Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 12
…
bekommt man manchmal von seinen Schülern mitgeteilt!
Offenbar
animiert von Manuela Bößels Artikel
über die Umarmung (siehe unten) erreichte mich kürzlich die E-Mail einer
Tangotänzerin mit sehr persönlichen Erfahrungen zur „engen Umarmung“ und deren
Folgen. Um in ihrem Umfeld keinen „Flurschaden“ anzurichten, habe ich den Text
anonymisiert und stelle ihn mit freundlicher Erlaubnis der Autorin hier ein:
schauen...lernen...trotzdem
falsch machen
Lieber Gerhard,
ich bin mittlerweile
sehr viel beruhigter – auch dank Dir! – was die enge Tanzhaltung und meine
Probleme mit ihr angeht. Seither tanzt es sich auch befreiter auf ;-).
Deshalb muss ich Dir
jetzt eine kleine Geschichte dazu schreiben:
Bei uns schwärmen ja
alle so von den Tanzlehrern (…). Ich muss auch sagen, ich kenne ein paar, die
dorthin gehen, und die wirklich schön tanzen (auch bewegt).
Einer, mit dem ich gelegentlich
tanze, geht auch dorthin. Aber eigentlich kann ich mit dem nicht so gut tanzen.
Wenn er eng tanzt, wohlgemerkt. In der offenen Tanzhaltung ist es kein Problem.
Aber er tanzt halt meistens eng. Er nimmt mich gern in diesen schon auf
einschlägigen Blogs beschriebenen „Schraubstockgriff". Nun, ich kann da ja
mit ihm drüber reden (körperliche Ausflüchte aus dem Dilemma hatten im Vorfeld
nichts geholfen), und er meinte, bei (…) lernten sie die Führung übers
Brustbein. Nun gut, ich hab mir andernorts sagen lassen, dass dies ja korrekt
sei. Woraufhin ich wieder Selbstzweifel hegte, warum ich dann einfach 1) nichts
mehr verstehe und 2) keine schöne Bewegung mehr zustande bringe.
Also auf jeden Fall
geht die Geschichte weiter, denn einer von „meinen" Tanzpartnern (mit
denen ich gelernt habe) fing also auch vor ein paar Monaten an, von den (…) zu
schwärmen, und das wären so tolle Bewegungen. (Ich hab mich da eigentlich
bedeckt gehalten, weil ich einfach momentan keinen Nerv habe, tausend Kurse zu
besuchen, ich mag gerade lieber einfach tanzen.)
Jedenfalls habe ich
mit besagtem Mann früher recht gut getanzt, und es hat immer Freude gemacht.
Meist offen, auf Milonga-Musik natürlich eng.
Die (…) tanzen
natürlich völlig anders, enge Tanzhaltung, und der Mann eher diesen
Milonguero-Stil. Kurz nachdem dieser Tanzpartner dann angefangen hat, von den
(…) zu schwärmen, tanzte er nur noch eng mit mir, und gleichzeitig nahm ich ein
gewisses Tango-Figuren-Alzheimer bei ihm wahr. Soll heißen, er schob mich nur
noch im Caminar oder bestenfalls 6er-Basse über die Tanzfläche mit kleinen
Abwechslungen durch Vorwärts- und Rückwärts-Ochos. Nun ja, hab ich mir gedacht,
manchen entfallen mit dem Alter halt ein paar Figuren....
Vor ein paar Wochen
dann erzählte er mir dann, dass er da zum ersten Mal bei (…) war und wie toll
das war und dass er da nun regelmäßig hingeht. Er schickte mir auch sogleich
ein Video übers Handy. Schön, hab ich mir gedacht und mich schon auf eine Tanda
mit ihm gefreut.
