Hundert Tage „mYlonga“


Wer den viel postenden Berliner Journalisten und Tangotänzer Thomas Kröter noch nicht kennt, ist selber schuld: Seit Jahren veröffentlicht er auf Facebook eine Unzahl von Links, Empfehlungen und Kommentaren zu Politik, Kultur und vor allem Tango – eine unerschöpfliche Quelle von Anregungen, denen auch ich viele Musiktipps und Ideen für Blogbeiträge verdanke. An dieser Stelle schon einmal ein herzliches Dankeschön dafür!

Seit Ende des letzten Jahres ist der Autor nun unter die Blogger gegangen, was ich ihm schon längst empfohlen hätte, wenn mir die mindeste Hoffnung bliebe, er würde Ratschläge von mir annehmen: Aber er ist ein Querkopf, den es vor Jahren vom Standardtanz zum Tango verschlagen hat, welcher ihm größere Freiheiten verhieß. Da sich diese inzwischen immer mehr marginalisieren, kann er gelegentlich aggressiv werden. Da wir zudem beide, auch mental, im „Waldorf & Statler“-Alter sind, haben wir somit einiges gemeinsam!

Was Kröter in seinem Intro schreibt, zeigt bereits den Wert seiner Seite in heutigen Tangozeiten: „Der Tango schien mir mehr Freiheit zu versprechen. Musikalisch. Tänzerisch. Deshalb gibt es für mich nicht nur eine, sondern zwei, drei, viele goldene Epochen dieses wunderbaren Tanzes. Die glänzendste liegt in der Gegenwart.“

„mYlonga“ nennt er in hispanisiertem Denglisch sein Blog, untertitelt mit „Beobachtungen und Bemerkungen eines tangotanzenden Flaneurs“. Der Begriff des ziellos umherstreifenden, gerne etwas dandyhaften Fußgängers hat ja literarische Wurzeln – von Rousseaus „Les Rêveries du promeneur solitaire“ über Edgar Allen Poes „Der Mann in der Menge“ bis zu Walter Benjamins Großstadt-Impressionen. Eine durch Reizüberflutung und Oberflächlichkeit bewirkte Blasiertheit ist da inklusive.

Bereits Ende November letzten Jahres hatte Thomas Kröter uns sein neues Blog angekündigt – es dauerte jedoch noch einmal vier Wochen, bis der erste wirkliche Beitrag in einem halbwegs vernünftigen Layout zu lesen war – ob sein Webmaster auch am Bau des Berliner Flughafens beteiligt ist, wissen wir nicht. Es würde aber gut passen: Ein klassischer Fehlstart also.

Daher habe ich mich entschlossen, die Frist für mein 100 Tage-Portrait des Blogs erst ab dem Moment zu berechnen, als es wirklich losging. Dass sie nun ausgerechnet an einem Karfreitag endet, mag Zufall sein.

Altblogger Cassiel jedenfalls schien die Neukreation wohl harmlos genug, dass er sie gleich per Kommentar lobte: „Schön! Ein weiteres Tangoblog … das freut mich (für mich kann es nicht genug Blogs zum Tango geben). Ich wünsche gutes Gelingen und schaue demnächst wieder vorbei.“

Na ja, mein Lieber, auf ein Blog könntest du wohl bis heute verzichten – aber der Schein heiligt die Mittel. Vorbeigeschaut hat er bis heute wohl tatsächlich: Es ist sein einziger Beitrag dazu geblieben…

Zurück zu Kröters Œuvre: 26 Texte sind es bislang geworden – also einer in zirka vier Tagen, was eine ordentliche Frequenz darstellt. Die Themen sind bunt gestreut: Impressionen aus Buenos Aires, Hinweise auf Gedrucktes, Gefilmtes und Musikalisches, aber auch – in letzter Zeit zunehmend – sehr subjektive Bewertungen selbst erlebter Erfahrungen. Gerade da fallen die Texte meist stärker aus als bei Versuchen, ein weiteres Tango-Feuilleton zu kreieren: Beiträge wie Tangotanzen macht lustig“, „Der entscheidende Unterschied“ und „Standardtänzer als Vorbild?“ machen Lust auf mehr.

An der Spitze steht für mich nach wie vor der Artikel „Zu Piazzolla tanzen? Warum nicht!“, den ich als damals unter Pseudonym veröffentlichten Text auf mein Blog übernommen hatte. Später erschien eine überarbeitete Fassung in der „Tangodanza“, nun hat Thomas den Text noch einmal einem „Upgrade“ unterzogen – meisterlich, fürwahr!

