Vom korrekten Klatschen
Um 1820 wurde in
Paris von Monsieur Sauton eine „Assurance de succès dramatique“ gegen Entgelt
angeboten, eine „Sicherstellung des dramaturgischen Erfolges“. Im Jargon der
Pariser hießen die Ausübenden der Tätigkeit „Chevaliers de lustre“, Ritter des
Kronleuchters. Die Angebote der Claque fanden vor allem in Frankreich Abnehmer.
Sie kamen jedoch bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts außer Mode.
Heinrich Heine berichtete 1844 von den Ovationskosten für die Mietenthusiasten
neben den Kosten für Lorbeerkränze, Blumenbuketts mit kostbarsten Kamelias und
Lobgedichte, die Franz Liszt und dem ihn auf seiner Konzerttour begleitenden
Sänger Giovanni Battista Rubini von ihrem Manager Gaetano Belloni in Rechnung
gestellt wurden.
Kein
Zweifel: Der hiesige Tango ist schon längst die Beute intellektueller
Debattierclubs geworden Dies zeigt sich einmal mehr an einer gerade laufenden
Debatte auf „Facebook“. Der Schöpfer des investigativen Tangojournalismus, Thomas
Kröter, hatte auf eine gerade laufende Diskussion in der geschlossenen
FB-Gruppe „Tango-DJ-ing - Tools, tricks, tips & topics“ hingewiesen,
in welcher es, grob gesagt, um folgende Frage geht:
Gelegentlich
kommt es vor, dass nach dem Ende eines Stücks (oder einer Tanda) das Publikum dem DJ Beifall spendet. Was nun die
tango-notorischen Ganglien-Benutzer umtreibt: Gelte solcherlei Zustimmung eher
der Schönheit oder der Fremdartigkeit („beauty
vs. strangeness“) eines Stückes? Vulgo: Sei der Applaus dann sozusagen „tangopolitisch korrekt“ oder nicht?
Thomas gab diese Frage nun
an seine FB-Leser weiter – verbunden mit der Vermutung: „Ich finde die Diskussion bemerkenswert, weil sie drauf schließen
lässt, dass es offenbar in traditionellen Milongas (um die ging‘s hier) Menschen
gibt, die es toll finden, wenn sie nicht nur immer wieder das Übliche zu hören
bekommen. Ich finde weiter bemerkenswert, dass es traditionelle DJs gibt, die
nicht nur spielen, ‚was die Leute hören wollen‘, sondern was die Leute nach
ihrer Ansicht hören wollen sollen. Also: tangopolitisch Korrektes wie Pugliese
und nicht irgendwelches abgedrehte Zeug.“ (Zitat aus dem
Smartphone-Deutschen übertragen)
Meine
Antwort wäre ein schlichtes „Ja, klar“ gewesen, welches ich nicht für nötig hielt. Aber auch hier gab es
eine Menge Kommentare, da offenbar die Senftube noch nicht leer war. Für beide
Gruppen zusammengefasst waren es in etwa folgende (um einen anspruchsvollen
Begriff zu verwenden) inhaltliche
Widersprüche (teilweise auch noch in schlechtem Englisch… lecker!):
Ob
es denn wirklich „reine EdO-DJs“
gäbe? (Oh, da müsste ich jetzt auch länger überlegen…) Na gut, und wenn schon:
Öfters
ginge der Applaus halt von Claqueuren aus, welche einen bestimmten Aufleger
promoten wollten – so werde dann „leider“
sogar mal zu einem Foxtrott geklatscht… Manchmal patsche man auch versehentlich
in die Hände, weil andere damit angefangen hätten, sorry.
Und
die Tänzer kämen öfters mit falschen
Erwartungen, was schließlich deren Problem sei, oder hätten ein
unterschiedliches Verständnis hinsichtlich guter Musik, welches von dem des DJ abweiche.
Dann klatschten sie in Situationen, wo der Schreiber den DJ lieber erschossen
hätte (alte Tangotradition): Wenn er irgendeinen „unbekannten Müll“ auflege oder etwas, das „alle Regeln breche“ – geradezu ein „20 Jahres-Sprung“). Folgerung: Es gebe heute „viele Tänzer, die Tangomusik nicht mögen“. (Fragt sich nur, welche…)
Schließlich
landete man – wie könnte es anders sein – beim stets erbaulichen Diskurs, bis
zu welchem Jahr die Musiker Tangos zum reinen Tanzen gespielt hätten, ob man
auf deren Ansicht von „Tanzbarkeit“ überhaupt was geben
könne, und ob dies Piazzollas Früh-, Spät- oder Überhaupt-Werk betreffe. Würg…
Die
weiteren Ausgüsse reinen Geistes mag
ich nicht mehr erwähnen. Hier zum teilweisen Nachlesen auf Thomas Kröters (offener) FB-Seite:
Da
ich mit dem Beifall nicht nur als DJ, sondern gelegentlich auch von
Zauberbühnen aus Erfahrungen habe, abschließend ein paar Grundsätze, die mir bei fast tausend Auftritten geholfen haben:
·
Applaus
ist „das Brot des Künstlers“. Es ist unglaublich, wie die erste hörbare
Zustimmung einen locker macht und zusätzlichen Schwung für das weitere Programm
gibt. Daher existiert für das Händeklatschen vor allem eine Regel: soviel wie möglich!
·
Das
Publikum kriegt bestenfalls die Vorstellung, die es verdient (meist weniger).
·
Die
Zuschauer haben immer recht. Künstler, welche das Auditorium „erziehen“ wollen,
landen dort, wo sie hingehören: auf der Nase.
·
Wofür
die Zuschauer Beifall spenden, ist ihre Entscheidung. Man muss es hinnehmen –
hinterher sollte man dann über die Gründe nachdenken und seine Schlüsse für den
nächsten Auftritt ziehen.
·
Das
Publikum ist im Allgemeinen nicht blöder als der Künstler – und wenn doch, kann
er es nicht ändern.
Daher, liebe
Gehirnakrobaten:
Ausnahmsweise mal mit ausgeschaltetem Cortex eine Milonga besuchen, Spaß haben
und bei Bedarf klatschen, johlen oder Kinder in die Luft werfen. Das könnte so
entspannend wirken!
In meiner Gegend ist Applaus nach jeder Tanda oder gar jedem Stück gottlob nicht üblich. Der DJ bekommt ganz zum Schluß seinen Applaus, das wars. Und das ist auch gut so. Am Ende gäbe es noch Zustände wie beim Jazz, wo die Musik durch die Klatscherei komplett zerhackt wird.
AntwortenLöschenIst in unserer Gegend auch sehr selten (selbst in Pörnbach). Aber "Zustände wie beim Jazz" würde ich hinnehmen, wenn die Musik gut genug wäre...
Löschen