ABER DU WIRST SCHON
AHNEN, WAS KOMMT:
Fordert mich auf,
nimmt mich in den Schraubstock-Griff und los ging's. Ich hab gedacht, mein
Schwein pfeift! Als ich nach drei Vierteln des Stückes mit nur Gehen bzw. vor
mich Herschieben geistig völlig abschaltete und mich zu Übungszwecken voll auf
das Setzen meiner Füße konzentrierte, verpasste ich schlichtweg einen
zwischendrin doch mal zur Abwechslung geführten einfachen Rückwärts-Ocho!!
Jetzt geht die
Geschichte aber weiter. Da ich durch diese Entwicklung eines in meinen Augen
ehemals guten und angenehmen Tänzers neugierig geworden war, habe ich mir also
dieses Video sehr viel genauer angeschaut. Und stell Dir vor, was sehe ich?
Natürlich eine enge Tanzhaltung, klar, keine ausschweifenden Bewegungen, war
mir auch klar, ABER: Einen führenden Mann, der seine Partnerin NICHT im
Schraubgriff hat, und man kann bei jeder Rechts- oder Linksdrehung, Molinete,
Barrida o.ä. sehen, wie er ihr in alle Richtungen Raum gibt, seine rechte Hand
weiter zwischen die Schulterblätter der Frau wandert und er den Oberkörper
etwas wegnimmt. Zu Deutsch: Der lässt die Frau sehr wohl selbstständig tanzen!
(Würde sich seine Partnerin wahrscheinlich anders auch nicht gefallen lassen).
Tief im Innern meines
Herzens habe ich das ja alles schon vermutet. Trotzdem beschleicht mich die
Frage, wieso „meine" doch fortgeschrittenen Tanzpartner das so falsch
verstehen. Und sie sind ja auch nicht die Einzigen. Wird es wirklich so falsch
verstanden? Oder wollen viele Frauen – so wie Du vermutest, also jene, welche
jüngst erst mit dem Tango angefangen haben – so gehalten werden?
Jedenfalls bin ich
nun weiter beruhigt. Es liegt nicht alles an mir. Und ich werde mir jetzt meine
nonverbalen Taktiken zurechtlegen, wie ich mir meinen Tanzraum nehme, falls er
mir vom Partner nicht bewilligt wird. Stichwort: „Tango-Königin". ;-)
Vielleicht sollte ich es auch mal direkt ansprechen. Aber das will sorgfältig
überlegt sein; so genau weiß frau ja nicht, wie tief sie da in die Männerseele
trifft… „die körperoffene Haltung öffnet das Gemüt“…
Jetzt hab ich meine
Schreiblust mal wieder befriedigt, sehr schön. Jetzt geht es ans Monotone:
Wäsche machen...
***
Es
freut mich natürlich, dass nicht nur ich diese Probleme sehe:
Aus
meiner Sicht ist das Gedöns, welches man heute um die „enge Umarmung“ macht,
bestenfalls eine Modeerscheinung, in schwereren Fällen eine Ideologie.
Mit
viel emotional klingendem Brimborium wird der geheiligte „Abrazo“ bejubelt und
dabei von einer einfachen Tatsache abgelenkt, welche für jeden Paartanz gilt: Schwindender Raum schränkt tänzerische
Optionen ein – ob nun im Paar oder auf der Fläche insgesamt.
Wenn
beide gut tanzen können, kriegen sie die „Verbindung“ (noch so eine sakrosankte
Vokabel) auch bei größerem Abstand hin – ja sogar (wie jeder Lateintänzer weiß)
nur durch den Kontakt mit einer Hand oder völlig separat (optisch und durch die
Musik verbunden).
Der
„Abrazo“ als Zwangsdiktat hilft nur denen, welche die wechselseitigen Impulse
wirklich nur mitbekommen, wenn man sie am Brustbein verleimt. Der Könner
variiert je nach Musik und Stimmung.
Herzlichen
Dank an die Autorin dieses Textes! Ich hoffe, er regt zum Nachdenken und zur
Diskussion an.
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