selbst Musikern der Branche dominieren die Amateure. Ich finde das gut so. Tango ist für mich eine Subkultur. „Früher war mehr Lametta?“ Das Argument hab ich ja nicht erfunden, im Gegenteil. Ich meine nur, wenn man denn schon Musik, Tanz und Spielregeln preist, die 80 Jahre und mehr zurückliegen, könnte man sich auch einmal mit der Historie der damaligen Musiker und Tangotänzer beschäftigen.

      Und unbesorgt: Da ich ja weiß, dass viele darauf lauern, dass ich mal einen Fehler mache, habe ich meinen Artikel schon ziemlich sorgfältig recherchiert, auch in Hinblick auf die Beispiele:

      „Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Bach bezeugt, dass Bach sich im Komponieren als Autodidakt betrachtete. Es gab keinen verbürgten Kompositionsunterricht. Die Unterweisung bei seinem Bruder in Ohrdruf „mag wohl einen Organisten zum Vorwurf gehabt haben u. weiter nichts“ (C. Ph. E. Bach 1775). Auch zu Bachs mehrmonatigem Aufenthalt bei Buxtehude gibt es keinerlei Belege, dass er bei dieser Gelegenheit Kompositionsunterricht erhalten hätte. Forkel überliefert die Aussage Bachs: ‚Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es ebenso weit bringen können.‘“
      Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Sebastian_Bach

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  3. Robert Wachinger11. April 2018 um 11:12

    Hi Gerhard,

    ich habe den Eindruck, dass auch bei dieser Diskussion wieder mal die Neigung zum "binären Denken" voll zuschlägt (d.h. es "gibt" NUR(!) die zwei extremen Gegensätze, der ganze Graubereich zwischendrin ist nicht existent ;-) )

    Mein "Gegenbeispiel" gegen die "Autodidakterei" ist Astor Piazzolla. Der hat u.a. Komposition studiert, und ist m.M.n. DER unübertroffene Tangomusiker und -komponist. ;-)

    Das Wesentliche mMn ist allerdings, dass man (je nach individueller Begabung) genügend Aufwand in eine Fertigkeit reinsteckt, diese tatsächlich zu praktizieren (und damit zu üben). Astor Piazzolla hat das (trotz Studium) gemacht, und deine Beispiele für Autodidakten ebenfalls.

    Mir persönlich hilft ein Kurs allerdings sehr gut, um mir die ersten Tastversuche nach "Trial and Error"-Verfahren, wenn ich noch nicht weis
    s, was da "Sache" ist, zu ersparen.
    Eine Sprache z.B. wie ein Kind zu lernen (also genau "Trial and Error"), ist halt auch nicht für jeden Erwachsenen machbar, denn dazu bräuchte man ein Umfeld, das einen ständig geduldig verbessert, sowie immens viel Zeit. Ein "Kurs" (Lehrbuch o.ä.) ist für einen Erwachsenen der schnellere Weg, man muss allerdings auch dranbleiben und viel Üben (Bücher, Filme und viel Kommunikation mit Muttersprachlern. Das letztere ist meine große Baustelle, warums mit meinen Sprachen wie Italienisch oder Spanisch nicht so recht klappt ...).

    Langer Rede, kurzer Sinn: es soll jeder so machen, wie es für ihn selber am Besten ist. Allerdings zählt im Endeffekt nur das Ergebnis. Und
    um ein anständiges Ergebnis zu erreichen, sollte man halt seinen Aufwand möglichst effizient einsetzen, ein "Krieg" darum, welche Methode am
    effektivsten ist, ist sinnlos.
    Jemand der 20 Jahre Unterricht genommen hat, und dann auf seiner ersten Milonga sich nur steif und hölzern bewegt, hat seinen Aufwand ineffi
    zient eingesetzt. Genauso wie jemand, der auf jeden Kurs gepfiffen hat, dafür aber nur lächerlich rumhampelt.

    Ciao, Robert

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    1. Lieber Robert,

      aus meinem Artikel kann man „binäres Denken“ bestimmt nicht ableiten. Ich behaupte nirgends, dass man eine Sache (nicht mal Tango) unbedingt als Autodidakt erlernen soll. Habe ich ja selber auch nicht ausschließlich. Und schon gar nicht wollte ich zu einem „Krieg“ für oder gegen irgendwelche Lernmethoden aufrufen.

      Mein Anliegen war nur, darauf hinzuweisen, man sollte sich mehr selber um die Dinge kümmern, die man können möchte – und diese Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen und alles auf die Lehrenden delegieren.

      Wie sieht denn die Realität im Tango aus? Geschätzte 90 Prozent lernen ihn in Gruppenkursen. Einzelstunden sind schon die Ausnahme. Und Practicas wie in den ersten 50 Tangojahren gibt es so gut wie keine. Das Ergebnis erlebe ich dreimal die Woche auf den Milongas. Darf man dann seinen Verdacht verlautbaren, da laufe vieles auf der ungeeigneten Schiene?

