An der emotionalen Pissrinne
„Die Politfiguren
dürfen in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrauen
Christiansen und Illner ihre Sprechblasen entleeren (…) Wenn sie da ihre
Notdurft verrichtet haben , ihre intellektuelle, und es tröpfelt nach, dann
dürfen sie noch bei Beckmann, Kerner, Lanz & Co. an der emotionalen Pissrinne sich unters
Volk mischen.“
(Georg Schramm)
In
der letzten Zeit habe ich drei Artikel veröffentlicht, deren Thematik letztlich
auf das Gleiche hinauslief: Von allen guten Geistern der Berichterstattung verlassenen
Journalisten gelang es, das Thema Tango – um nun der obigen Metapher das
Urologische zu nehmen – tief in die Klischeekiste
zu treten.
Bei
einigen Kommentaren zu den Texten
war ich doch ziemlich erstaunt, dass man die Machwerke als „gar nicht so
schlimm“ erachtete. Echt jetzt? Offenbar stamme ich noch aus einer anderen
Zeit… Bei Qualität und Medien, so
scheint es, erwartet man längst keine große Schnittmenge mehr.
Glücklicherweise
waren meine Tangoaktivitäten für „Funk, Film und Fernsehen“ wohl derartig uninteressant,
dass mir ähnliche Schicksale wie die der obigen Protagonisten erspart blieben.
Bei der Zauberei hingegen hatte ich
in über dreißig Jahren hinreichend Gelegenheit, mit der Arbeitsweise von Lokaljournalisten vertraut zu werden.
Folgendes muss man wissen:
·
Diese
Nachrichtenverbreiter haben wenig Zeit
und halten sich kaum an Termine: Im
Vorfeld eines ziemlich wichtigen Auftritts von mir wurde ein angekündigtes Interview
mit einem TV-Lokalsender zunächst wieder abgesagt; schließlich stürmte mit zehnminütiger
Vorwarnzeit ein Reporter nebst Kameramann in unser Haus, filmte eine
Viertelstunde lang alles, was ihm vor die Linse kam, und stellte mir das halbe
Dutzend erwartbarer Klischeefragen. Motto: „Wir
betreten nun die Gemächer des Zaubermeisters Riedl…“ Die dreiminütige
Reportage (eigentlich als Werbung gedacht) wurde dann erst nach meiner
Vorstellung gesendet.
·
Die
meisten „Kritiker“ im Kulturbereich haben nicht die Spur von Lust, Events zu
besuchen, die sie in der Rubrik „alles
schon mal dagewesen“ verbuchen. Zauberei und Gesellschaftstanz sind hierbei
Spitzenreiter. Interesse, ja Neugier scheinen nicht mehr zu den
Basiskompetenzen dieses Berufsstandes zu gehören. Dass sie schon vom Sujet insgesamt gelangweilt sind,
kriegt man in der Besprechung heimgezahlt. Sollte es hingegen eine
fünfzehnjährige Jodel-Schnepfe aus dem Landkreis bei DSDS in die Endrunde zu
schaffen, erscheinen hymnische Artikelserien…
·
Daher
taucht auf davon abweichenden Veranstaltungen nie eine journalistische
Spitzenkraft auf (so in der Redaktion überhaupt eine arbeitet), sondern eher
die größte Nulpe, die sich gegen derlei Aufträge nicht wehren kann. Sorgfalt ist da nicht zu erwarten –
meist rumpelt der Presseverdreher verspätet in die Darbietung, knipst wild um
sich und geht spätestens zur Pause wieder. Meine Gattin ist auf solche
Vorkommnisse inzwischen eingestellt und versucht, wenigstens noch einen Flyer
loszuwerden. Dennoch kann man von Glück sagen, wenn wenigstens der Name richtig
geschrieben wird. Ich habe meine diversen Presseidentitäten
einmal gesammelt. Als Pseudonyme kamen da beispielsweise vor:
Gerhard Riedel
Gerald Riedl
Gerd Riedl
Gerhard Riel
Gerhard Reindl
Kurt Riedl
Herbert Riedel
Big-Magic-Riedl
·
Am
Feedback dermaßen verhunzter
Künstler ist die Presse nicht interessiert. Auf meine fallweisen Einsprüche
gegen derartige Entstellungen erhielt ich nie eine Antwort – schon gar nicht
auf mein Angebot: „Call me a motherfucker,
but spell my name correctly.“
·
Der
Rest der Artikel ist oft auf ähnlichem Niveau. So las ich erst jüngst in einem
Portrait, ich bedauerte, dass es „keine
großen Magier wie etwa den deutschen Faldo Marvelli mehr gebe“. Dies ist
schon deshalb traurig, weil es einen Künstler dieses Namens nie gab… Soweit
überhaupt etwas zum Inhalt der
Vorstellung gesagt wird, gleicht der Stil gemeinhin einer Grundschul-Vorgangsbeschreibung. Da kannst du Poesie verbreiten,
bis dir schwarz vor Augen wird – das liest sich dann so: „Herr Riedl färbte ein weißes Taschentuch rot“ oder „er durchbohrte folgenlos mit einem Stäbchen
eine Glasscheibe.“ Ja, offenbar …
Wer einmal sehen will, welches Kunststück gemeint war:
Auch sonst wirken die Artikel sprachlich meist so wie ein Blogbeitrag
von mir in der ersten Fassung: Rechtschreib- und Interpunktionsfehler, vor
allem aber stilistische Mängel zuhauf. „Lokales
wird locker korrigiert“ – so erklärte mir dies einst eine
Journalismus-Azubine.
