Der Platz zwischen den Stilen



„Die Summe der eigenen Fehler nennt man Stil.“
(Gerhard Riedl: „Der noch größere Milonga-Führer“)

Wieder einmal so ein englischsprachiger Blog-Artikel, den ich gerne durch Übersetzung vor der Nichtbeachtung hierzulande retten möchte:

Der in Budapest lebende, ungarische Tangolehrer Endre Szeghalmi hat auf seinem Blog „EndreTango“ einen Text besprochen, welcher im Kern gar nicht von ihm selber stammt – der Verfasser ist unbekannt:

“The unique way of judging tango styles: milonguero, salon and nuevo!”
(“Die einmalige Art, Tango-Stile zu beurteilen: Milonguero, Salon und Nuevo!”)

Für nicht so Versierte eine kurze Beschreibung dieser Stile, wobei schon hier die Ansichten verschieden und die Übergänge fließend sind:

Tango milonguero
im Oberkörper sehr enge, V-förmige Position der Tanzenden, teilweise Gewichtsübergabe an den Partner, eher harte, zackige, kurze Bewegungen, Betonung des Rhythmus mit diversen Spielereien dazu; historisch der älteste Stil:



Tango de Salón
eher senkrechte Position der Partner, sehr harmonisch, jeder steht in der eigenen Achse, etwas weniger eng; langsame, weite, elegante Aktionen; im Vordergrund Vertanzen der Melodie, maximal introvertiert:


Tango nuevo
teilweise Auflösung der Tanzhaltung, schwierige technische, manchmal akrobatische Bewegungsabläufe, raumgreifende Figuren, extrovertierter Stil; Musik überschreitet oft die Grenzen des traditionellen Tango; modernste Version:



Im Kern geht es in dem Artikel nun darum: Was würde der Anhänger eines bestimmten Stils über diesen bzw. die beiden anderen sagen?
Eine Zusammenfassung:

Der Milonguero-Tänzer sagt…

über die eigene Tanzweise: „Der einzige Stil, der echte Tango, der auf den Milongas von Buenos Aires schon immer getanzt wurde. Estilo Milonguero ist einzigartig in der Erfahrung, Intensität und Qualität der Verbindung ... Ahh ...!"

über den Salón-Stil: „Elegant? Vielleicht, aber ich kann immer noch nicht verstehen, warum diese Leute sich nicht berühren? Es gibt keine richtige Verbindung! Haben sie Angst vor Intimität? Sie gleiten mit ihren lang gestreckten Schritten über den Boden zu übermäßig dramatischer Musik wie Pugliese, die sowieso niemand in Buenos Aires spielt ..."

über Nuevo-Tänzer: „Unkontrollierbare Stürmer, die keinen Respekt vor anderen Tänzern auf dem Parkett haben! Ihr Stil ist völlig nutzlos und unsicher für das soziale Tanzen, ganz zu schweigen von ihrer völligen Unkenntnis traditioneller Normen und der Etikette auf dem Parkett! Außerdem sind sie nur bereit, sich zu Musik zu bewegen, die kein vernünftiger DJ jemals in Buenos Aires spielen würde, wie Piazzolla! Schrecklich!!!"

Der Salontänzer sagt…

über den eigenen Stil: "Tango war nie eleganter, anspruchsvoller, stilvoller als in den 40er Jahren. DER perfekte, ausdrucksvollste Stil von allen! Es ist unvergleichlich in der Erfahrung, Intensität und Qualität der Verbindung ... Ahh ...!"

über den Milonguero-Stil: „Er ist für die Massen ... zweifellos könnte estilo milonguero in sehr kleinen Räumen nützlich sein... aber er hat keine Eleganz, in der Tat ist er chaotisch ... Diese Menschen müssen in ihrem täglichen Leben keine Verbindung zu anderen haben, um Tango zu tanzen, nur um eine solche Intimität zu finden..."