Am anderen Ende der Skala liegt für mich die Besprechung eines Buches, bei dem ich zugegebenermaßen befangen bin: „Fundstücke… Beziehungstango“. Ich finde den Tonfall herablassend und die Befassung oberflächlich. Dies beweist nicht nur die missglückte doppelte Verneinung, die Autoren würden „gegen den Antidogmatismus im deutschen Tangoleben publizistisch tätig“.

Auch generell wird Kröter am schwächsten dann, wenn er im Tonfall des berlinernden Kulturchauvinismus ins Horn stößt – hier etwa mit der Beschreibung, was für dortige Tangolehrer längst „state of the art“ sei. Und auch bei meiner Person lässt er ja kaum eine Gelegenheit aus, die Provinzklischees à la „bayerischer Grantler“ und „hinter den sieben Bergen“ auszupacken. Dass dies nicht nötig ist, sondern eher zeigt, wer es nötig hat, ficht ihn nicht an. Schon deshalb bin ich übrigens ein strikter Gegner des Länderfinanzausgleichs!

Schade finde ich auch, dass der Autor seine zurückliegende Reise nach Buenos Aires in der Anfangsphase des Blogs nicht zum „Anreißer“ gemacht hat. Sicher gibt es vereinzelte Texte über argentinische Friedhöfe, Tanzschuhkäufe und Neolongas – die wirklich große Chance jedoch wurde verspielt: Da reist mal ein kritischer Geist ins Tangomekka, einer also, der nicht auf Jubel vorprogrammiert ist. Welch ein Gelegenheit, endlich einmal grundlegende Frage zu beantworten wie: Sind die Tangoverhältnisse dort wirklich so, wie man sie in den konservativen Szenen weltweit anpreist? Stattdessen gibt es auf Facebook das Bild eines (in der Eile zu einer Tradi-Milonga) verstauchten Zehs – jammerschade!


Eine Befürchtung hat sich glücklicherweise nicht erfüllt: Dass der Autor sein berüchtigtes, reduziertes Smartphone-Deutsch „1fach x 1:1“ auf sein Blog übertragen würde. Nein, er bemüht sich tatsächlich, eine korrekte Schreibe zu fabrizieren. Was er allerdings beispielsweise „mit Auftitten aus dem gerade zu ende gegangenen Karneval“ meint, möchte ich lieber nicht wissen… Und wenn man ein Buch bespricht, sollte man wenigstens den Titel im Original zitieren: „Maenner führen, Frauen folgen“ lautet er jedenfalls nicht. Und in einem Tangoblog empfiehlt es sich, besonders die spanischen Begriffe lieber nochmal zu googeln: „Mi Buenos Aires Qerido“ „Quechas de Bandoneon“ „Vuelvo als Sur“ „Astor Piazzola“ und „Anibal roilo“ ist jeweils knapp vorbei.



Sämtliche Ausrutscher stammen übrigens aus Texten vom vergangenen Februar. Es wäre also Zeit genug geblieben, sie einmal von kundiger Seite gegenlesen zu lassen. (Er wird doch einen Journalistenkollegen kennen, der fehlerfreies Deutsch kann!) Ich schreibe dies, obwohl es mir wahrscheinlich wieder eine der sattsam bekannten, schwachsinnigen „Oberlehrer-Beschimpfungen“ einbringen dürfte. Da kontere ich mit Altmeister Tucholsky: „Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf. Wer schludert, der sei verlacht, für und für.“ („Mir fehlt ein Wort“, 1929)



Und weil wir schon bei Sorgfalt sind: So wie im Hotelwesen alles gegrüßt wird, was sich bewegt – und was sich nicht rührt, geputzt, so sollte man als Blogger jeden Kommentar beantworten. Zumal, wenn man eine Replik angekündigt hat. Nur dann fühlen sich die Leser ernst genommen.



Ein bisschen steckt das Blog derzeit noch zwischen Baum und Borke: Ich sehe viele interessante Ansätze, oft wird ein Thema jedoch nur in nonchalanter Flaneur-Manier angestupst. Diese Unverbindlichkeit mag charmant oder cool wirken, überzeugend finde ich sie nicht immer. Doch diese Debatte hatten wir schon: Journalisten lieben es eben kurz und knapp, da sie sich oft Zeilenbegrenzungen fügen müssen.

