Liebes Tagebuch… 48
Wie
verschieden ähnliche Milongas doch sein können!
(Nebenbei:
Bei letzterem Titel bitte ich um Verständnis, da ihn ein Münchner Tangoexperte
früher bis zum Eintritt der geistigen Umnachtung, also öfter als „Soñar y nada mas“ von Alfredo de Angelis, auflegte. Inzwischen spielt er gar nix Modernes mehr,
was ich für eine Gnade halte. Und generell liegen mir diese „Wir liegen am griechischen Strand und
saufen billigen Rotwein“-Nummern nicht direkt. Dass die Schöne im Video
heulend von der Tanzfläche rennt, kann ich absolut nachvollziehen…)
Doch
nein, beide DJs geben sich durchaus Mühe, halbwegs interessant aufzulegen, das sollte
für einen Abend schon reichen. Auch ansonsten sind die äußeren Bedingungen
ähnlich: Wirtshaus mit etwas abgeschmierten Interieur, leicht klebriger
Tanzboden, Geruch nach altem Bratenfett inklusive.
Wie
kann es dann sein, dass wir nach der einen Milonga völlig beschwingt
heimfuhren, nach der anderen hingegen in einem Zustand, als hätten wir im
letzten Moment doch noch den Schlüssel zum Aufsperren des Kühlhauses ergattert?
Zunächst
einmal lag es am Veranstalter, welcher jeweils in Personalunion den DJ machte:
Es ist halt ein Riesenunterschied, ob man mit seinem Tango-Schneckerle die
ganze Zeit hinter der Anlage thront und dort allenfalls die Huldigungen von
Stammgästen entgegennimmt – oder auf alle Gäste freundlich zugeht und mit vielen
tanzt. Wenn dann noch die Gattin des DJ einen auffordert – nicht einmal per
verschämtem Cabeceo, sondern schlicht durch direkte Ansprache: ein Traum!
Apropos:
Bei letzterer Milonga war die Aufforderungsweise durchaus freibleibend – man durfte
blinzeln, musste aber nicht. Hauptsache, man kam zum Tanzen. Kein Wunder, dass
dies etliche Frauen dazu nutzen, ihre Absichten zu signalisieren. Dies erzeugte
eine lockere, zwanglose Atmosphäre. Man wurde auch ansonsten freundlich
angesprochen, kam mit vielen in Kontakt. Niemand hatte das Gefühl, sich „etwas
zu vergeben“.
In
der anderen Veranstaltung, welche früher ähnlich soziale Züge aufwies, hat sich
inzwischen das Klima verändert: Bis auf wenige Bekannte aus verflossenen Zeiten
bleibt man weitgehend auf sich gestellt. Und der Cabeceo, das merkte ich sehr
rasch, wurde implizit erwartet. Initiativen von weiblicher Seite beobachtete
ich kaum – man saß halt in stummer Schönheit herum und wartete auf männliche
Beglücker… Freilich, das hat sich selbst dort noch nicht herumgesprochen, wäre
es dann vorteilhaft, nicht ständig weibliche Ratschclubs zu begründen oder zu
Beginn der Cortina aufs Klo zu rennen! Aber vielleicht sind ihnen ja andere Sachen wichtiger.
Der
Vorzug der schöneren Milonga von beiden bestand aber wahrlich nicht im
tänzerischen Niveau – im Gegenteil: Ziemlich viele Anfänger, zum Teil wurde
geradezu abenteuerlich getanzt – pfeif auf die Schritte, Hauptsache Spaß! Den
machte es zweifellos, und so blieben auch Tänzer(innen) mit rudimentären Fähigkeiten
kaum sitzen.