·
Auch insgesamt sind die professionellen Fähigkeiten lokaler Kulturverweser mäßig bis
lausig. Bei einem meiner Volkshochschul-Zauberkurse wurde mir eine junge
Volontärin (!) avisiert, welche den ganzen Tag über teilnehmen würde. Tat sie
auch brav und machte viele Fotos. Nach einiger Zeit dann der Anruf der Zeitung:
Die Bilder seien vom Datenträger verschwunden – ob ich Fotos von mir an die
Redaktion mailen könne, möglichst bis morgen Mittag? Damals
brauchte ich noch die Hilfe von Computerfachleuten und etliche Zeit, um dies
hinzukriegen. Fazit: Der Artikel erschien unbebildert, dafür kam
dann nach einer Woche die E-Mail der Zeitung: „Vielen Dank für die Fotos!“
Freilich
machen es die Opfer der Berichterstattung den Schul- und Studienabbrechern,
welche sich gemeinhin als Journalisten bezeichnen, auch einfach: „Hauptsache
im Fernsehen“ lautet nicht nur im Tango die Devise. Als ich 2012 einmal
in einer Münchner Tanzschule auflegte, erschien dort (ohne mein vorheriges
Wissen) ein RTL-Team, um für die Sendung „Lets dance" einen Hintergrundbericht mit dem Schlagersänger Patrick Lindner und der Profitänzerin Isabel Edwardsson zu drehen. In der
Sendung war ich dann für höchstens zehn Sekunden hinter dem DJ-Pult zu sehen –
und wurde wochenlang darauf angesprochen: „Du
warst fei‘ im Fernsehen!“
Und
als vor längerer Zeit publik wurde, die Band „Quadro Nuevo“ suche für ein Promo-Video
Tangotänzer, war das „Platzl“ vor dem
Münchner Hofbräuhaus schwarz vor
Menschen – und das an einem gewöhnlichen Montagvormittag…
Wahrlich,
von Provinz-Tangolehrern bis zu internationalen Tanzstars fallen alle (wohl, weil sie keinen Hintern in der Hose haben) vor Ehrfurcht auf den Bauch, wenn sich die
Chance eines Medienberichts ergibt. Leute, welche den Reportern Widerworte geben, ja auf einer Vorab-Autorisierung bestehen – auch auf
die Gefahr hin, dass die Journaille dann unverrichteter Dinge weiter zieht – sind
so selten wie die Blaue Mauritius!
Zwei
Begriffe darf man einer Zeitung gegenüber nie erwähnen: „Internet“ und „Blog“.
Da kriegt man Reaktionen, als habe man es gewagt, den Namen des Leibhaftigen
auszusprechen… Kein Wunder: Die elektronischen Medien bedrohen den
Zeitungsmarkt. Man könnte mit Qualität gegenhalten. Da man dies nicht
unternimmt, bin ich sehr froh, via „Blogspot“ und „YouTube“ selber
veröffentlichen zu können, anstatt mich fremden Zeilendiktatoren unterwerfen zu
müssen.
Wir
werden auch in Zukunft damit leben müssen, wenn in Zeitungsartikeln und
Fernsehberichten zum Tango ein Schmus
zusammengestammelt wird, dass dem Insider Hören und Sehen vergeht. Anfänger
werden weiterhin darauf hereinfallen, einen „Tanz
der Leidenschaft“ erlernen zu können, in dem – da endlich wieder bestimmend
– „der Mann noch Mann sein darf“ und
die Frau zu ihrer natürlichen Rolle als fügsame Gefährtin zurückkehrt. Und
wenn’s dann in der Praxis statt Erotik
und Hingabe nur verkrampftes Geruckel gibt, bucht man dies auf dem Konto
persönlicher Unzulänglichkeit ab.
Hab
ich noch was vergessen? Ach ja: „Das
Wichtigste in der Zauberei ist die Fingerfertigkeit“. Und der Tango „hat
einen Grundschritt“. Amen.
Kennen
die Journalisten die Realitäten
nicht? Man könnte sich ja beispielsweise hier in einer halben Stunde
informieren:
Nun,
für Berichterstatter wie den „großen
weißen Vogel“ im oben zitierten Privatfernsehen („Gans“ darf man ja laut Heinz
Erhardt nicht sagen) dürfte das eine klare Überforderung darstellen. Aber
auch gestandene Fernsehfrauen wie Bettina
Tietjen arbeiten offenbar keinen Deut anders. Schrecklicher Verdacht: Behaupten
die wider besseres Wissen Blödsinn,
weil sie meinen, dass dieser beim gemeinen Volk (oder „Urnenpöbel“, wie Georg
Schramm das gerne nennt) besser ankommt als die wahre Geschichte von „Blut,
Schweiß und Tränen“ im Tango? Weil das „Heimchen am Herd“ solchen Kitsch vom „Tangogott“ und seiner Gespielin aus dem
fernen Abendland begeistert aufnimmt? Wahrlich, es wird gerade im Tango noch
viel die emotionale Pissrinne
hinabfließen, und nicht alles wird das Wasser sein, mit dem man kocht!
P.S. Um Missverständnisse zu vermeiden: Es liegt mir fern, in das populistische Geschrei über die „Lügenpresse“ einzustimmen. Um lügen zu können, müsste man sich zunächst mit der Wahrheit beschäftigen…
P.P.S. Und wie das folgende Bilddokument zeigt: Die Peitsche knallt, die Röcke fliegen, die Schöne schmilzt... im Prinzip wird Tango auch heute noch so verkauft!
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