Wegsehen erwünscht
Derzeit findet man im Netz etliche Statements, in denen mehr oder weniger offen angedeutet wird, dass die corona-bedingten Zugangsbeschränkungen beim Tango nur halbherzig kontrolliert werden oder man sich lediglich auf die „Selbstauskünfte“ der Kunden verlässt.
Auf ihrer Facebook-Seite hat die Berliner Tangoveranstalterin und Lehrerin Ines Moussavi kürzlich einen bemerkenswerten Text eingestellt:
„Einige Gedanken gehen mir durch den Kopf, wenn ich die zur Zeit geposteten Zugangsregeln für Milongas in Berlin sehe. ‚2G‘ ist Pflicht, aber es haben sich bei den Großveranstaltungen der letzten Wochen einige infiziert.
Außer bei (…), der sehr offen und transparent kommuniziert, was in seinen Veranstaltungen passiert ist, lese ich nur in persönlichen Posts von TeilnehmerInnen von mangelnder Zugangskontrolle und Zertifikaten, die nicht ausreichend kontrolliert wurden.
Niemand möchte als VeranstalterIn eines ‚super-spreader events‘ gesehen werden, also kommt jetzt 2G+. Finde ich erstmal sehr gut!
Die Nachfrage, ob ein selbst durchgeführter Schnelltest für die Teilnahme reicht, wird allerdings des Öfteren mit ‚ja‘ beantwortet. Es ist von Eigenverantwortung und Vertrauen die Rede.... Sorry, das reicht nicht!
Dann kann ich genauso gut fragen, ob jemand geimpft oder genesen ist, ohne das zu prüfen. Ein zertifiziertes Schnelltestergebnis muss entweder mitgebracht oder ein Test vor Ort unter Aufsicht durchgeführt werden. Die Option zwei ist für Milongas nicht praktikabel. (…)
Die BesucherInnen haben meiner Ansicht nach ein Recht darauf, dass angekündigte Standards auch entsprechend kontrolliert werden.
Ich finde die derzeitige Lage so unübersichtlich, dass ich meine Milonga pausiert habe. (…)“
In der Diskussion legt sie dann noch nach:
„Endlich fallen ja nun auch ungeimpfte Tangolehrer, Barpersonal etc. in den Studios unter die 2G Regel. Die Regeln hätten viel früher verschärft werden müssen!
Es ist so absurd – alle hätten sich in den vergangenen Monaten ohne Wartezeit problemlos impfen lassen können.
Die ‚Panik-Erst-Impfungen‘, weil man jetzt nicht mehr ins Restaurant oder shoppen darf, helfen uns derzeit wenig. Das hätte im Sommer passieren müssen – aber da war Wahlkampf...“
https://www.facebook.com/BerlINESa (Post vom 16.11.21)
Man darf die Schreiberin durchaus als „Tango-Urgestein“ bezeichnen – ich habe ihren Werdegang vor gut drei Jahren schon einmal besprochen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/09/der-kurze-weg-zum-langen-abschied.html
Ich weiß nicht, ob es dieser Artikel war, der die Dame heftig gegen mich eingenommen hat. Jedenfalls gab sie vor zwei Jahren zu Protokoll, wie sie über mich urteilt:
„Er ist für mich der Obertroll, nichts was er schreibt, findet meine Zustimmung, und sein Stil ist mir zutiefst zuwider. (…) Mir wäre eine Antwort darauf schon zu viel der Würdigung.“ (FB-Post Thomas Kröter, 28.10.19)
Na ja, meinem Stil entspricht es jedenfalls, Äußerungen anderer nicht an der Person festzumachen, sondern an deren Inhalt. Und da muss ich sagen: Den momentanen Einschätzungen von Frau Moussavi kann ich nur zustimmen. Mit diesem Lob muss sie zurechtkommen.
Das wird auch für die verbalen Fleißbildchen gelten, welche die Tangoveranstalterin vom Corona-Bußprediger Arthur Dent erhält:
„Amen! Danke für Deine deutlichen Worte, liebe Ines! Und Deine immer wieder verantwortungsvollen Entscheidungen!“
Dementieren muss ich allerdings, was dem pseudonymen Holländer zu unserem Staatswesen einfällt:
„Stimmt: weder die alte noch die neue Regierung bekommt es irgendwie sinnvoll auf die Reihe ... meine Wut steigt!“
Wäre schön, wenn dies auch für den Informationsstand gelten würde: Wir haben noch keine neue Bundesregierung – noch nicht mal einen neuen Kanzler. Bis auf weiteres ist noch die alte Regierung geschäftsführend im Amt und könnte auf der Basis der bisherigen Gesetzeslage entscheiden. Stattdessen rennt man an die Mikrofone und beschuldigt eine Koalition, die erst im Werden ist – und ansonsten beschäftigt man sich mit der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden.
