Tango-Gala im Berliner Krabben-Korb



„Der Krabbenkorb wird oft als Metapher verwendet, die das Verhalten ‚wenn ich es nicht haben kann, kannst du es auch nicht haben‘ widerspiegelt. Den Krabben wird nachgesagt, dass sie einfach aus einem Krabbenkorb entkommen könnten. Wenn eine Krabbe allerdings versuchte, aus dem Korb zu steigen, würde sie von anderen Krabben wieder zurückgezogen.“

Mist, jetzt habe ich die 100-Tage-Frist verpasst, nach der ich gewöhnlich bei neuen Tangoblogs Bilanz ziehe! Na gut, 103 Tage sind ja nah genug dran. Also:

Ganze 65 Texte haben nach meiner Zählung die Damen von „Berlin Tango Vibes“ in dieser Frist herausgebracht, also zirka alle anderthalb Tage einen Artikel. Das ist, selbst für ein Kollektiv, schon mal eindrucksvoll! Bereits am ersten Tag (31.10.17) begann man mit dem Donnerschlag von 16 Beiträgen – sowas muss von langer Hand vorbereitet sein. Männliche Blogger wie mein Kollege Thomas Kröter können da nicht mithalten: Seine für denselben Zeitraum angekündigte Blograkete kokelte erstmal länger vor sich hin, bevor sie zu Silvester doch noch abhob. Aber nicht alles scheint in Berlin so lang zu dauern wie Flughäfen – wie schön!

Noch ein Unterschied: Die grafische Gestaltung und Navigierbarkeit der Seite ist überaus ansprechend, wenn man auch die Texte nicht aus einer Liste einzeln anwählen kann. Gut, mag ja noch kommen.

Ein Problem besteht für mich immer noch in der durchschnittlichen Länge der Beiträge, die oft über ein Dutzend Zeilen nicht hinausgeht. Da werden durchaus interessante Themen angerissen – und nach kurzem Umwenden wieder abgewürgt. Das selbstgewählte Motto „In der Kürze liegt die Würze!“ kann schon stimmen – falls man welche reintut. Textenden wie „konnte ich noch nicht herausfinden. In jedem Fall finde ich es aber spannend, darüber nachzudenken“ wirken allerdings ziemlich salzlos („Tanzen lernt man nicht vom Zuschauen – oder doch?“). Und Wortspiele wie „Ich kenne Tango in Lodz, aber tangolos?“ und „Kontro-Fersen“ sind nicht mehr als gut gemeint („Tangofrei“ / „Fahrspass“).

Vieles ist halt sehr brav und klingt ein wenig nach „Volkshochschul-Kurs Kreatives Schreiben“. Der kürzeste Text hat gerade einmal dreieinhalb Zeilen und behandelt das Thema „Mit oder ohne“ mittels einer genialen Metapher: „Milongas sind wie Fritten. Mit oder ohne.“ Da muss man erstmal drauf kommen, um es dann zu lassen…

Aber ich geb’s ja zu, dass mich vielleicht der Neid treibt: Da wird der berühmte Tango „Margot“ in gut acht Zeilen verfietschert („Was von Margarita übrig blieb“) und dabei festgestellt: „Margarita ist mehr als eine Pizza“. Na eben! Aber ich Depp hätt‘ mich wieder vier Stunden hingesetzt, um erstmal eine deutsche Textübersetzung hinzukriegen. Schön blöd!

Immerhin bleibt positiv anzumerken, dass die Länge der Texte in letzter Zeit zuzunehmen scheint. Daher hoffe ich auf mehr Prosa und weniger Pseudo-Aphorismen – und warte seit dem 30.11.17 auf die Verheißung: „Beiträge zu Büchern oder ‚wissenschaftlichen‘ Themen benötigen etwas mehr Zeit für die Recherche, so dass sich hieraus deren Gewichtung ergibt. Ihr dürft euch aber auf weitere Buchbesprechungen und Ausflüge in die Wissenschaft freuen.“ („Vom Kritisieren und Kritiken erhalten“)

