Und ewig spielt das Murmeltier
„Haben Sie manchmal
Déjà-Vus, Mrs. Lancaster ?" – „Ich glaube nicht, aber ich könnte ja in der
Küche nachfragen."
(„Und täglich grüßt
das Murmeltier“)
Mein
hauptsächlicher Satire-Lieferant, die Facebook-Gruppe „Tango München“, bietet derzeit eine Diskussion über „Hobby-DJs“ (Beitrag vom 16.3.18): Man
sucht diese für die Fortführung der Milonga
im Diana-Tempel des Münchner
Hofgartens (für mich einer der letzten Reste von Tango-Subkultur in der
Landeshauptstadt). Seit vielen Jahren treffen sich dort jeden Freitag Tänzer,
Neugierige und Partnersuchende, um sich im engen Freiluft-Rondell zu knarzenden
Cassettenrecorder-Klängen zu drehen. Gerade an lauen Sommerabenden kann dies dennoch
magisch wirken.
Da
weiterhin kein Eintritt verlangt
werden soll, gibt’s wohl auch für den DJ nix – allerdings gehört zu seinen Aufgaben das „Kehren des Bodens“ und „achten auf Sauberkeit am Tempel“ (für traditionelle DJs ja eine generelle Pflicht). Somit
wäre das wohl – nach Meinung des Veranstalters – etwas für „Hobby-DJ's, die sich bekannt machen wollen“.
Erfreulicherweise
führt das in der Münchner Szene nun nicht zu den dringend nötigen Diskussionen
um die musikalische Ausrichtung –
wie ein Kommentator meint, wäre es eher wichtig, „wenn es eine Anlage gäbe, die lauter spielt
als die Schrittgeräusche“. Fragt sich
halt, ob das bei der üblichen Beschallung in der Landeshauptstadt bisher nicht auch
eine Gnade war…
Nein, so ein Jungstar der dortigen
Aufleger-Liga: „Einen Arzt bezahlt man auch unabhängig
davon, wie viel Spaß oder nicht Spaß ihm der Beruf macht.“ (…) „Jemand, der
begabt ist, wird sich kaum für lau wöchentlich da hinstellen. Ein bis zwei Mal
ist ok, um einen Einstieg zu schaffen, alles andere ist Ausbeutung.“
Aber derartig schwierig, so ein anderer
Schreiber, sollte das mit der Musik-Zusammenstellung doch gar nicht sein: Für
den Anfang könne „ein künftiger Hobby-TJ
doch einfach ein paar der zahlreich im Netz zu findenden Komplett-Milongas
spielen“. (…) „Sollten sich nach diesem Probeläufen noch nicht genügend Ideen
für eigene Tandas ergeben haben, könnte man einfach wieder von vorne beginnen.“
Für mich bestätigt dies in schlimmster Weise meine
Erfahrungen, wie auf vielen (vor allem traditionellen) Milongas die Musikprogramme entstehen – warum sonst
hat man nach Abnudeln der immer gleichen Stücke das Gefühl, das Murmeltier
grüße schon ewig?
An dieser Stelle erübrigt sich für mich
bereits jede weitere Debatte um den Status von „Hobby“ oder „Amateur“ nebst der
anhängigen Fragen um die Knete. Wer landauf, landab aus dem Internet
zusammengegoogelten, kreativitätsfreien Mist zu Gehör bringt, sollte sich eher
mit dem Thema „Schmerzensgeld-Ansprüche“
befassen!
Reicht es, ein vorgefertigtes Programm abzuspielen, oder besteht die hohe Kunst
eben gerade darin, situativ auf die
Stimmung der Gäste einzugehen?
Derzeit wird ein Text des Münchner Neo-DJs Jochen Lüders herumgereicht, der
behauptet, das sei egal: Man möge doch einmal eine feste Playlist laufen
lassen, gleichzeitig aber „höchst beschäftigt“ tun, also scheinbar „spontan“
auflegen. Keiner würde den Unterschied merken.
Ich fürchte, da hat er beim
durchschnittlichen Milonga-Besucher heutzutage sogar Recht. Nur: Darf man ein
Publikum als Maßstab nehmen, welches
durch langjährige Murmeltier-Beschallung derartig abgestumpft ist?
Sicherlich – da stimme ich ihm zu – gibt es unterschiedlichste Musikgeschmäcker.
