Das Ende der Geduld

 

Ich bin wahrlich seit über einem Jahr abgehärtet gegen den blühenden Unsinn, den querdenkende Zeitgenossen zum Thema Corona im Programm haben. Was ich bislang aber doch glaubte: Spätestens, wenn dann jemand ungeimpft mit einer Covid-19-Infektion auf der Intensivstation landet, sollte er doch einsehen, dass er einen Fehler gemacht hat, oder?

Seit ich auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung aufmerksam wurde, fürchte ich: Davon sollte man nicht ausgehen. Unter dem bezeichnenden Titel „Für einen Patienten, der sich weigert, würde ich nicht kämpfen“ berichten Klinik-Mitarbeitende vom realen Irrsinn auf Corona-Intensivstationen (SZ vom 6./7.11.21, S. 53). Da der Text hinter einer Bezahlschranke liegt, hier einige Zitate:

Eine Intensivmedizinerin (43) berichtet, seit Mitte August habe man 74 Patienten behandelt, davon 68 ohne vollständigen Impfschutz. 14 Personen seien verstorben.

Im Jahr zuvor hätten die Kranken dankbar und freundlich alles mitgemacht. „Jetzt diskutieren die Patienten die Therapie, hinterfragen die Diagnose, haben das Gefühl, wir wollten mit ihnen die Statistik fälschen. Sie wollen alles haben, die maximale Therapie, aber dafür überhaupt nichts geben. Sie beschweren sich über die Lautstärke auf Station, über die Helligkeit, über das Husten der anderen. (…) Sie beschweren sich über die Bauchlage, über den unangenehmen Sauerstoff in der Nase und dass das Essen nicht schmeckt. Dazu kommen die Esoteriker. Die sagen dann: Ich will eine Fußreflexzonen-Massage und eine Klangschale. Es ist ein Potpourri an charakterlich schwierigen Menschen. Ich sage dann immer: Entweder Sie machen mit. Oder Sie tragen die Konsequenzen. Bis zum Tod.“

Vor einigen Wochen habe ein großer und schwerer männlicher Patient nachts die Pflegekräfte angegriffen, sie bespuckt und gebissen. Es brauchte sechs Stunden und die gesamte Belegschaft, bis er ausgeflogen und in einer anderen Klinik intubiert werden konnte.

Ein Intensivpfleger (58) berichtet von den Problemen, halsstarrigen Patienten Entspannungstechniken und Atemübungen beizubringen. „Erst vor kurzem war da einer, für den gab es Corona nicht. Dabei lag er mit Covid-19 auf der Intensivstation. Er wollte ganz genau wissen, was wir mit ihm machen: Welche Medikamente? Welche Therapie? Welche Eingriffe? Paradoxerweise wollte er die komplette Therapie-Eskalation bis zur Beatmung. Der war um die Vierzig, unser aktuell durchschnittliches Alter auf der Intensivstation.“

Gerade bei renitenten Patienten spule er sein Basisprogramm ab. Er hänge sich da nicht rein und fände es gut, wenn Patienten, die sich nicht impfen lassen, die Behandlung selber zahlen müssten.

Eine Pflegerin in der Notaufnahme (60) berichtet von einer 83-jährigen Patientin: Sie ließ sich nicht impfen, da sie gehört habe, man könne durch die Impfung unfruchtbar werden. „Da habe ich gemeint: Mit 83 schwanger werden? Das wird nichts mehr.“          

Die Stimmungslage des medizinischen Personals schildert sie so: „Aber in der Belegschaft schwindet das Verständnis. Wir schieben uns täglich den Stab in den Rachen und in die Nase, um uns zu testen. Obwohl wir doppelt, manche dreifach geimpft sind. Die Patienten staunen dann, wenn sie das sehen: Ach, so geht das?“

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-aerzte-ungeimpfte-klinik-erschoepfung-1.5455802?reduced=true

Ich muss gestehen, dass in mir die nackte Wut aufsteigt, wenn ich solche Geschichten lese. Vermutlich hätte ich zum Anschlagen der Klangschalen von Esoterik-Patienten keinen Klöppel benötigt… Umso mehr bewundere ich die professionelle Einstellung des medizinischen Personals.

Nicht mehr hören kann ich auch das Geschwätz, die Corona-Impfung sei „reine Privatsache“. In Übereinstimmung mit dem Deutschen Ethikrat bin ich völlig gegenteiliger Meinung: Nicht nur, dass von Umgeimpften größere Infektionsgefahren ausgehen – sie sind auch verantwortlich dafür, wenn nun notwendige Operationen wieder verschoben werden müssen, weil man völlig unnötige Covid-Erkrankungen stationär behandeln muss. Klar darf man zweifeln und nachfragen – aber die hemmungslose Lügenpropaganda, mit denen man Mitmenschen von der Impfung fernhält, halte ich für völlig verantwortungslos.

