Tango zwischen Porsche und Grabbeltisch



Der junge Berliner Anwalt hat gerade seine eigene Kanzlei eingerichtet und wartet seit Tagen auf den ersten Klienten. Endlich klingelt es an der Tür. Er signalisiert der Sekretärin, den Mandanten erstmal im Wartezimmer zu parken. Nach einiger Zeit lässt er ihn aufrufen. Als der das Büro betritt, spielt der Jurist ein hektisches Telefonat vor: „Ja, Herr Generaldirektor, ich weiß, zehn Millionen – ich werde sehen, ob ich Ihnen noch einen Termin reservieren kann… Und was wollen Sie?“ Der Kunde: „Ick komme wejen det Telefong – det müsst ick jetz anschließen.“
(einer meiner Lieblingswitze)   

Was wäre ich ohne meine Leser?

Als ich kürzlich meinen Artikel über das „Status-Tanzen“ veröffentlichte, schien mir die Sache völlig klar: Milongas, bei denen mir der Dünkel bereits an der Tür entgegenweht, besuche ich schlicht nicht mehr (oder höchstens mal, wenn ich neuen Satire-Stoff brauche). Mein Rezept also: mit den Füßen abstimmen!

Daher war ich zunächst irritiert über die Replik eines Mitglieds unserer Facebook-Gruppe:

Ich weiß zwar, wie du es meinst, aber in einer Zeit, in der sich Frauen selbst gern als Prinzessinnen sehen und Männer das auch noch anziehend finden, führt das ‚mit den Füßen abstimmen‘ doch letztendlich doch genau zu dem Phänomen des Status-Tanzens ...

Ich fragte nach:

„Was soll ich mit ‚Prinzessinnen‘, die arrogant sind und eh nicht mit mir tanzen – und wenn, dann vorwiegend aus ‚Statusgründen‘? Da trink ich lieber ein Bier mit dem Drachen!

Da wies mich meine Leserin auf einen Effekt hin, den ich beim Tango bislang noch nicht auf dem Schirm hatte: das „Scarcity Principle.

Grob gesagt versteht man darunter die Tatsache, dass Konsumenten einen höheren Wert auf Produkte legen, die knapper sind als auf solche, welche im Überfluss zur Verfügung stehen.

Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, ob dies tatsächlich so ist oder den Kunden nur vorgegaukelt wird. Insbesondere, wenn sie einen Exklusivcharakter haben (z.B. neues Smartphone-Modell von namhafter Firma) werden oft weniger Exemplare auf den Markt gebracht, um Nachfrage und Preis in die Höhe zu treiben.

Alternativ kann man Verknappung auch nur suggerieren: Beliebte Methoden sind zeitlich oder mengenmäßig begrenzte Angebote („nur in dieser Woche“, „nur solange Vorrat reicht“ etc.), oft verbunden mit gigantischen Preisnachlässen in dieser Phase („30 Prozent auf alles außer Tiernahrung“). Im Internethandel wird die Kaufhysterie teilweise noch angeheizt durch ständig aktualisierte Rest-Lagerbestände oder die Zeit seit der letzten Bestellung: „Sichern Sie sich jetzt…“

Dies führt zu exzessiven Verkaufsterminen wie dem amerikanischen „Black Friday“, dem Freitag nach dem „Thanksgiving“, also dem vierten Donnerstag im November. Er gilt in den USA als Beginn des Weihnachtsgeschäfts und wird von Rabattschlachten begleitet – ebenso wie der darauffolgende „Cyber Monday“  im Online-Handel.

Verbraucherschutz-Organisationen warnen immer wieder, die reduzierten Preise orientierten sich oft an einer künstlich erhöhten „unverbindlichen Preisempfehlung“, die deutlich über dem Marktwert liegt. Die „Schnäppchen“ sind daher oft nicht halb so günstig, wie die Werbung behauptet.

Womit wir beim Tango wären:

„Frühbucher-Rabatte“ und Hinweise wie „Workshop 1: nur noch zwei Plätze frei“ arbeiten natürlich mit genau diesem Prinzip – ebenso geschlossene Veranstaltungen wie Encuentros, bei denen es oft neben dem begrenzten Angebot an Plätzen auch noch eine „Gesichtskontrolle“ gibt, eine hohe Exklusivität also garantiert ist. Und es wird sicherlich die Anmeldewut alleiniger Frauen erhöhen, dass deren Kontingent am strengsten limitiert ist. Ein Anmeldebeginn, der auf die Minute genau festgelegt ist, dürfte den Hype noch steigern.

Eine weitere Tatsache wäre ebenfalls mühelos erklärt: Warum rennen die Besucher massenhaft auf Milongas, welche erwartbar überfüllt sind (da sehr angesagt, mit Livemusik und sonstigen Extras), obwohl man dort weder einen Kleiderbügel für seine Jacke, eine Sitzgelegenheit noch gar ausreichenden Platz auf der Tanzfläche findet? Verknappung wirkt wohl auch hierbei attraktiv – abgesehen davon, dass es ja auf einem halben Quadratmeter eh nicht auffällt, wenn man kaum tanzen kann…

Und die Tangoschleicher müssen natürlich aus Buenos Aires sein – am besten keine Importware, sondern zweifarbige Ledersärge, welche man nur dort erwerben kann: siehe „IBAG“ („in Buenos Aires gewesen“).


