Auf in den Krampf, Tanguero!

„Auf in den Kampf, Torero!

Stolz in der Brust, siegesbewusst.

Wenn auch Gefahren droh‘n, sei wohl bedacht

dass ein Aug dich bewacht

und süße Lieb dir lacht.

(Georges Bizet: Carmen)

Es ist unfassbar: Ich fahre in der Früh den Rechner hoch und werde von der nächsten Welle galoppierenden Tango-Wahnsinns überrollt!

Diesmal verdanke ich die Anschauung eines monumentalen Beispiels aus dem deutschen Recherche-Journalismus Alessandra Seitz, die das Video in ihrer Facebook-Gruppe verlinkte:

Unter dem literarisch wertvollen Titel „Tanzbar – Lena tanzt Tango“ erleben wir die etwas bockbeinige Reporterin Lena Sapper, die fürs Privatfernsehen auszieht, einen Tango-Fortgeschrittenenkursus fürchten zu lernen. Passenderweise hat sie sich (wohl ohne Navi) in enge Jeans und Stiefeletten gezwängt, was schlimme Folgen haben wird.

„Stufe 2“ sei nun angesagt: „Wir tanzen nicht mehr alleine, sondern zu zweit, es geht los mit den Paartänzen“. Dass sie daran „eigentlich nur scheitern“ kann, ahnt sie zu Recht.

Dabei ist ihr „Hans aus Holland“ gerne behilflich – seines Zeichens ein einjährig freiwilliger Tangoschüler, der die Fernsehmieze gleich dreimal abbusselt.  Beherzt ruckelt er Lena durch die Figur des Tages, etwas in der Art von enrollador de pierna roto” („eingesprungener Beinwickler“). „Ein bisschen locker bleiben“ rät die wie üblich viel sagende Tangolehrerin ausgerechnet zu den Klängen von „Roxane“ (wobei die Musik nur unterlegt wird  wir ahnen, was wohl wirklich erklingt)...

Damit ich’s nicht vergesse: Bereits in den ersten 15 Sekunden würgt sich im Hintergrund (in weißem Hemd und schwarzer Hose) ein älterer Grande durch die Figur, was Schlimmstes ahnen lässt. Schon da kam bei mir „Loriot-Verdacht“ auf.

Es folgt das unvermeidliche Interview mit der Tangolehrerin, welche Wert darauf legt, der Tango sei ein „improvisierter Tanz“, bei dem sie die Möglichkeit habe, „die Musik so zu vertanzen, wie ich sie fühle“. Warum sie das nicht auch ihren Schülern erlaubt, anstatt sie mit einer kopfschüssigen Fußhakelei zu belästigen, erwähnt sie nicht. Jedenfalls gebe es „keinen Grundschritt, keine Figuren und keine Folgen“.

Und übrigens habe man im Tango keine Tanzhaltung, sondern eine „Umarmung", also „engen körperlichen Kontakt". Damit das schon mal klar ist...

Wie heißt es so schön auf der Website der Tangoschule? „Mit viel Humor und einfühlsamer Didaktik, helfen sie den Schülern, sich in der rhythmischen Welt der Milonga zurechtzufinden und die eigenen spielerische Kreativität für Rhythmik und Schritte zu entdecken.“

So bekennt die Reporterin, ihr falle es gar nicht so leicht, sich wirklich auf den Tanzpartner einzulassen, sie sei „eher ziemlich verkrampft“. Kein Wunder, wenn man Krampf lernen soll…

Auch Hans darf leider noch etwas in die Kamera sagen: Tango werde geführt von dem Mann, die Frau müsse lernen, zu folgen – wenngleich sie auch ihre Freiheit bekäme. Wieviel von der zu halten ist, erfährt sie von Franz, ihrem nächsten Tanzpartner: „Die oberste Maxime ist: Ich bestimme! Deshalb tanze ich Tango argentino.“ 

Ab dem Moment wusste ich: Das kann doch nicht echt sein – das sind Loriot und Evelyn Hamann in der bislang nicht ausgestrahlten Folge „Tango bei Hoppenstedts“! Sätze wie diese können nur aus der Feder des genialen Humoristen stammen: „Wir sind zum Tango gekommen, weil mein Mann wollte, dass ich mal folgen lerne.“ Da ist’s wahrlich nicht mehr weit bis zum Jodelkurs mit Jodeldiplomabschluss!

Schön ist auch die Szene, wo das Bekenntnis eines Ehemanns „Man kommt sich körperlich dabei auch sehr nahe“ gnadenlos von seiner Gattin durchkreuzt wird: „auch anderen Männern“. Wie sagte Frau Hoppenstedt? „Mein Mann möchte eine echte Partnerin haben, die ihre eigenen geistigen Fähigkeiten entwickelt.“

Da schließen wir uns doch gerne dem Fazit der feschen Reporterin an:
„Was ich an diesem Tag auch lerne: Tango ist das Gesetz für eine gelungene Paarbeziehung.“

Holleridudödeldi!

Da man am Karfreitag nicht lachen darf, vielleicht doch erst morgen ansehen:


P.S. Opa Hoppenstedt allerdings hat den Tango inzwischen aufgegeben und dirigiert lieber wieder den „Helenenmarsch“:

 

Kommentare

  1. Der Blog und Alessandras Video brachten mich wieder einmal auf eine Youtube-Reise, da entdeckte ich folgendes Video:

    https://www.youtube.com/watch?v=JL5uyMIcI2Q

    Die A-Capella-Gruppe "Opus cuatro" kannte ich von einer Milonga, als Peter Seitz La Cumparsita in deren Version spielte, sehr interessant, aber halt schon eine Weile her. Heute (Video ist von 2018) ist das aber eher nur noch peinlich, falsche Intonationen, fragwürdige Arrangements etc. Aber der Gipfel kommt erst im zweiten Teil des Videos: "Orquesta Filarmónica Municipal de Avellaneda" klingt ja toll und verspricht argentinisches Flair. Aber es ist lediglich ein mittelmäßiges Jugendorchester! Wenn die bei uns bei einer Milonga diese weltberühmten Tangos spielen, würde man sie mit dem sprichwörtlich nassen Fetzen - wie man in Wien zu sagen pflegt - davon jagen.

    So weit zum Thema Authenzitität, nicht in allem wo Argentino drauf steht ist auch Argentino drin. Da lobe ich mir die heimischen hochprofessionellen Künstler, die zumindest in Wien von Zeit zu Zeit zu erleben sind. Auch alle Erfahrungen und Berichte, die ich über den echten Tango Argentino in Buenos Aires hörte, bestärkten mich in der Meinung, dass es dort heute eher so zu geht wie vor Wiens Touristenattraktionen, wo mozartperückentragende Kartenschacherer künstlerisch zweifelhafte Konzerte bewerben und überteuerte Tickets verkaufen.

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    1. Lieber Ernst,

      ich hab zu den Musikbeispielen noch meine "Expertin" (sprich Ehefrau) befragt: Sie war ebenfalls nicht begeistert von dem a cappella-Gesang und schon gar nicht vom Jugendorchester. Bei den Streichern leidet sie natürlich besonders...

      Fazit: Ist ja gut, wenn die jungen Leute mal auftreten können - aber für einen solchen Rahmen reicht's noch nicht.

      In Argentinien gibt es ein ebenso großes Leistungsspektrum in der Tangomusik wie bei uns und anderswo.

      Frohe Ostern nach Wien!
      Gerhard

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