Als die Welt stillstand
Dramen im ZDF gehören nicht zu meiner kulturellen Grundversorgung. Heute möchte ich aber einen Fernsehfilm heftig empfehlen, der vorgestern um 20.15 Uhr lief und natürlich auch in der Mediathek zu sehen ist: „Die Welt steht still“ beschreibt die ersten Monate der Corona-Pandemie am Beispiel einer Klinik in Konstanz, in der die großartig agierende Natalia Wörner eine Intensiv-Medizinerin spielt.
Erwartbar versucht man, wichtige Problematiken der Krise auch durch die übrigen Personen darzustellen: Der Ehemann der Ärztin ist Musiker und muss seine Tournee absagen, die demente Mutter lebt in einem Pflegeheim, die Tochter kann ihren in der Schweiz lebenden Freund nicht treffen. Als Antagonist fungiert ein Nachbar, der mit seiner Frau immer mehr Corona leugnet und Verschwörungsmythen anhängt.
All diese Geschichten rechtfertigen sich aber dadurch, dass sie – fast noch untertrieben – reale Verhältnisse darstellen. So auch der Fall einer Patientin, die sie aus einer völlig überlasteten französischen Klinik übernehmen und retten können. Anschließend muss man ihr mitteilen, dass es ihr Mann nicht geschafft hat.
Ein besonderes Kompliment für die Szenen aus der Intensivstation, die gewaltig an die Nieren gehen, obwohl sie wohl eher noch nervenschonend, aber mit viel Sachverstand gedreht wurden.
Hier der Trailer zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=stLQY44qPKc
Und ein etwas längerer Ausschnitt aus dem Anfangsteil:
https://www.youtube.com/watch?v=2-h74BM_WpcDas Drehbuch stammt von Dorothee Schön, die zunächst vom ZDF den Auftrag erhielt, ein Fernsehspiel mit Natalia Wörner zu schreiben. Das vorgeschlagene Thema hat sie abgelehnt und sich selber ein anderes gesucht – vielleicht auch, weil ihre Tochter Anästhesistin in einer Konstanzer Klinik ist. So erhielt sie viele Informationen aus dem medizinischen Bereich, ebenso die Hauptdarstellerin durch eine befreundete Ärztin.
In einem Interview wird die Drehbuchautorin gefragt, was sie sich von ihrem Film erhoffe:
„Ich finde es wichtig, dass sich die Menschen zurückerinnern. Ich wundere mich heute über die Sorglosigkeit, wie Menschen mit einem Schulterzucken sagen: ‚Ich impfe mich nicht.‘ Damals war noch nicht einmal sicher, ob es einen Impfstoff geben würde. Das will ich den Menschen nochmal ins Gedächtnis rufen und im besten Fall erreichen, dass wir Solidarität, die zu Beginn stark war, wieder stärker empfinden. Dass man sich als Teil der Gesellschaft fühlt und sich deshalb impfen lässt. Aber es geht nicht nur ums Impfen, ich wünsche mir an sich, dass wir untereinander solidarischer sind. Allerdings rechne ich auch mit einem Shitstorm aus der Querdenker-Ecke.“
https://www.prisma.de/news/tv/Die-Welt-steht-still-die-erste-Corona-Welle-als-Film,31585508
Beispiele dafür findet man auf der Facebookseite des ZDF, wo der Film angekündigt wurde. Zu meiner Überraschung fällt der Großteil der momentan über 1200 Kommentare doch sehr positiv aus. Es gibt jedoch auch Wortmeldungen einschlägiger Art:
ZDF, wir Zahlen eure Gehälter! Mit GEZ! Dieser Film ist eine Schande für Menschen die Angehörige verloren haben! Und die Darsteller, Z Klasse!
Aussage! Mit Menschen ohne Impfung würde ich nicht Drehen! Eure Hauptdarstellerin, dessen Aussage!