Im
anderen Fall wurde eher nach Können, Aussehen und Alter aufgefordert –
insbesondere von einer Clique, die seit einiger Zeit den Tango in dieser Stadt
immer mehr zu dominieren scheint: Eine Art „Jeunesse dorée“ aus kapriziösen
jungen Dämchen samt zum Sterben schönen präadulten Knaben, welche sich mit
encuentro-mäßig normiertem „Schrittchen,
Schrittchen, Arschgewackel, halbe Drehung“-Stil produzierten und natürlich
nur mit Ihresgleichen aufs Parkett gingen. Und die „Anmach-Brösel" im Antlitz der jugendlichen Helden waren übrigens durchaus kompatibel mit dem Beau aus dem Video...
Der
Trend, dort dazuzugehören, weitet sich offenbar immer mehr aus: Eine jüngere
Dame, welche auf einer weniger „szenetypischen“ Veranstaltung in dieser Stadt
noch mit riesigem Spaß und ausladenden, kreativen Bewegungen mit mir getanzt
hatte, würdigte mich an diesem Abend kaum eines Blicks. Offenbar hätte ein
neuerlicher Tanz mit mir, unter den Blicken des nun anwesenden „Edel-Gschwerls“,
ihren Status in dieser Gruppe drastisch gesenkt. Daher begnügte sie sich nun mit
Minimalismus-Tango gemäß dem „state of the art“.
Mag auch sein, dass es
mit an ihrem Begleiter lag, einem sehr ehrgeizigen und umtriebigen Herrn, der
in dieser Region für seine eigene Milonga auch etwas abhaben möchte – und das
geht halt offenbar am besten über solche Cliquen. Daher netzwerkt er mit einer
Intensität, welche bei jeder Kreuzspinne zu Minderwertigkeitskomplexen geführt
hätte: Wer jung, schön, wichtig und nicht bei drei auf dem Baum war, wurde gnadenlos
zugetextet. Neben der intensiven Nutzung des Smartphones fand sich sogar noch
Zeit für rituelle Tänze mit „gültigen“ Partnerinnen: Ja, Tangoveranstalter ist
schon ein Vollzeitjob!
Es
ist eine Gnade des Alters, all das nicht mehr haben zu müssen. Ich werde einen
Teufel tun und Gäste wegen unseres Dorftangos anschwafeln: Wer es wissen will,
der weiß es, und dann kommt er (oder sie) – oder auch nicht. So vergnügte ich
mich kurz vor dem Aufbrechen noch bei einigen wirbeligen, Unfug verbreitenden
Milongas mit der besten Ehefrau von allen, trotz der kritischen Blicke ob
unseres „vorschriftswidrigen“ Tuns.
Und
den Anblick der „Arschgewackel-Paare“ bei ihrem vergeblichen Bemühen, eine
überraschende Runde mit „Otros Aires“ in den Griff zu bekommen, kriegte ich
noch als Gratis-Schmankerl – und den Stoff für einen neuen Artikel. Tja, es
rächt sich halt, wenn man nur eine Art von Tango kann…
Wahrlich,
die ganzen „Códigos“ nützen nur denen, welche sie so vehement propagieren.
Soziales Verhalten erzeugen sie mitnichten.
Mit
etwas Herzensbildung käme man weiter – vorausgesetzt, man hätte sie im
Repertoire.
"P.S. Von etwaigen Rückfragen nach den konkret gemeinten Milongas bitte ich abzusehen – ich möchte den durchaus sympathischen Veranstaltern nicht zu nahe treten!"
AntwortenLöschenSchade aber auch. Wär ja durchaus interessant, von wem du konkret schreibst. Könnt ja auch sein, dass man selber das eine oder andere durchaus anders sieht ;-)
Ciao, Robert (ders leider zur nächsten "Dorfmilonga" nicht schafft)
Dass man je nach Geschmack das eine oder andere verschieden bewertet, setze ich voraus. Mir ging es um die angesprochenen Probleme und nicht darum, wer sich nun wieder konkret über mich ärgern soll.
AntwortenLöschenDann bis demnächst mal, bist auf der Dorfmilonga stets willkommen!