Dennoch ist es äußerst nützlich, Thomas Kröters Wortmeldungen genau zu verfolgen – aus einem einfachen Grund: Der Berliner Schreiber weiß mehr über Tango als viele andere zusammen. An diesen Kenntnissen teilzuhaben zu dürfen, ist ein unbestreitbarer Vorzug. Und der bisweilen knorrige Humor des Autors macht die Lektüre nicht direkt unamüsant.

Die Tangoszene wird es also aushalten müssen und können, wenn Figuren wie wir im Stil der alten Herren aus der „Muppet Show“ weiterhin mit greisenhaftem Vergnügen von unserem Balkon auf die Rondas dieser Welt herunterätzen:



P.S. Hier geht's zum Blog:http://kroestango.de/ 

P.P.S. Noch ein seltenes Bilddokument von Thomas Kröter: Es zeigt das schwere Los des politischen Journalisten, sich mit seltsamen Menschen über galoppierenden Nonsens austauschen zu müssen (ab 1:45). Da sind Ruhestand und Tangobloggen doch allemal vorzuziehen! 


Kommentare

  1. Guten Morgen Gerhard, schöner Text, herrliche Wortspiele. Gute Morgenlektüre nach einer langen Nacht in enger Umarmung. Schätze, meine Sichtweise ist ähnlich; der Baaliner Kulturchauvinismus steht ebenfalls auf meiner Nüsseliste ("Dinge die mir auf die Nüsse gehen"). Und ich finde andererseits auch, daß Thomas an seinen guten Tagen eine gute Schreibe hat. Deine Worte zum Thema blasierter dandyhafter Flaneur haben allerdings eine gewisse Wehmut hervorgerufen. Dafür qualifiziert sich Thomas definitiv nicht, viel zu brav. Nichts gegen Waldorf und Statler. Eine Bloggerpersona, als Mix aus Hank Moody und Alan Shore mit einer Prise Oscar Wilde - das wär mal was. 2/3 dieser Namen dürften eher nicht so bekannt sein...sagen wir mal, das sind Ostereier, auch wenn noch nicht Sonntag ist.

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  2. Lieber Yokoito,

    stimmt - zwei der drei Namen musste ich googeln. Soweit ich es in der Kürze überblicke: Ja, durchaus - zynischer US-Anwalt mit sentimentalen Zügen und einer Clownphobie, wie schön!

    Aber Oscar Wilde als Tangoblogger: ein Traum. Da hätte ich auch schon einen Blog-Titel, der wunderbar zu heutigen Tangoszene passt: "The importance of being Ernest".

    Aber am Karfreitag lachen - o je: schon wieder einen Código verletzt...

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  3. Vielen Dank für Deine überwiegend höchst freundliche Bewertung meines Blogs, lieber Gerhard Riedl.

    Besonders die Charakterisierung als „Querkopf“ gefällt mir. Obendrein nutzt es den Klickzahlen auf meiner Startpage außerordentlich, wenn ein im Netz wohl eingeführter Blogger einen Neuling in der ihm eigenen Ausführlichkeit rezensiert. Dass Du meine bajuwarisierende Drumherumschreibung von „Querkopf“ nicht so schätzt... schade. Aber wenn ich mich recht erinnere, sind die von Dir eingeführten „role models“ Waldorf und Statler auch nicht immer einer Meinung.

    Um mit dem Grundsätzlichen zu beginnen: Du attestiert mir eine „nonchalante Flaneurmanier“. Auch wenn es Dir nicht so gefallen mag: So soll es bleiben. Und besser werden. Vor allem leichter. Noch bin ich (längst nicht immer erfolgreich) auf der Suche nach „meinem“ Ton.
    Was die Klischees angeht, die Du mir (nicht immer zu Unrecht) ankreidest, nur so viel: Die Verspätung eines Blogs aus Berlin mit dem vielleicht neuen Berliner Flughafen zu vergleichen, nun ja... Leben muss ich auch mit dem Vorwurf des „berlinernden Kulturchauvinismus“. Ich kann's nicht ändern: Ich nehme gerade wieder an einem Tango-Workshop teil, in dem eben ziemlich anders gearbeitet wird als in jenen Veranstaltungen, die Du kritisierst. Im übrigen sind auch die Wiener und die Pariser (sogar seit Jahrhunderten) daran gewöhnt, dasss man/frau in der Provinz sie überheblich findet. Trotzdem fahren die meisten immmer wieder gern in die Metropole.