Was bespricht man im Berliner Frauen-Blog hauptsächlich? Natürlich – wen wundert es – Männer: In etwa 20 Beiträgen ventiliert man das „Thema Nummer 1“ – hinsichtlich deren erwünschter und unerwünschter Eigenschaften, Aufforderungsarten, Redebeiträge und Gerüche. Von den Damen selber ist weniger die Rede – und wenn, dann in der passiven (also Leide-)Form. “Er ist 5cm größer als ich in Schuhen und hat starke Schultern, so dass ich mich anfangs komplett fallen lassen kann“ – so die handelsübliche Tanguera-Fantasie („Ein paar Partner“). Heftig damit kontrastierend die weibliche Selbstwahrnehmung: „Stattdessen: Schulden Schulden Schulden. Tango ist Schuld.“ („Tango aus der Sicht eines Controllers“)

Auch ansonsten gibt es eine Menge aus der einschlägigen „Hach-Prosa“: Tango ist Mühe, Schweiß und Schmerz – von „Kilometer tanzen“ über „Tango-Detox“ bis zum Fuß- und Schuhproblemen. Es ist schon schlimm!

Apropos: Weiter Raum wird auch der Sparte „Mode, Accessoires und Wellness“ gegeben – zirka 10 Beiträge drehen sich um dieses Thema. Da wird selbst eine technische Anlage wie ein Licht-Mischpult zweckentfremdet: „Farben, die jede Frau zu einer Diva machen. Alles ohne HD, damit man keine Falten mehr erkennt.“ („Es werde Licht“)

Männer, Styling und Attraktivität sowie relativ dünner Inhalt: Das geht teilweise schon in Richtung von Yellow-Press-Erzeugnissen wie „Bunte“ oder „Gala“ – Zeitschriften, in denen ich beim Zahnarzt schon mal blättere, wenn sie gerade herumliegen. Lieber wäre es mir allerdings, ich müsste nicht zum Dentisten… Und noch eins passt dazu: Solche Blätter segeln stets voll im bürgerlichen Mainstream – Grundlegendes wird nicht in Frage gestellt. So auch hier: Cabeceo, Ronda, Verzicht auf „Beinhakeleien“ und der übliche Unterricht gehören selbstverständlich zum Tango. Alternativen? Nö, lieber nicht. Zur Musikauswahl kein Wort. Wie schön, das lässt meinem Blog sein Alleinstellungsmerkmal!

Was ich da noch vermisse, sind die Fürstenhäuser. Aber vielleicht gibt es noch zu wenig Adelige, welche Tango tanzen...

Dennoch finde ich es gut, wenn dieses Blog weiterhin viel Aufmerksamkeit genießt: Man ist dort jedenfalls überdurchschnittlich fleißig und produziert gelegentlich Artikel, die mich beeindrucken: „Fitness first“, „Tango tanzen lernen lernen – oder ein Hoch auf die Vielfalt“ und – gerade eben herausgekommen – „Meine ‚Er tanzt nicht mit mir‘-Mindmap“ sowie „Herrenüberschuss“ sind wirklich sehr gut, mein Kompliment!

Und alle Kommentare auf dem Blog werden freundlich und zugewandt beantwortet. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Mal sehen, was passiert, sollten die Pöbeleien das tangoübliche Maß erreichen…

Es bleibt zu hoffen, dass die „schwesterliche Solidarität“ der Autorinnen nicht via „Krabbenkorb-Effekt“ dazu führt, dass sich keine länger, gehaltvoller und kritischer zu schreiben traut als die anderen. Das wäre schade. Und „Tango Vibes“ können sich ja durchaus verschieden gestalten:

Kommentare

  1. Lieber Gerhard Riedl,
    wir danken für die ausführliche Besprechung unseres Tangoblogs und sind gespannt auf weitere bissige Texte aus Bayern.
    Viele Grüße aus dem fröhlichen Berliner Krabbenkorb,
    Laura von Berlin Tango Vibes

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    1. Liebe Laura,

      herzlichen Dank für das Feedback!
      Ich werde Eure Aktivitäten weiterhin mit kritischer Sympathie begleiten.
      Übrigens finde ich die Beiträge vom 15. und 21.2. hervorragend. Weiter so!

      Herzliche Grüße aus Pörnbach
      Gerhard

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    2. Lieber Gerhard,
      und zum 100. Artikel gibt es nun auch die von Dir angesprochene Artikelliste.
      Danke für die Anregung.

      Viele Grüße
      Laura

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    3. Sehr schön, ist doch gleich übersichtlicher!

      Nach Themen sortiert statt alphabetisch wäre vielleicht noch informativer (falls das Blogformat es hergibt).

      Übrigens Kompliment, die Qualität der Texte nimmt deutlich zu. Weiter so!

      Schöne Grüße aus Pörnbach
      Gerhard

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