Was mich nicht wundert: Auch in München kann man wohl berechtigte Zweifel anmelden, ob die Zugangsbeschränkungen bei Milongas ernsthaft und genau kontrolliert werden. Nur belässt man es anscheinend aus Furcht vor schlimmen Attacken lieber im Wolkigen. Beispielsweise schrieb in der FB-Gruppe „Tango München“ die Veranstalterin Annabella Belmonte am 14.11.21:
„…und wir legen keine Listen aus, in die jeder seinen Impfstatus selber eintragen kann, sondern wir kontrollieren wirklich, damit Ihr bei uns mit einem guten Gefühl einen angenehmen Abend verbringen könnt“
Etwas deutlicher wird an gleicher Stelle Andy Lerner, der gestern schrieb:
„Ich finde es sehr gut, dass z. B. im Sur Tanzen nur unter 2G+ Regel stattfindet und auch kontrolliert wird. Ich würde mir wünschen, dass dies alle Veranstalter so handhaben. Danke, liebe Münchner Tanzschulen, für Euer Durchhalten, und Euer Engagement!“
Neben Zustimmung erhielt der Schreiber auch einige ziemlich holzige Reaktionen:
„Ich finde, wer dieses per se schon perverse Tangogedöns unbedingt machen muss, sollte zumindest Masken, Handschuhe und sich nach jedem Musiktitel testen UND impfen lassen. Das ist man aus Solidaritätsgründen allein schon seinen Geliebten schuldig. Desweiteren wäre auf jeden Fall notwendig: aktuelle Aidstests(natürlich nur für aktive homosexuell orientierte ‚Menschen‘) umfassende Gesundheitszeugnisse und dann wird nur noch (mit mind. 1,5m Abstand) zu Non und Neo- ‚Tango‘- Musik getanzt. Ist ja immerhin besser als gar nix, oder? Das machen wir doch gern! Hauptsache wir erhalten von der Regierung wieder ein Stück Normalität zurück!“
„Ich finde es super, dass ungeimpfte einen teuren pcr test machen oder gar zu hause bleiben sollen, während die geimpften ungetestet, schön weiter tanzen und trotz Impfung andere anstecken können. Ach ja und den schweren Verlauf bekommen ja doch eh nur die ungeimpften, aber das ist ja dann deren Problem.“
„…es tut gut unter dem ganzen ‚Panikgeschwurbel‘ hier deinen Beitrag zu lesen. Das zeigt mir daß es eben doch noch Menschen gibt die ihren Kopf zum logischen Denken benutzen statt auf den ‚Panik frisst Hirn‘ Zug aufzuspringen.
„Ich kann in ganz klaren Sätzen spechen : ungeimpft ist dumm, asozial und egoistisch!“
„hoi hoi hoi hast du es wirklich nötig tangokollegen, die anders denken, andere Erfahrungen gemacht haben , andere Ängste erleben , zu beleidigen?“
Ja, so kenne ich mein geliebtes München… Und wie üblich zeigt sich die Administratorin nicht willens, eine differenzierte Moderation zu betreiben. Stattdessen gibt es einen allgemeinen Appell – und ich erwarte, dass demnächst die Kommentarfunktion gesperrt wird:
„Ich möchte euch bitten, die Auseinandersetzung über das Impfen und die Maßnahmen an dieser Stelle zu beenden. Außer persönlichen Verletzungen kommt dabei nichts heraus und dafür bieten wir hier keine Plattform. In Bayern gilt im Moment 2G+ für Veranstaltungen im Innenraum, die ohne Maske stattfinden.
Sehr viele Tangotänzer:innen begrüßen diese Entscheidung, andere nicht. Die Veranstalter tragen die Verantwortung diese Regeln einzuhalten.“
https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen
Prima, wenn sie es denn auch täten… Aber es zeigt sich wieder einmal, wie unfähig gerade die sich „professionell“ dünkende Szene zu Kooperation und Solidarität ist. Man möchte es sich nicht mit der Kundschaft verderben – besser Gäste von Kollegen abwerben, indem man noch mehr durch die Finger guckt als die Konkurrenz.
Ich darf da abschließend noch etwas allgemeiner werden:
Wir sollten endlich damit aufhören, uns über die „unfähigen Politiker“ zu echauffieren, die mal wieder die falschen Corona-Maßnahmen beschließen – fallweise zu streng, zu locker oder gar nicht. Der gesunde Menschenverstand sollte uns doch sagen, dass es derzeit eher ungünstig ist, allzu vielen Menschen zu nahe zu kommen – ob beim Tango oder sonst wo. Und misstrauisch zu werden, wenn medizinische Zertifikate nicht oder nur oberflächlich kontrolliert werden.
Ich hoffe, es wird nach der Pandemie einmal Studien darüber geben, in welcher Größenordnung behördliche Auflagen unterlaufen wurden – und welchen Anteil an der Corona-Verbreitung das hatte. Beispielsweise, wie viele „Durchbruchs-Infektionen“ gar keine waren, weil man sich den Impfpass im Internet gekauft hatte.
Und man sollte den Hang zum Moralisieren lassen – schon, da er häufig mit schlechten sprachlichen Fähigkeiten gepaart ist. Ich fürchte, der Zutritt zu den Milongas wird von einer kleinen Gruppe nun ebenso durchgetrotzt wie früher eine bestimmte Musik.
Für mich steht jedenfalls fest: Wenn ich nach dem Charakter zwischen einem durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten und einem ebensolchen Tangoveranstalter wählen müsste, wäre meine Entscheidung klar.
P.S. Hier noch wackere Schweizer bei ihrem Freiheitskampf:
https://www.youtube.com/watch?v=9GwWkXHeVW8
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