    Womit ich bei meinen professionellen Wurzeln wäre. Dass Journalisten es kurz und knapp lieben... Richtig ist, dass sie sich in aller Regel „Zeilenbegrenzungen fügen müssen“. Die meisten meiner Berufskollegen, die ich kennengelernt habe, würden lieber dauernd große Geschichten schreiben statt Kurzkommentare. Je älter ich geworden bin, um so mehr hab' ich jedoch den Zwang zur Beschränkung schätzen gelernt. Oder wie der alte Milonguero Theodor W. Adorno in seiner Handreichung für Schriftsteller „Hinter den Spiegel“ geschrieben hat: „Nie darf man kleinlich sein beim Streichen. Länge ist gleichgültig und die Furcht, es stehe nicht genug da, kindisch.“ Aus meiner Sicht gilt das auch für Blogger.

    Mit meinem alten Beruf hat auch die Kargheit meiner Auskünfte über Buenos Aires zu tun. Ich war netto etwa knapp zehn Tage da. Ich weiß, dass vielen (nicht nur) Journalisten, dies für ein umfassendes Urteil ausreicht. Mir nicht. Ich maße mir danach nicht die Behauptung an, zu wissen wie es „wirklich“ ist – zumal mein Blickfeld durch die Reise mit einer sehr traditionalistsch ausgerichteten Gruppe ziemlich eingeschränkt war. Deshalb hab ich es bei den Erinnerungssplittern eines Flaneuers ge- und auch eine große Reportage unterlassen, die ich einer meiner früheren Zeitungen abgekündigt hatte.

    Ein Wort noch (nicht von mir) zu Deiner Kritik meiner Rezension des Buches „Männer führen, Frauen folgen?“: Coautor Peter Ripota hat sich für die „löblichen Worte“ bedankt und mich gebeten, sie „auf Amazon zu veröffentlichen“. Aber vielleicht hab ich ja die Ironie nicht verstanden.
    Was die Antworten auf Reaktionen angeht, gelobe ich schlicht Besserung.

    Mit freundlichen Ostergrüßen und einer Frage, die an meine Identität rührt: Wer von uns ist nun Waldorf, wer Statler?

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    1. Lieber Thomas,

      hab ich gern gemacht, wirklich! Aber verkauf dich nicht als „Neuling“: Du bist der gelernte Journalist, und deine Beziehungen zur Kultur- und Tangoszene übertreffen die meinen um Längen.

      Klar, jeder Schreiber ist auf der Suche nach seinem persönlichen Tonfall, ja Stil und muss die Richtung selber entscheiden. Ich kann dir nur meinen Eindruck wiedergeben: Du bist am stärksten dann, wenn du nicht zu viel von dir selber abstrahierst. Die Leser wollen eine greifbare Person, die sich mal ärgert und mal amüsiert – um ein im Tango oft missbrauchtes Wort zu verwenden – authentisch.

      Und sorry, der Fehlstart war unprofessionell: Man hat zunächst alles fertig und posaunt es dann heraus, nicht umgekehrt.

      Tja, und die Länge der Artikel: Ich gebe da Tucholsky völlig recht: „Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen.“ Aber für mich gilt das Primat des Inhalts, welcher dann die Zeilenzahl bestimmt. Über wenig Inhalt viel zu schreiben ist Quatsch – über wenig Inhalt wenig zu schreiben macht es jedoch nicht wesentlich besser.

      Deine Scheu, nach zehn Tagen Buenos Aires ein umfassendes Urteil abzugeben, ehrt dich. Ich hätte mir die auch bei der genannten Buchbesprechung gewünscht.

      Ja, lieber Thomas, Querköpfe (oder von mir aus „Grantler“) sind wir beide. Ich würde es nur vorziehen, wenn letztere Bezeichnung nicht fast stets mit einer provinziellen Anspielung versehen wäre. Aber sei‘s drum: Wenn wir (auch einander) loben oder tadeln, ist es stets ehrlich gemeint und mit kritischer Sympathie verfasst.

      Das Rollenmodell „Waldorf und Statler“ passt doch da perfekt! Und der Balkon garantiert die nötige satirische Fallhöhe. Deine Frage, wer von uns beiden nun wer sei, habe ich natürlich sorgfältig recherchiert. Charakterlich und von den Punchlines her konnte ich (war eh klar) keine Unterschiede erkennen. Aber da Waldorf etwas kleiner ist und einen Bart hat, schlage ich dich für diesen Part vor.

      Herzliche Grüße nach Berlin
      Gerhard

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    2. so soll es sein. viele reisegruesse aus dem flachen norden. thomas

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