      Zum Erlernen von Fremdsprachen: Ich hab vor langer Zeit zwei Semester an der VHS Französisch gelernt – ohne große Ambitionen. Doch immerhin habe ich zwischen den wöchentlichen Stunden geübt und mit meiner lieben Frau (und Französischlehrerin) „Gespräche“ geführt. Und ich gehörte zu den 20 Prozent der Hörer, die auch noch in den letzten zwei Wochen des Semesters anwesend waren.

      Selbstverständlich kann es nützen, wenn ein Komponist Komposition studiert hat. Er schreibt dann aber vielleicht Stücke, die 95 Prozent der Tango-DJs nicht auflegen und ein gleicher Anteil der Milongabesucher für „untanzbar“ hält. Insofern ist Piazzolla leider (!) ein ungeeignetes Beispiel…

      Beste Grüße
      Gerhard

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    2. Robert Wachinger12. April 2018 um 09:15

      wg "binäres Denken": das sollte kein Angriff gegen deinen Artikel sein, ich meinte damit, dass man wohl darin gefangen ist, wenn man deinen Artikel als Angriff gegen jeglichen Unterricht interpretiert ;-)

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    3. Sollte man halt nicht, weil's da auch nicht steht.

      Aber vielleicht fallen einem dann die vielen Euros ein, die man schon in Lehrveranstaltungen investiert hat. Könnte Abwehrreflexe erzeugen.

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  4. zu dem Video Eduardo Cappussi und Mariana Flores:
    absolut super. Ich habe noch nie vorher so kreativen Tango gesehen
    Ich selber tanze nun seit fast 20 Jahren.
    Am Beginn waren zwei Kurse. Die waren aus meiner heutigen Sicht grottenschlecht.
    Ich habe den "Grundschritt" gelernt und ein paar weitere "Schritte", absolut nichts zum Tango Feeling. Ich wunder mich heute, dass ich nach diesen schlechten Kursen überhaupt dabei geblieben bin.
    Inzwischen habe ich selber einige Workshops gegeben und kann nur lachen, über den Quatsch den ich da am Anfang gelernt habe.
    Über die Jahre habe ich selber ca. 20 - 30 workshops mitgemacht.
    Das meiste habe ich mir selber beigebracht und /oder bei anderen abgeschaut, und natürlich hunderte Stunden auf Milongas getanzt und natürlich auch mit sehr vielen verschiedenen Damen, von Anfängerinnen bis Tanzlehrerinnen.
    Entscheidend sind für mich folgende Aspekte:
    Musikalität, Kreativität, keine Angst etwas falsch zu machen, immer wieder etwas ausprobieren, Freude am Experimentieren (habe auch workshops in Teatro Tango und Contact Tango gemacht, das war sicher auch sehr hilfreich) manchmal baue ich Element aus anderen Tänzen, z.B. Salsa o.a. mit ein. Auch Elemente vom Aikido, was ich 30 Jahre praktizierte und 20 Jahre selber unterrichtet habe kamen dazu.
    Es geht also um den eigenen Ausdruck, den eigenen Stil.
    Ich finde inzwischen nichts langweiliger als Damen, die schon lange tanzen, aber immer nach Schema F und von mir als Mann erwarten, dass ich sie über die Tanzfläche schiebe, also Damen ohne die geringste eigene Note, ohne jede Kreativität, halt einfach passiv. Und oft habe ich den Eindruck, dass das Tänzerinnen sind, die schon etliche Kurse gemacht haben aber immer nur etwas nachmachen und nie etwas eigenes zum Ausdruck bringen. Aber das ist für mich was Tanz und insbesondere Tango ausmacht, wenn beide sich einbringen und wenn es dann nur so sprüht und funkt und etwas gemeinsames in der Kommunikation entsteht.
    Und sowas entwickelt sich meiner Meinung nach eher nicht durch viel Unterricht, sondern den Mut zum Experimentieren auf den Milongas, und mit vielen verschieden Tanzpartnern!
    Für mich ist es das gleiche beim Musik machen. Das große Vergnügen kommt erst, wenn man das ewige Nachspielen hinter sich lässt und sich mehr und mehr traut zu experimentieren und improvisieren.

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    1. Vielen Dank - da kann ich eine Menge aus dem persönlichen Erleben bestätigen!
      Es ist unglaublich, wie sich der Tango in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Wer schon lange dabei ist, bestätigt oft meine Ansichten. Leute, die den Tango erst seit zehn oder weniger Jahren kennengelernt haben, wissen oft gar nicht, was ich meine.

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