Liebes Tagebuch… 46
Ich muss kaum noch was machen, die Tangothemen drängen sich förmlich auf – speziell auf den Milongas.
So
auch kürzlich, als mich eine Tangokollegin nach dem ersten Tanz fragte: „Weißt du schon das Neueste? Man macht jetzt
keine Posen mehr.“
Ich
brauchte einen weiteren Tango, um mir die Bedeutung dieser Aussage zu
überlegen: Klar, man hat ja seit einigen Jahren völlig introvertiert zu tanzen,
in vollster Selbstbeschränkung. Ein Satz Cassiels
aus seiner Milongaführer-Rezension von 2010 fiel mir ein:
„Im
Inhaltsverzeichnis kündigen sich dunkele Vorahnungen an und eigentlich möchte
man angesichts von Kapitelüberschriften wie etwa Argentinophilie ist heilbar,
Verzierungen oder auch Die Schlusspose das Buch gleich wieder weglegen.“
Na,
hätt er’s mal getan (was ich ihm damals empfohlen habe) und sich damit großen Ärger erspart!
Nach dem nächsten Tanz plagte mich noch Erklärungsbedarf:
Nach dem nächsten Tanz plagte mich noch Erklärungsbedarf:
„Äh, und was heißt
das jetzt genau – so posenmäßig?“
„Ja, also, dass die
Frauen am Schluss die Beine nicht geöffnet lassen dürfen, sondern beim letzten
Taktschlag schließen müssen, in ganz normaler Haltung.“
Ich
benötigte dringend einen weiteren Tanz, um mit dieser Botschaft fertig zu
werden. Müssen jetzt die ganzen Tangolehrer ihre Lasziv-Erotik-Werbefotos mit
der präcoitalen Schlusspose der betriebseigenen Milonguita einstampfen? Echt
jetzt? Oder ist das der berüchtigte „Bühnentango"?
Nach
diesem Stück, das ich selbstredend mit einem etwas ironisch überzogenen „Valentino“ beendete, musste ich noch
nach der Quelle fragen:
„Und wer sagt das?“
Nun,
das habe ihr neulich ein Tangoveranstalter erklärt. Mir ist der Betreffende
wohlbekannt, eigentlich ein ganz netter Kerl – es war mir jedoch nicht
entgangen, dass sich seine Tanzweise im Laufe der letzten Zeit deutlich zum
aktuellen, reduzierten Klein-Klein hin entwickelt hatte.
Ich
musste das Ganze erst verarbeiten: Galt das nun generell oder nur für Tänzer,
bei denen die Partnerinnen vielleicht schon reflexhaft die Beine
zusammenkneifen? Nein, das klang ganz schön nach einem neuen Código:
„Man
macht jetzt“…
Wann
fiel eigentlich erstmals der Satz, dass nun gefälligst
·
die
Musik in Tandas und Cortinas zu sortieren sei?
·
nur Titel aus der EdO verwendbar wären… und, noch schlimmer, was „EdO“ eigentlich
sei?
·
alle
mit Cabeceo aufzufordern hätten?
·
Frauen
auf gar keinen Fall einen Mann wegen eines Tanzes ansprechen dürften?
·
jeder
in seiner Tanzspur zu bleiben hätte?
·
hohe
Beinaktionen zu unterlassen seien?
Es
scheint ein genereller Trend des Tango argentino zu sein, dass jemand eines
Tages eine Losung (welch schönes Wort!) ausgibt,die ihm in Windeseile alle
nachplappern.
Nach
der Heimkehr machte ich mich an die Internet-Recherche: Bislang
Fehlanzeige, aber kann natürlich noch
kommen – vielleicht als „Workshop: posenfrei der
Tango sei“…
Wann
wird man die Regel erfinden, dass ein traditionsbewusster Tänzer in jedem Ohr
ein Sträußchen Petersilie zu tragen habe?
Nach
der Tanzrunde bedankte ich mich bei meiner Partnerin gleichermaßen für die
schönen Tangos und den wertvollen Tipp.
Sie
antwortete: „Aber nicht, dass du jetzt
keine Schlussposen mehr machst – das würden dir deine Damen sehr übel nehmen!“
Meine
Replik: „Na, wenn das keiner mehr tanzt,
bin ich irgendwann weltweit der Einzige und werde noch berühmt…“
Daher
gilt für mich auch weiterhin der schöne Satz von Hannes Jaenicke:
Doch fragen wir einmal Experten:
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenes ist ja auch nicht wirklich einfach, schöne Schlussposen hinzubekommen. Entweder hat der Führende ein wirklich gutes Gespür für die Musik oder er kennt den gerade zu tanzenden Tango sehr gut und weiß deshalb, wie er zum Ende hin die Kurve noch bekommt usw.
Insofern drängt sich mir hier schon eine bestimmte Vermutung auf...
Und von "Klein-klein" in ein schlichtes Schließen für die Frau schaut ja auch irgendwie besser aus, als plötzlich einen Valentino.
Dann hoffen wir mal nicht auf einen "Trend", sondern auf "ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen" ;-)
Liebe Grüße
Sandra
Liebe Sandra,
Löschenna ja, bei den üblichen Titeln aus dem EdO-Repertoire höre ich den Schluss schon eine halbe Minute vorher nahen und freue mich darauf. Da sollte die finale Pose schon hinzukriegen sein.
Nein, ernsthaft: Die Geschichte ist für mich keine Pflichtveranstaltung – ergibt sich halt je nach Situation und Stimmung.
Zudem ist die Schlusspose in meinem vorgerückten Alter eine wunderbare Möglichkeit, meinen Beinahe-Zusammmenbruch nach einem temperamentvollen Stück zu kaschieren.
Man sagt ja auch bei Sängern, dass sich erotisches Timbre häufig aus einer Nebenhöhlen-Infektion ergibt…
Liebe Grüße
Gerhard