Dieser Film ist Peinlich und der Realität weit Entfernt! (…) Das sind Marionetten von Merkel und Co, Geldlobby“
„Jetzt werden alle Lügen nochmals gesendet um die Schlafschafe brav zu halten... ZDF der koruppte Staatssender der Regierung... Jeder der sich informiert weiss das Bergamo mit allem die größte Lüge war. Besonders die Leichenlastwagen und dei Särge in der Tunrhalle alle war inszeniert... Schämt Euch... Aber es geht nicht mehr lange...!!!“
Zwei schöne Beispiele dafür, wie verantwortungslos solche Leute die Tatsachen verdrehen: Es gibt bei uns kein „Staats- oder Regierungsfernsehen“. Wer schon ständig mit dem Grundgesetz herumwedelt, sollte sich einmal dessen Artikel 5 (1) durchlesen:
„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Den Kurs der öffentlich-rechtlichen Medien bestimmen nicht die Regierungen, sondern die Aufsichtsgremien der Selbstverwaltung:
„In den Aufsichtsgremien sitzen Vertreter der in den Landesrundfunkgesetzen der Länder festgelegten gesellschaftlich relevanten Gruppen wie politische Parteien, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen usw., wobei die politischen Parteien – gerichtlich so begrenzt – nicht mehr als ein Drittel der Sitze stellen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den sogenannten öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu erfüllen, der in den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen verankert ist. Danach müssen die Programme den Zuschauern und Zuhörern umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung anbieten. Dabei sind auch bestimmte journalistische und ethische Prinzipien einzuhalten.“
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentlich-rechtlicher_Rundfunk
Weiteren Ärger hat sich Natalia Wörner noch mit diesen Statements verschafft:
„Ich bin gegen einen Impfzwang. Dennoch habe ich kein Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Sie fordern einerseits ihre maximale Freiheit zurück, zeigen jedoch keine Bereitschaft, etwas dafür zu tun und die Gemeinschaft zu schützen.“
„Ganz ehrlich: Müsste ich einen Film drehen mit jemandem, der sich nicht impfen lassen möchte, würde ich das nicht tun. Ich sehe nicht ein, warum ich mich und meine Liebsten einem Risiko aussetzen soll, weil jemand beschließt, sich der Impfung zu verweigern. Ich würde mich dabei einfach nicht wohlfühlen.“
Die BILD-Zeitung berichtete darüber ziemlich süffisant und vergaß auch nicht, darauf hinzuweisen, dass die Schauspielerin mit dem Noch-Außenminister Heiko Maas liiert ist. „Natalia Wörner will nicht mit Ungeimpften drehen – Geht’s noch?“ – so die Journalistin Nena Schink in „Bild TV“.
Wenn ich dazu mal was sagen dürfte:
Ja, es geht noch. Ich finde es eine Frechheit, wenn – wie die Schauspielerin es ausdrückt – Ungeimpfte „ihre maximale Freiheit“ zurückfordern, gleichzeitig aber der vorsichtigeren Mehrheit aufzwingen wollen, wie sie ihr Leben zu gestalten hätte.
Im Fall von Natalia Wörner müssten wir nicht mal über Corona reden – die Kunstfreiheit gilt generell: Wenn sie keine Lust hat, mit einer bestimmten Crew zusammenzuarbeiten, darf sie es selbstverständlich lassen. Sie verzichtet ja damit auch auf ihre Gage.
Allmählich schwillt mir der Kamm, wenn ich das Geschwätz von der „Spaltung der Gesellschaft“ höre. Wenn, dann treiben diejenigen einen Keil in unser Volk, welche nicht kapieren wollen, dass zu große Freiheiten für die einen eben auch zu große Einschränkungen für die anderen bedeuten.
Wer sich nicht impfen lassen will (und für den es nicht wirklich ein medizinisches Hochrisiko bedeuten würde), muss halt für diese Freiheit Grenzen anderer Art akzeptieren. Und wer dann noch Falschmeldungen aller Art verbreitet, um seine Mitbürger zu verunsichern, handelt extrem verantwortungslos.
Und überall, wo diese Kräfte eine Mehrheit angestrebt haben, sind sie krachend gescheitert - so bei der Bundestagswahl oder beim bayerischen Volksbegehren, wo sie jeweils im Zwei Prozent-Bereich landeten. Sie sind nur lauter, allerdings auch dümmer.
Dass solche Leute sich den Film des ZDF ansehen, ist nicht zu erwarten. Allen anderen sei er wärmstens empfohlen. Ich finde, er zeigt das Dilemma dieser Krise sehr deutlich: Obwohl natürlich die Auswirkungen auf Kultur, Schule, Altenbetreuung und viele andere Bereiche schlimm sind – noch schrecklicher ist es, an dieser Seuche zu sterben. All das zentriert „Die Welt steht still“ auf die Hauptdarstellerin, welche diese Rolle mit großer Einfühlsamkeit spielt.
Hier noch der Link zur Mediathek:
https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/die-welt-steht-still-100.html
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