Den Damen und Herren Querdenkern sei gesagt: Sie mögen froh sein, dass von einer „Aufhebung aller Grundrechte“ keine Rede sein kann, erst recht nicht von einer Diktatur. Vor allem der Artikel 1 unserer Verfassung schützt sie nämlich zuverlässig davor, dass ihnen bei einem derartigen Verhalten eine Behandlung schlicht verweigert wird.

Ich frage mich allerdings schon, wie lange sich unsere Gesellschaft von egomanischen Spinnern noch auf der Nase herumtanzen lässt. Es geht ja nicht nur um die Frage der Impfung. Millionenfach wurde Regeln zum Infektionsschutz bewusst missachtet. Auch das hat katastrophale Auswirkungen. Und unsere Behörden, so hat man den Eindruck, reagieren darauf zögerlich bis unentschlossen.

Auf der FB-Seite „Nothing but the Truth“ gibt es drei Beiträge, die ich für beispielhaft halte:  

„Ich arbeite selbst in einem Supermarkt und bin der einzige, der auf Maskenverweigerer zugeht und sie konfrontiert. Mit allen Konsequenzen für mich. Mein Chef hat mich schon angewiesen, mich zurückzuhalten und nicht mit dem Hausrecht zu argumentieren. Ein befreundeter Polizist riet mir, ‚auf meine Zähne aufzupassen‘. Wenn wir seltenerweise mal einen (!) oder zwei Secus am Eingang hatten, herrschte absolute Disziplin. Es geht! Aber eben nicht von alleine...“

„Wir sind ein alteingesessener Spiel- und Schreibwarenladen, 8 MitarbeiterInnen, 500 qm. Am ersten Adventssamstag findet vor unseren Türen der Weihnachtsmarkt statt, mit 2G. Es wird alles abgesperrt. Was wird passieren? Eltern werden da nicht eingelassen, die Kinder werden heulen und dann.... wo geht man hin? Zu uns.

Einlassbeschränkungen, Körbe, Desinfektionsmittel werden seit 20 Monaten ignoriert. Von uns hat aber niemand Lust auf einen Impfdurchbruch, und gerade hier südlich von Stuttgart hat die Antivaxx Fraktion dann eben auch nicht selten ein Maskenattest in der Familienpackung von einem gewissen einarmigen Stuttgarter Onkologen.

Also haben wir beschlossen, an diesem Tag gibt es Security. Für jeden Tag könnten wir uns das wirklich einfach nicht gut leisten..... dabei geht es uns finanziell wirklich top. Ich vermute, kleinere Geschäfte, Bistros, Kneipen, Restaurants erst recht nicht.

Man müsste die Strafen drastisch verschärfen, so haut es nämlich in Frankreich, Spanien und der Schweiz hin. Hier ist ja nicht mal der Besitz eines gefälschten Impfpasses strafbar.

Denen wurde von Anfang an zu viel durchgelassen seitens der Polizei und des Staates. Statt bei den ersten Verstößen gegen geltendes Recht sofort durchzugreifen, war ‚man überfordert‘, ‚überrascht‘ oder aber ‚man wolle solche Bilder nicht‘.

Hier konnte im Frühjahr im Verlauf einer Demonstration eine Polonaise der Querdenker auf dem Marienplatz nicht verhindert werden, zu wenig Einsatzkräfte, hieß es. Wo es allerdings dicke gereicht hat mit den Kräften, war ein paar Monate später bei der IAA in der Stadt, da wurden von Beginn an gleich 4500 Beamte aufgefahren… Das waren alles ziemlich falsche Signale an diesen Querdenkerhaufen, die von Anfang an ihre Aggressivität offen zur Schau getragen haben, überraschend ist es nicht, wo wir jetzt gelandet sind...“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/NbtT.DasOriginal (Post vom 7.11.21)

Was mir dieser Tage immer wieder durch den Kopf geht: Zu meiner Kinderzeit, also Mitte der 1950er-Jahre, hätte man bei einer solchen Pandemie nicht lange gefackelt. Die Pocken-Impfpflicht gab es sowieso – und die gegen Corona wäre innerhalb kurzer Zeit dazugekommen. Widerspruch? Nein – es ist doch Pflicht! So einfach wäre das gewesen…

So sehr ich froh darüber bin, dass unsere Gesellschaftsordnung heute liberaler und transparenter ist: Man kommt nicht weiter, wenn alles zum polyphonen Gesabbel verkommt. Da schwindet meine Geduld.

Vielleicht hatte die Premierministerin Margaret Thatcher doch Recht:

„Geduld ist eine gute Eigenschaft. Aber nicht, wenn es um die Beseitigung von Missständen geht.“

Hier noch ein bedrückend realer Einblick in die Arbeit der Intensivmedizin:

https://www.ardmediathek.de/video/dokus-im-ersten/auf-der-covid-intensivstation-der-charite-kampf-um-jeden-atemzug/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzUwODYwMTE3LTUwOTAtNDU3My05ZjA1LTc3ZDg4ZmVhZjVjZg/

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