Ab wann ist man eigentlich kein Anfänger mehr?
„Was man lernen muss,
um es zu tun, das lernt man, indem man es tut.“
(Aristoteles)
Die
obige, sehr interessante Frage wurde gestern in unserer (geschlossenen)
Facebook-Gruppe gestellt.
Spontan
fiel mir ein: „Wenn man keine solchen
Fragen mehr stellt.“
Ich
muss allerdings gestehen: Wir hatten das ominöse Wort selber in unserer Gruppenbeschreibung verwendet…
Höchste
Zeit also, diesen Begriff einmal zu hinterfragen:
Er
spielt als „technisches Detail“ vor allem eine Rolle bei den Angeboten von Tangounterricht aller Art: Nach meinen
Recherchen ist man für die meisten Tangolehrer nach einem halben bis einem Jahr
Kurs- bzw. Tanzerfahrung aus dem Gröbsten raus – dann beginnt die „Mittelstufe“. Nach insgesamt zwei bis
drei Jahren fängt dann bereits das „Fortgeschrittenen-Level“ an. Gerade im
Münchner Umfeld setzt man gelegentlich noch eine „Masterclass“ oben drauf (was
ich angesichts der realen Tanzverhältnisse für eine glitzernde
Realsatire halte…).
Gelegentlich
variieren die Angaben sogar innerhalb derselben Website – so ganz sicher ist
man sich wohl selber nicht.
Quellen:
Das Problem bei diesen Zeitangaben ist natürlich, dass die einen
dreimal pro Woche Milongas besuchen und mit vielen Partnern tanzen, andere
hingegen brav alle sieben Tage in ihren Tangokurs dackeln und dort in trauter
Zweisamkeit Schritte üben.
Abgesehen davon halte ich diese Fristen für maßlos untertrieben: Nach meiner
Erfahrung vergehen hunderte Stunden, bis man sich einigermaßen orientiert hat – und da geht’s ja
nicht nur ums Tanzen lernen, sondern um die gesamte Erkundung des „Biotops Tango“: unterschiedliche
Milongas, Musik- und Tanzstile, Reglements, Sozialbeziehungen und vieles mehr.
Insofern ist die tapfere Behauptung der Lehrenden, nach
spätestens einem Jahr habe man den Anfängerstatus hinter sich gelassen, mehr
eine ökonomische denn eine fachliche Aussage. Klar: Je höher man
das Stöckchen hält, desto weniger können drüberspringen – schlecht fürs
Geschäft! Aus demselben Grund scheidet es natürlich aus, die Interessenten
einfach mal vortanzen zu lassen und sie dann einzustufen. Kaum jemand wird sich
dem aussetzen wollen.
Im Endeffekt wird man in einer höheren Kursstufe neben
wenigen, die sich realistisch einschätzen, eine Menge Schüler haben, die bei
ihrem „Fortschritts-Tango“ optische
Impressionen bieten, bei denen man unter den Teppich kriechen möchte. Muss das
schön sein, Tango zu unterrichten…
Was ich schon öfters angemahnt habe: Es wäre eine gute
Idee, statt irgendwelcher nebulöser Einstufungen detailliert zu kommunizieren, was man in den einzelnen Kursstufen
vorhat. Die wenigsten Tangoschulen lassen sich dazu herab – eine rühmliche
Ausnahme habe ich hier gefunden:
Auf dieser Seite findet sich sogar der legendäre Satz:
„Um Tango zu tanzen braucht man keinen Unterricht!“
Dass ich das noch erleben darf… (Zur Beruhigung: Mit
Kursen geht es schneller – so liest man anschließend!)
Es wird aber noch absurder: Wieso benötigt man solche
Kurseinteilungen überhaupt? Ich habe schon einmal angeregt, doch verschiedene Leistungsstufen miteinander
zu unterrichten, was mir – obwohl es argentinischer Tradition entspräche –
nicht gut bekam: Gefühlte Fortgeschrittene bekannten, sie hätten keine Lust,
ihre Zeit neben Anfängern zu verplempern. Ich finde eine solche Haltung nicht
nur menschlich daneben, sondern vor allem auch inhaltlich fragwürdig: Ein weniger
routinierter Tanzpartner stellt Anforderungen, die einen fortgeschrittenen Tänzer noch
besser machen können – und das gilt für jede mögliche Geschlechter-Kombination!
Und wozu ist der Begriff „Anfänger“ sonst noch gut? Im Wesentlichen für das im Tango übliche
Rangordnungs-Getue. Wer einen
Mittelstufen oder gar Fortgeschrittenen-Kurs belegt, ist halt bereits etwas
Besseres – völlig egal, wie er wirklich tanzt.
Und für die beim Tango nicht seltenen Frauen mit einem
Hang zum Masochismus bietet der Begriff eine weitere Möglichkeit zur
Selbstgeißelung: „Ich bin aber noch Anfängerin!“ habe ich beim Auffordern hunderte
Male gehört. Abgesehen davon, dass ich auf den Milongas keine gelbe Armbinde
mit drei schwarzen Punkten trage und mir daher fast immer klar ist, wen ich da vor mir habe: Mich interessiert diese Tatsache nicht die Bohne. Ich habe schon mit
etlichen Frauen den ersten Tango ihres Lebens getanzt – und der war nicht
selten schöner als der mit vielen anderen, welche auf der Basis gehabter Kurse
meinten, es zu können!
Das Leben ist halt streng, aber ungerecht: Manche haben
das im kleinen Finger, was andere mit einer Handvoll Tanzlehrer nicht
hinbekommen. Und, noch schlimmer: Oft merke ich, dass es nicht an der Schülerin
liegt, sondern am „Maestro“ – aber klar,
wenn man schon seit Jahren nicht mehr tanzt, sondern nur noch unterrichtet…
Vielleicht erlebe ich es noch, dass man im Tango rangmäßige Einstufungen ebenso unterlässt wie Reizvokabeln des Kalibers „richtig“, falsch“ oder gar „authentisch“.
Mir ist es jedenfalls im liebsten, wenn ich von einer
Tanzpartnerin gar nichts weiß –
weder ihren Namen (den ich mir sowieso kaum merken kann) noch ihre
Selbsteinschätzung oder die Zahl gehabter Kurse sowie die berühmten Namen ihrer
Tangolehrer. Einfach zwei Menschen, die sich entschließen, in der nächsten
knappen Viertelstunde ausschließlich füreinander da zu sein!
Und was mich wirklich
interessiert, weiß ich dann nach einem oder zwei Tänzen.
Fragen muss ich da keine mehr stellen…
Du darfst ein wenig stolz auf mich sein. Diesmal habe ich das Video bis zum Ende durchgehalten ( naja, ca 2 min in der Mitte habe ich übersprungen). Mir ist dazu noch ein Satz von Terpsi eingefallen: Es dauert Jahre, um ein schlechter Tänzer zu werden.
AntwortenLöschenTapfer, mein Kompliment! Ich muss halt aus professionellen Gründen ausnahmslos durchhalten - nicht, dass ich zwischendurch eine Genialität übersehe...
AntwortenLöschenAber ich will gar nicht den Tanzstil kritisieren - jeder hat seinen eigenen. Ich dachte mir nur: Wie fühlen sich die Schüler nach so einem Einstieg? O je...
Das Zitat von Terpsi ist wundervoll. Werd es einfach beschlagnahmen und selber verwenden.