über den Tango nuevo: „DieseTänzer versuchen, das Image von Innovation und Coolness zu erzeugen. Der Film ‚Tango Lesson‘ hat die Situation nur noch verschlimmert! Vielleicht ist es ihre heimliche Fantasie, eines Tages Bühnentänzer zu werden? Zuviel, es ist wirklich zuviel! "

Der Nuevo-Tänzer sagt…

über die eigene Tanzweise: „Die Blüte der Tango-Entwicklung, der König aller Stile. Tango würde aufhören zu existieren, ohne sich ständig zu verändern und sich neuen Bedürfnissen anzupassen – und die Richtung des Wandels zeigt uns, dass Tango viel mehr als nur ein ‚sozialer Tanz‘ ist. Er ist unübertroffen in der Erfahrung, Intensität und Qualität der Verbindung... Ahh...!"

über die Milonguero-Richtung: „Sie ist für die Oldies... sich mit dieser klebrigen Umarmung an ihre Partner zu klammern ist ihre Art, die schlechte Verbindung zu kompensieren... die einzige Musik, zu der sie tanzen wollen, stammt aus der Steinzeit! Nichts nach den 30-ern kann sie bewegen! Und was ist mit dieser Obsession mit Buenos Aires? Tango muss mit den sich ändernden Zeiten gehen!“

über den Salon-Tanz: „Er könnte der Vorfahre von Nuevo sein, aber diese Leute blieben in einer Ära von Smoking und Zigarrenrauch stecken – trübe, düstere Romantik – und verloren ihre Dynamik. Wir können alles, was Salon-Tänzer tun – und vieles mehr – und ja, wir sind diese Smokings los! Übrigens könnte jemand ihnen bitte sagen, dass es eine viel breitere Palette von Musik abgesehen von der der 40-er gibt! "

Glücklicherweise stellt Endre Szeghalmi fest:

„Persönlich bin nicht damit einverstanden, Menschen nach ‚Stilen‘ zu kategorisieren, ich möchte lieber sagen, dass jeder in seiner einzigartigen und unverwechselbaren Weise tanzt!

Tango, so der Autor, lehre uns Akzeptanz, da wir ja oft mit einer völlig fremden Person eine Runde tanzen würden. Mit der sei es jedoch manchmal schnell vorbei, wenn das Gespräch auf das Thema „Tango-Stile“ käme. Sinnlose Argumentationen seien die Folge.

Daher warnt er:

„Die folgenden Darstellungen könnten Ihre Ruhe stören (speziell in einer positiven Weise)!

So sehe ich das auch und gehe sogar noch einen Schritt weiter: Wer sehr gut Tango tanzt, hat nicht nur seinen unverwechselbaren, persönlichen Stil, sondern ist auch in der Lage – je nach Musik – Elemente aus den anderen Tanzweisen zu übernehmen.

Und Tangolehrer, welche den eigenen Tanzstil als den „ultimativ authentischen“ preisen, sollten lieber zugeben, dass sie die anderen Tanzweisen nicht beherrschen!

Eine Fresedo-Schnulze im Milonguero-Stil durchzuhüpfen sähe ebenso bescheuert aus wie die Interpretation von „Libertango“ à la Tango de Salón oder einer Milonga canyengue per Nuevo-Getanze.

Klar passt der Salón-Stil häufig gut zu den Tangos aus der „Goldenen Zeit“. Beherrscht man jedoch nur diese Tanzform, nennt man jede andere Musik „untanzbar“, oder in der neuesten Tradi-Version „nicht zum Tanzen gedacht“.

Wer denkt denn da und warum?

Klar hat jeder seine persönliche Vorlieben – meine ist ja bekannt. Daher noch zu der „Libertango“-Version aus dem Film „Tango Lesson“, welcher für meine Generation stilbildend war:

Warum tanzen Sally Potter, Pablo Verón, Gustavo Naveira und Fabián Salas das so?
Weil sie es können… Ahh…!

Hier der Originaltext:

P.S. Ach ja, und bevor das Gemaule wieder losgeht: Jeder Stil hat natürlich auf einer Milonga „soziale Grenzen“, auf dass niemand umgerannt oder über Gebühr behindert werde!

Kommentare

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    1. Danke für die Zustimmung - ich muss sie dennoch löschen, da sie anonym erfolgte. Und meine Gegner behaupten, dass ich Unterschiede mache, ob ein Kommentar positiv oder negativ ist. Ich bitte daher um Verständnis!

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  2. Toller Artikel, danke fürs Übersetzen .... Ahhh!

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