Das „Scarcity Principle“ könnte auch einen Effekt erklären, an dem ich seit vielen Jahren herumgrüble: Wieso sind selbst Tangueros mit schon deutlich vergrößerter Prostata wie wild darauf, angemalte, mit dem neuesten Boutiquenfummel nur teilweise verhüllte arrogante junge Schnepfen aufzufordern, die noch überhaupt nicht wissen, wer sie sind (was ich in dem Fall für eine Gnade halte)? An ihren oft rudimentären Tanzkünsten kann es nicht liegen!

Aber – als Trost für alle Damen, welche dieses „Ideal“ nicht erfüllen: Ich glaube gar nicht, dass Alter und Schönheit der Hauptgrund sind. Die Betreffenden spielen lediglich gekonnt auf der „Scarcity-Tastatur“: Man muss sich ja lediglich in den Dunstkreis eines männlichen Tango-VIPs begeben und ihm als schmückendes Beiwerk dienen – rituelle Tänze mit diesem sind die Folge, ebenso, soweit er es zulässt, mit weiteren Mitgliedern seiner Entourage. Dann hat man, inklusive großzügig vergebener Körbe, schnell den Ruf einer Edel-Konkubine, die es nicht mit jedem macht. Diese hormonelle Wirkung reduziert dann zuverlässig den geistigen Level anderer Männer auf das Niveau, unbedingt mit solchen Tangueras tanzen zu wollen.

Sehen wir es zur Bestätigung von der anderen Seite: Warum wird eine Frau, die schon anderthalb Stunden herumsitzt, weiterhin kaum aufgefordert? Sie ist zu leicht zu haben. Aber was will man von der Vernunft eines Geschlechts verlangen, welches ja auch im sonstigen Leben bereit ist, das mehrfache Geld für ein Auto auszugeben, das zwar auch nur vier Räder hat, bei dem jedoch „BMW“ oder „Porsche“ draufsteht und mit dem man im Stau ungefähr genauso schnell vorwärtskommt wie mit einer Edeltanguera in der Ronda?

Ökonomisch bliebe den verschmähten weiblichen Wesen die Möglichkeit, via „Sonderleistungen“ großzügige Rabatte anzubieten. Auch das soll es vereinzelt geben, was der Bezeichnung „Grabbeltisch“ durchaus eine tangogemäße Bedeutung verleiht…

So gesehen ist es natürlich vorteilhaft, den Tangomenschen stets neue, schwierige Aufgaben zu stellen: Das Beachten der vielen „Rondaregeln“ und natürlich die perfekte Beherrschung des Cabeceo sind weitere Hürden, welche es schwerer machen, an die ersehnte Ware zu gelangen. Ginge auch einfacher, wäre dann jedoch nicht mehr exklusiv genug. Daher die zunehmenden Bekenntnisse von Szenemitgliedern, hart „an sich zu arbeiten“. Spaß ist dem Prekariat vorbehalten!

Übrigens habe ich das „Scarcity-Prinzip“ auch schon bei unserer „Wohnzimmer-Milonga“ erlebt, bei der wir wegen der Größe der Tanzfläche die Gästezahl begrenzen müssen: Als wir in der ersten Zeit öfters „ausgebucht“ waren, habe ich dies bei den öffentlichen Ankündigungen vermerkt. Die Folge: Es meldeten sich noch mehr Gäste an. Allerdings habe ich Depp dann häufigere Termine angeboten, damit jeder zum Zuge käme – in der Folge gingen die Teilnahmewünsche zurück.

Über die Exklusivität der Münchner Clubszene habe ich bereits einmal geschrieben:

Da ist es ja auch entscheidend, am Türsteher vorbeizukommen – der Rest eigentlich unbedeutend. Nun gut, soll meine Sorge nicht sein. Der erwähnten Facebook-Leserin schrieb ich daher:

„Wenn mehr Besucher Veranstaltungen meiden würden, wo man sie eh ignoriert, ergäbe sich ein hübscher Mechanismus: Nur Häuptlinge, weil die Indianer ausbleiben – da macht der schönste Western keinen Spaß mehr. Sprich: Zur Ausübung von Dünkel gehört eine gewisse Fallhöhe, man benötigt Publikum.

Wer doch hinrennt, ist selber schuld. Zudem habe ich derzeit ein ganz anderes Problem: Durch die „Winterpause“ hat sich leider mein Bauchumfang etwas vergrößert. Erst heute Früh sagte meine Hose zu mir in bestem Türsteher-Slang:

„Du kummsch hier net rein!“

Eine Frechheit!

Hintergrund-Information:



Quellen:
https://www.soft-skills.com/kuenstliche-verknappung-nutzen/

Kommentare

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