Die Kunst ist jedoch, das Programm so auszutarieren, dass möglichst jeder sich einmal angesprochen fühlt. Wenn ich ein Drittel der Musik grauenhaft, ein
Drittel akzeptabel, den Rest aber wunderbar finde, war es für mich eine gute
Milonga (ein Prädikat, dessen sich aus meiner Sicht nur wenige Veranstaltungen
rühmen können). Und hierzu brauche ich halt beides: ein vorbereitetes Programm und das „Bauchgefühl“,
wann und wie ich es je nach Akzeptanz ändern
sollte. Letzteres kann man nicht lehren, sondern nur in jahrelanger Erfahrung
erwerben.
Dass eigenes Denken und Urteilen in dieser
Szene nicht allzu verbreitet sind, zeigt ja auch das kritiklose Nachbeten von Tanda- und Cortinastrukturen, die
bestenfalls eine Möglichkeit der Strukturierung einer Setlist sind. Würden wenigstens
Neo-DJs auf das Dazwischengedudel verzichten, müsste man nicht so oft raten, ob
ein Stück aus der Pubertätszeit des Anlagen-Bedieners nun als Cortina oder Tanzmusik gedacht
ist…
Klar gilt auch: Wenn man als DJ bekannter
wird, wissen die Gäste auch, was sie ungefähr erwarten können. Daher veröffentliche ich meine Playlisten. Wieso die meisten Aufleger
es nicht tun, müssen sie mit ihrem eigenen Gewissen abmachen. Für ein
Gütesiegel halte ich dies nicht.
Ein weiteres bestünde darin, zur eigenen
Musik zu tanzen. Es ist halt ein
Unterschied, ob man ein Musikstück sitzend, mit Kopfhörern auf der Birne,
erlebt oder in Bewegung auf dem Parkett. Aber hier scheint der Trend in
Richtung einer Spezialisierung zu
gehen: Entweder man kann tanzen oder man legt auf – oder, noch schlimmer, man
legt auf, weil man nicht tanzen kann.
Was das offensichtliche Lieblingsthema der
Musiklieferanten, die Gage, betrifft,
vertrete ich seit jeher eine klare Ansicht: Wenn es Eintritt kostet, müssen grundsätzlich alle, die einen Beitrag
liefern, auch Geld sehen – ob sie es
verdienen oder nicht. Ob jedoch diese Kommerzialisierung
dem Tango gut tut, bezweifle ich stark. Daher habe ich bei meinen DJ-Einsätzen
nie eine Entlohnung gefordert – und in den seltenen Fällen, wo sie mir
aufgedrängt wurde, dort gespendet, wohin auch seit über 30 Jahren meine
Zauber- und Moderationshonorare gehen: an die Deutsche Welthungerhilfe. Und bei unseren „Wohnzimmer-Milongas“
kostet es eh keinen Eintritt, lediglich für konsumierte Speisen und Getränke
bitten wir um eine Spende auf der Basis der Selbstkosten.
Da kommt jedes Mal genug zusammen, um auch
noch neue CDs zu erwerben. Apropos: Obwohl ich das nun schon viele Jahre mache,
staune ich stets wieder, welche Vielfalt an neuer Tangomusik es gibt.
Traditionelle DJs haben dieses „Problem“ natürlich kaum…
Selbstredend hat Cassiel, welcher erwartbar zu diesem Thema auch etwas weiß,
prinzipiell Recht mit seiner Feststellung: „Wenn
wir im Tango dahinkommen wollen, dass gute DJs gute Transfers in der Milonga
spielen, dann sollten die DJs dafür – zumindest ansatzweise – entlohnt werden.“
Allerdings gebe ich zu bedenken: Es könnte auch sein, dass man das Geld
einsteckt und trotzdem so weiter wurstelt wie bisher.
Daher habe ich auf vielen Tangoveranstaltungen
– wie Phil Connors in der Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ –
stets wieder das Gefühl, am „Groundhog-Day“ (2. Februar, Mariä
Lichtmess) aufzuwachen, wo man in der amerikanischen Kleinstadt Punxsutawney seit 1887 den „Murmeltiertag“
begeht. Traditionell jagt man dabei durch Stockschläge ein Murmeltier (groundhog)
aus seinem Bau. Sieht das Tier dabei „seinen Schatten“ (scheint also die
Sonne), so stehen noch mindestens sechs Wochen Winter bevor, ansonsten beginnt
der Frühling. Statistisch beträgt die Trefferquote 39 Prozent… (Übrigens ist
dieser Tag weltweit eine Quelle von ähnlich zuverlässigen Bauernregeln.)
Natürlich liegt es mir fern, die Münchner DJs
durch Stockschläge aus ihrem Winterschlaf
zu katapultieren. Vielleicht müsste ich mich ja, wie der zynische Reporter Phil Connors, erst läutern und ein
friedlicherer Mensch werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Groundhog_Day
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